Sexuelle Belästigung in der Bundeswehr: Linke: Sexuelle Übergriffe bei Gebirgsjägern kein Einzelfall
Nach Bekanntwerden der mutmaßlichen sexuellen Übergriffe bei den Gebirgsjägern sprechen die Linken von einem "systematischen Problem bei der Bundeswehr. Auch Verteidigungsministerin Von der Leyen schaltet sich ein - allerdings in einen älteren Fall.
Im Fall der mutmaßlichen sexuellen Belästigungen eines Soldaten durch Vorgesetzte bei den Gebirgsjägern der Bundeswehr im oberbayerischen Bad Reichenhall stehen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Traunstein ganz am Anfang. Behördensprecher Björn Pfeifer wollte sich am Dienstag zunächst nicht zu den konkreten Vorwürfen gegen Unteroffiziere und Kameraden des Opfers äußern. Er verwies auf eine Erklärung zu einem späteren Zeitpunkt. Nach Bekanntwerden der mutmaßlichen Demütigung des Soldaten vor wenigen Tagen hatte Pfeifer von „sexualbezogenen Überschreitungen“ gesprochen und hinzugefügt: „Wir ermitteln den Sachverhalt.“
Das Verteidigungsministerium unterrichtete den Bundestag am Montag von den Vorfällen. Demnach ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen 14 Soldaten. Der Soldat wandte sich dem Schreiben zufolge bereits im Oktober 2016 an den Wehrbeauftragten. Die Vorfälle ereigneten sich zwischen November 2015 und September 2016. Das Ministerium nannte die Vorfälle „äußerst bedauerlich und vollkommen inakzeptabel“. Der direkte militärische Vorgesetzte des betroffenen Soldaten sei aus seiner Funktion herausgelöst worden, der Betroffene selbst versetzt worden, geht aus dem Schreiben an den Bundestag hervor. Zuvor war das Ausbildungszentrum im baden-württembergischen Pfullendorf wegen demütigender Aufnahmerituale und entwürdigender Behandlungen in die Kritik geraten.
Linke: Sexuelle Übergriffe bei Gebirgsjägern kein Einzelfall
Nach Auffassung der Linkspartei im Bundestag sind das keine Einzelfälle. Die Übergriffe offenbarten „ein systemisches Problem bei der Bundeswehr“, erklärte die verteidigungspolitische Sprecherin der Fraktion, Christine Buchholz, am Dienstag. Zwischen 2015 und 2016 sei die Zahl der beim Wehrbeauftragten gemeldeten sexuellen Belästigungen um 50 Prozent gestiegen. „Die Gebirgsjäger in Bad Reichenhall machen nicht zum ersten Mal Negativschlagzeilen. Das wirft die Frage nach einem Eigenleben in diesem Teil der Truppe auf. Die Bundesregierung muss die Zustände gründlich untersuchen.“
Von der Leyen schaltet sich in Aufarbeitung von Fall sexueller Übergriffe gegen Soldatin ein
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat sich unterdessen zeitgleich persönlich in die Aufarbeitung eines anderen Falls von sexueller Belästigung in der Bundeswehr eingeschaltet. In einem am Dienstag auf der Internet-Seite des Ministeriums veröffentlichten Offenen Brief kritisierte sie die Begründung für die Einstellung des Verfahrens als "inakzeptabel" und "abenteuerlich". Nach Angaben der Ministerin wurde die betroffene Soldatin "von einem Kameraden körperlich bedrängt und sexuell belästigt". Der Vorfall und die Reaktion darauf haben nach Angaben des Ministeriums nichts mit den am Montagabend bekannt gewordenen Vorfällen bei den Gebirgsjägern in Bad Reichenhall zu tun. Auch dass der Brief der Ministerin nur wenige Stunden später veröffentlicht wurde, sei "purer Zufall".
Von der Leyen wurde demnach von einer militärischen Gleichstellungsbeauftragten auf den Fall hingewiesen. Die Soldatin hatte Anzeige erstattet, das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft jedoch eingestellt. "Zu der Bewertung kann sie als unabhängige Behörde kommen", schrieb die Ministerin. "Was aber völlig inakzeptabel ist, ist die Wortwahl" der Begründung. Nach Angaben von der Leyens schrieb die Staatsanwältin: "Bei dem von Ihnen beschriebenen 'Imponiergehabe' des Beschuldigten (Posen, Muskelspiel, Aufforderung zum Sex, Griff an das Gesäß) ist jedoch nach allgemeinem (vorwiegend männlichem) Verständnis davon auszugehen, dass der Beschuldigte sein 'Interesse' an Ihnen damit kundtun und nicht, dass er Sie beleidigen wollte."
Von der Leyen nannte die Interpretationen "abenteuerlich und aus der Zeit gefallen". Sie zerstörten das Vertrauen von Opfern sexueller Übergriffe, an übergeordneter Stelle Verständnis und Schutz zu finden. Mit Blick auf die Bundeswehr betonte die Ministerin, der Fall sei ein "grober Verstoß gegen die Pflicht zur Kameradschaft". Sie fügte hinzu: "Ich dulde in der Bundeswehr kein Verhalten, das die Würde, die Ehre und die Rechte auf sexuelle Selbstbestimmung von Soldatinnen oder Soldaten und der zivilen Beschäftigten verletzt". Erst Ende Januar war bekannt geworden, dass es in einer Ausbildungskaserne in Pfullendorf herabwürdigende und sexuell erniedrigende Praktiken und Aufnahmerituale gegeben haben soll. Von der Leyen hatte dies auch als Ausdruck von Führungsversagen kritisiert und als Zeichen dafür gewertet, dass der Umgang miteinander in der Truppe "kein Randthema" sei. (dpa, AFP)