Interview mit Jens Spahn: "Ohne gemeinsame Sprache geht Zusammenhalt verloren"
CDU-Politiker Jens Spahn über den Wahlkampf der Union, den Anti-Trump-Kurs der SPD – und Englisch sprechende Kellner in Berlin. Ein Interview.
- Stephan Haselberger
- Antje Sirleschtov
Herr Spahn, don’t you speak English?
I love to speak English. Aber ich finde es trotzdem nicht akzeptabel, wenn die Bedienung in Berliner Kneipen und Restaurants oft ausschließlich Englisch spricht.
Was stört Sie so daran?
Berlin ist die deutsche Hauptstadt, und man sollte merken, ob man dort oder in Rom, Helsinki oder Prag ist. Berlin ist eine internationale Stadt, und deshalb ist es wichtig, dass Kellner auch Englisch sprechen, um ausländische Gäste zu bedienen. Wenn aber nur noch Englisch gesprochen wird, zum Teil sogar von deutschen Kellnern, dann ist das eben kein Ausweis von Internationalität, sondern eher eine provinzielle Selbstverzwergung.
Sehen Sie den Berliner Senat in der Pflicht, gegen sprachliche Verwahrlosung in der Hauptstadt-Gastronomie anzugehen?
Nein! Man muss nicht alles staatlich regeln. Aber das Thema bewegt offensichtlich sehr viele Menschen. Selbst in San Francisco und London ist darüber berichtet worden. Ich habe für diesen Anstoß neben mancher Kritik sehr viel Zustimmung bekommen.
In fünf Wochen ist Wahl, und einer der führenden Köpfe der CDU tritt eine Debatte über englischsprachige Kellner los. Haben Sie keine anderen Probleme?
Sie hätten das Interview ja auch mit einem anderen Thema starten können. Ich spreche jedenfalls mit den Menschen über Themen, die sie bewegen. Dazu gehört auch der Zusammenhalt in der Gesellschaft. Und der kann verloren gehen, wenn wir uns in einer Einwanderungsgesellschaft nicht in einer gemeinsamen Sprache und auf gemeinsame Umgangsformen verständigen.
Man könnte auf den Gedanken kommen, Sie halten die Bundestagswahl für gelaufen und einen Unionssieg für eine ausgemachte Sache...
Im Gegenteil. Wir haben ja gerade bei der Wahl in Großbritannien gesehen, wie schnell die Stimmung kippen kann.
Woran kann Angela Merkel bei dieser Wahl denn noch scheitern?
Wir alle in der CDU können an zu großer Zufriedenheit scheitern, weil die Ausgangslage so günstig erscheint. Deshalb werden wir alle mit voller Kraft bis zur Schließung der Wahllokale kämpfen.
Die SPD und ihr Kanzlerkandidat können Merkel nicht mehr gefährlich werden?
Man soll den Gegner nie unterschätzen. Aber es stellt sich schon die Frage, wer bei der SPD eigentlich der Kandidat ist und das Sagen hat – Herr Schulz oder Herr Gabriel? Der Außenminister treibt im Wahlkampf, wie man es von ihm kennt, Tag für Tag eine neue Sau durchs Dorf, während sich der andere abstrampeln muss, um überhaupt gehört zu werden. Und wenn Herr Schulz mal durchdringt, dann zweifelt man an seiner Eignung. Für jemanden, der von sich behauptet, er kann nicht Nein sagen, ist Bundeskanzler eindeutig der falsche Job.
Geht es bei dieser Wahl nur um Personen – oder auch um Konzepte und Lösungsansätze?
Dass die Menschen in derart unruhigen Zeiten nach Verlässlichkeit und Vertrauen suchen, ist ganz normal. Angela Merkel steht für diese Stabilität. Trotzdem wollen die Bürger im Wahlkampf auch wissen, was wir konkret tun wollen, damit es uns in Deutschland auch in Zukunft so gut geht wie jetzt.
Dann lassen Sie uns über die Diesel-Affäre und die Krise der deutschen Automobilindustrie sprechen. Was genau will die CDU tun, um den Umstieg der Branche auf schadstofffreie Fahrzeugantriebe voranzutreiben?
Es geht um unsere wichtigste Industrie, ihre Zuverlässigkeit und das Vertrauen in ihre Innovationsfähigkeit. Deshalb muss der Diesel-Betrug und der Verdacht auf Kartellabsprachen der Autoindustrie akribisch aufgearbeitet werden. Das darf aber alles nicht dazu führen, die gesamte Autoindustrie und den Diesel-Antrieb insgesamt schlechtzureden.
