Finanztransaktionssteuer: Olaf Scholz prescht vor – aber belastet nur Aktienkäufe
Die Opposition ist enttäuscht: Im Entwurf des Finanzministers wird nur ein Teil der Finanzgeschäfte besteuert. Die Union geht schon auf Distanz.
Mit dem Vorhaben, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in Europa voranzubringen, ist Olaf Scholz vor anderthalb Jahren als Bundesfinanzminister angetreten. Der Koalitionsvertrag hat ihn mit einem Mandat ausgestattet. Dort findet sich der Satz: „Die Einführung einer substantiellen Finanztransaktionssteuer wollen wir zum Abschluss bringen.“
Nun liefert Scholz, nach langen Verhandlungen mit den Kollegen in anderen EU-Staaten, einen eigenen Gesetzentwurf. Die Frage, ob das Ergebnis tatsächlich "substantiell" ist, wird noch zu Diskussionen führen: Denn eingeführt werden soll nur die Teilbesteuerung von Aktienkäufen, die der Vizekanzler von der SPD mit seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire schon vor einem Jahr vereinbart hatte.
Den EU-Regierungen, die sich zum Mittun entschieden haben, schickte Scholz seinen Entwurf am Montag zu. Üblicherweise ist das Sache der EU-Kommission. Nach dem Scholz-Vorschlag sollen Käufe von Aktien mit 0,2 Prozent des Geschäftswerts besteuert werden, wenn der Firmenwert höher liegt als eine Milliarde Euro. In Deutschland beträfe das aktuell 145 Unternehmen – alle, die im Aktienindex Dax stehen, und einige Dutzend darüber hinaus.
Insgesamt könnten mit dem Scholz-Vorschlag in Europa etwa 500 Unternehmen besteuert werden. Es handelt sich um Konzerne aus Frankreich, Spanien, Italien, Belgien, Österreich, Portugal, Griechenland, Slowenien und der Slowakei. Große Börsenländer wie Großbritannien, die Niederlande oder Schweden sind nicht dabei. An den britischen Börsen werden allerdings Aktienkäufe schon lange besteuert, auch in Frankreich und Italien gibt es eine solche Steuer schon.
Einnahmen: Zunächst bis zu 1,5 Milliarden Euro
Scholz will mit der Einführung der Steuer in Deutschland die Grundlage zur Finanzierung der von der SPD gewünschten Grundrente legen. Bis zu 1,5 Milliarden Euro an neuen Einnahmen erwartet der Bundesfinanzminister aus der Aktiensteuer, ein erheblicher Teil davon soll die Grundrente finanzieren helfen. Deren Kosten, wenn vollständig umgesetzt, dürften insgesamt bei mehr als vier Milliarden Euro im Jahr liegen. Scholz ist an eine europäische Lösung gebunden, weil die Union das im Koalitionsvertrag verankert hat.
In einem Begleittext des Ministeriums ist davon die Rede, dass mit der Besteuerung des Aktienkaufs der Finanzsektor stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt werden soll. Tatsächlich zahlt die Steuer allein der Käufer, ob nun als institutioneller Kunde (etwa eine Fondsfirma) oder als privater Investor. Institutionelle Käufer können die Kosten natürlich an ihre Kunden weitergeben.
Nur 500 Konzerne
Außer im Fall der etwa 500 Großunternehmen, soweit der Handel in den zehn beteiligten Ländern stattfindet, werden keine Aktienkäufe mit der Steuer von 0,2 Prozent belastet. Die Ausnahmen bezeichnet Scholz als gut begründet. Zur Steuerfreiheit bei einem Börsenwert von weniger als einer Milliarde Euro findet sich allerdings nichts in dem Erklärpapier.
Wer Aktien von mittelgroßen und kleinen AGs erwirbt, spart immerhin ein wenig Geld – bei einem Kauf von Aktien im Wert von 5000 Euro zum Beispiel sind es dann zehn Euro. Erstausgaben von Aktien sollen ebenfalls nicht belastet werden, um so die Kapitalbeschaffung deutscher Unternehmen nicht zu beeinträchtigen. Transaktionen im Rahmen der „Marktpflege“, also etwa Käufe, die bei einer Neuemission der Kursstützung dienen, würden ebenfalls nichts kosten.
Nennenswerte Folgen für das Anlage- und Sparverhalten erwartet Scholz nicht. Denn auch hier gibt es eine Ausnahmeregelung: Die beteiligten Länder sollen entscheiden dürfen, ob Aktienkäufe im Rahmen eines Altersvorsorgevertrags oder -produkts wie zum Beispiel Pensionsfonds ebenfalls ausgenommen werden.
Wie teuer werden ETF?
Allerdings würde in jedem Fall ein Anlageinstrument damit teurer. Börsengehandelte Indexfonds (ETF), passiv gemanagt, also letztlich reine Computerprodukte, werden seit Jahren als besonders kostengünstige Anlageform beworben. Nun müssen die Fondsanbieter, die bisher vor allem die geringen Kosten im Vergleich zu aktiv gemanagten Fonds betonten, für jeden Kauf 0,2 Prozent Steuer zahlen.
