Linke scheitert vorm Bundesverfassungsgericht: Opposition ist Pflicht - und kein Recht
Das Verfassungsgericht erinnert an Wesentliches: Um im Parlament eine relevante Minderheit zu sein, muss man nicht zu ihr gehören. Ein Kommentar.
Scheitern gehört zum Geschäft. Niemand weiß das besser als die Opposition im Bundestag. Ihre Routine erschöpft sich in Kritik, für die sie parlamentarische Ausdrucksformen sucht: den Gesetzentwurf, der von der Mehrheit abgelehnt wird; die Anfrage, der die Regierung ausweicht; die Rede, zu der die wenigsten applaudieren.
Ihre jüngste Niederlage wird die darin geübte Linksfraktion deshalb gefasst zu nehmen wissen. Das Bundesverfassungsgericht hat ihre Klage auf mehr parlamentarische Rechte abgewiesen. Aber es ist ein Scheitern, wie es in der Politik angemessen und letztlich auch gefordert ist. Opposition bedeutet, sich die Minderheit von heute als Mehrheit von morgen vorstellen zu können. Darin liegt ihr Wert. Scheitern ist nach dieser Prämisse nicht das Ende, sondern es markiert einen Anfang. Insofern lohnt der Blick auf das, was der Linken in Karlsruhe widerfuhr – und was sie dort erreicht hat.
Die Richter haben, erstens, die Opposition gestärkt. Denn die Widerworte der bei Wahlen Unterlegenen verdichten sich beim Einzug ins Parlament zu einem echten Anspruch. Scheitern ja, aber bitte effektiv: Demokratische Kontrolle darf nicht auf das Wohlwollen der Mehrheit angewiesen sein, urteilen die Richter und stellen in dieses System auch die Klagemöglichkeiten in Karlsruhe, deren Erweiterung die Linken begehrt hatten.
Eine sogenannte Normenkontrolle, das Recht also, verabschiedete Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen zu lassen, dürfen sie zwar angesichts fehlender Mindeststimmenzahl nicht verlangen. Doch räumten die Richter ein paar Hürden für einen anderen Rechtsweg beiseite, die Organklage, mit der die Linksfraktion etwa gegen den Syrien-Einsatz der Bundeswehr vorgehen will und mit der sie jetzt auch in Karlsruhe vorstellig geworden war.
Eine Organklage kann theoretisch ein Abgeordneter allein erheben. Die Anrufung des Verfassungsgerichts ist das wirkmächtigste Instrument politischen Widerspruchs, dessen rhetorischen Widerhall – siehe Horst Seehofer und die Grenzkontrollen – Oppositionelle unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit zu nutzen verstehen. Künftig dürfte es noch bedeutsamer werden.
Opposition schlummert in jedem Volksvertreter
Die Richter haben aber auch, zweitens, eine Mahnung ausgesprochen. Sie haben daran erinnert, dass Opposition weit mehr ist als die Eigenschaft von Fraktionen, keine Regierung zu tragen. Opposition schlummert, verfassungsrechtlich betrachtet, in jedem einzelnen Volksvertreter. Sonderrechte, wie die Linken sie wollten, verbieten sich daher; jeder Parlamentarier muss sich ihrer Mittel gleichermaßen bedienen können.
Eine lehrreiche Einsicht, die bemüht ist, den demokratischen Prozess während des politische Empfindlichkeit oft betäubenden Legislaturbetriebs für Einflüsse von außen offenzuhalten. Auch Großkoalitionäre dürften also häufiger mal etwas anderes meinen als ihre Fraktionschefs. Umgekehrt mag die Minderheit zur Kenntnis nehmen, dass bloßes Dagegensein keine Kategorie des Grundgesetzes ist. Im demokratischen Wettbewerb zählt die Bereitschaft und die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen. Hier muss sich eine Opposition erweisen. So gesehen, ist das Urteil eine Aufforderung an aktuelle und künftige Alternativen für Deutschland und deren Wähler, ihre Entwürfe gründlich zu prüfen. Taugen sie nichts, ist nicht Opposition Mist, sondern Mist Opposition.