Da diese Fonds ständig handeln müssen, je nach Indexstand und Anteil der einzelnen Aktien am Index, summieren sich so die Börsenkosten, die das Produkt verteuern werden. Unter Marktbeobachtern wird daher spekuliert, ob bei solchen ETF-Produkten künftig der Index wieder stärker über Derivate abgebildet wird. Diese Anlageform wird aber nicht besteuert, das war auf EU-Ebenen nicht durchzusetzen – obwohl die Finanztransaktionssteuer ursprünglich auch dazu gedacht war, den Handel mit diesen zum Teil riskanten Produkten einzudämmen.
Distanzierung aus der Union
Aus der Unionsfraktion, die nicht eingebunden war, kam schnell eine Distanzierung. Fraktionsvize Andreas Jung verlangte einen breiten Ansatz bei einer Finanztransaktionssteuer. "Eine Börsenumsatzsteuer auf die Aktien weniger Unternehmen wird dem mit der Initiative verfolgten Ziel nicht gerecht", sagte er. "Wir werden das ganze Vorhaben genau auf die Auswirkungen auf den Standort Deutschland prüfen." Eine Finanztransaktionssteuer könne nur im europäischen Kontext umgesetzt werden. "Entscheidend für eine Verständigung ist dabei nicht der Versand eines Entwurfs, sondern die Antwort der europäischen Partner. Für uns bleibt es bei den Vereinbarungen der Koalition: Es wird keinen deutschen Alleingang geben." Es gebe weder einen Automatismus noch eine Verknüpfung mit der Grundrente. Neben der Abstimmung mit den Partnern in Europa brauche es auch eine Einigung in der Koalition in Deutschland. "Für uns als Union ist dabei entscheidend, dass Kleinanleger genauso geschützt werden wie Menschen, die für das Alter vorsorgen", sagte Jung.
Oppositions-Kritik folgt auf dem Fuß
Die FDP-Finanzpolitikerin Bettina Stark-Watzinger sieht das Scholz-Vorhaben kritisch. "Weil der Groko das Geld ausgeht, muss wieder die Mitte der Gesellschaft zahlen", twitterte sie. Die Finanztransaktionssteuer sei eine reine Aktiensteuer. Kleinaktionäre, die nicht ausweichen könnten, müssten zahlen. "Sie ist ein Subventionsprogramm für Derivate." Ihr Parteifreund Florian Toncar sagte, Scholz besteuere mit dem Aktienhandel "ausgerechnet die transparenteste und am dichtesten regulierte Art von Wertpapieren". Betroffen wären davon laut Toncar vor allem Kleinsparer, die Geld für die Altersvorsorge oder ihre Kinder anlegen.
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sprach von "Etikettenschwindel". Scholz habe es geschafft, "eine Steuer zu erschaffen, die das Ziel verfehlt und noch dazu eine soziale Schieflage hat. Die Lehre aus der Finanzkrise 2008 war, dass man hochgefährlichen Handel besteuert und langfristige Anlagen schützt. Herr Scholz macht das glatte Gegenteil: Großanleger, die viel in kurzer Zeit verschieben, werden verschont. Wer langfristig Aktien anlegt, das sind unter anderem Kleinanleger, wird besteuert."
Der Grünen-Europapolitiker Sven Giegold sagte: “Was Scholz vorgelegt hat, verdient den Namen Finanztransaktionssteuer nicht." Mit der Entscheidung, Derivate zu verschonen, werde die Ursprungsidee der Steuer torpediert. "Mit diesem Modell werden weder sekundenschnelle Spekulationsgeschäfte eingedämmt noch größere Einnahmen erzielt."
Der Linken-Politiker Jörg Cezanne bemängelte, dass Scholz nur kopiere, was in anderen Staaten längst gelte. "Hierfür hätte man nicht viele Jahre lang verhandeln müssen." Zudem lasse sich die Steuer von professionellen Spekulanten leicht umgehen. Der Vorschlag von Scholz sei ein Flop.
Ökonom: Ironische Finanzpolitik
Der Ökonom Thies Büttner, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Finanzministeriums, ist ebenfalls kritisch. "Ironische Finanzpolitik", lautet sein Kommentar auf Twitter. "Behelfsmäßiges Flicken am Rentensystem (Grundrente) soll durch Steuer auf Aktienanlagen finanziert werden, durch die man Altersvorsorge trotz Niedrigzinsen aufbessern könnte."
Der frühere Grünen-Politiker Gerhard Schick, mittlerweile Vorstand er "Bürgerbewegung Finanzwende", reagierte enttäuscht. „Das ist reine Symbolpolitik, nur um ein Versprechen aus der Vergangenheit vermeintlich einzuhalten." Alle ursprünglichen Ziele, welche mit der Finanztransaktionssteuer verbunden gewesen seien, würden nicht eingehalten: "keine Einschränkung des extrem schnellen Börsenhandels, kein wirklicher Beitrag der Krisenverursacher zum Haushalt und Derivate als hochspekulative Produkte bleiben außen vor". Es stehe sogar zu befürchten, dass die Altersvorsorge belastet werde, während die wirklichen Finanzspekulanten und Krisenverursacher außen vor blieben.
Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Anlegervereinigung DSW, nannte den Scholz-Vorstoß "reine Symbolpolitik" und warf dem Finanzminister "Stimmenfang für die SPD". Wer sich gegen die Finanztransaktionssteuer ausspreche, stelle sich damit zugleich gegen die Grundrente. "Diese Verquickung ist allein taktisch und Herr Scholz spielt damit Bevölkerungsgruppen unfair gegeneinander aus."