Sie geben dem Diesel noch eine Zukunft?
Die Politik sollte nicht vorgeben, welche Technologie in Zukunft führend sein soll. Das kann der Elektromotor, der Hybrid- oder der Wasserstoffmotor sein. Es kann aber auch ein ganz neuer, sauberer Diesel sein, mit dem wir die Klimaziele erreichen.
Die Kanzlerin glaubt nicht mehr an die Zukunft von Verbrennungsmotoren. Irrt sie?
Ganz klar ist: Verbrennungsmotoren müssen die von der Politik vorgegebenen Abgasnormen zuverlässig einhalten. Und andere Antriebstechniken deutlich stärker unterstützt werden. Am Ende wird der Markt entscheiden, welcher Antrieb sich durchsetzt. Da stimme ich mit der Kanzlerin überein.
Das wird die Automobilkonzerne aber freuen…
Die deutschen Hersteller haben zu wenig in die Entwicklung anderer Antriebstechnologien investiert und die E-Mobilität zu lange verschlafen. Das muss sich ändern. Entscheidend für die Zukunft der Branche und damit für hunderttausende Arbeitsplätze wird sein, ob sich die deutsche Autoindustrie in einem sich rasant verändernden Markt – hier geht es nicht nur um Antrieb, sondern auch um Themen wie das autonome Fahren – als Weltmarktführer behaupten kann.
Diesel-Fahrzeuge verfallen im Wert, in Städten drohen Fahrverbote. Wird eine CDU-geführte Bundesregierung den betroffenen Diesel-Fahrern nach der Wahl zu ihrem Recht verhelfen und den Weg für Sammelklagen frei machen?
Wir werden uns in der nächsten Legislaturperiode anschauen, wie Verbraucher einfacher zu ihrem Recht kommen können. Es kann dabei aber nur um ein Recht gehen, das Betroffenen hilft, die sich zusammentun. Was wir auf jeden Fall nicht wollen, das sind Millionenklagen von Verbänden, bei denen es nicht um die Sache, sondern nur um Geldschneiderei geht.
In den nächsten Jahren stehen mit der Verkehrs- und der Energiewende riesige ökologische Projekte an. Zeit für ein Bündnis mit den Grünen?
Die Frage ist, ob die Grünen reif für ein solches Bündnis sind. Mit grünen Ideologen wie Jürgen Trittin wird eine Koalition kaum zu machen sein. Mit Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir könnte eine Regierungszusammenarbeit dagegen gut funktionieren. Die Grünen müssen sich entscheiden, ob sie eine linke Partei sein wollen oder eine bürgerliche.
Schwarz-Grün, Schwarz-Gelb oder Schwarz-Grün-Gelb – ist alles besser als eine neue große Koalition?
Ja, wenn alle Beteiligten mitziehen, geht da jeweils mehr als mit einer nochmaligen großen Koalition. Die SPD sehnt sich nach der Opposition, das zeigt sie doch jeden Tag. Da ist die Luft raus. Für die Demokratie ist es ohnehin besser, wenn Regierung und Opposition klar unterscheidbar sind.
Vielen Bürgern ist die schwarz-gelbe Koalition von Angela Merkel und Guido Westerwelle noch in unguter Erinnerung. Was muss diesmal anders werden, damit sich Union und FDP nicht wieder als Gurkentruppe und Wildsäue beschimpfen?
Dieses Mal haben wir beim Steuernsenken einen gemeinsamen Ansatz. Das wird geräuschfrei und schnell gehen. Ich denke, beide Seiten haben in den letzten vier Jahren dazugelernt. Zur Entwicklung der Liberalen kann ich nur sagen: Die ist wirklich beachtlich! Christian Lindner hat in den vergangenen vier Jahren eine Wahnsinnsleistung hingelegt. Die FDP ist gut in Form.
Was kann eine unionsgeführte Bundesregierung ohne die SPD besser machen als in den vergangenen Jahren mit den Sozialdemokraten?
Andere Schwerpunkte setzen. Mit der SPD geht es immer nur ums Umverteilen und viel zu wenig ums Erwirtschaften. Das muss sich ändern. Die SPD fordert immer lediglich plump mehr Geld. Und sie operiert im Wahlkampf mit falschen Zahlen, um ihr Zerrbild von einer sozial ungerechten und gespaltenen Gesellschaft zu verbreiten. Übrigens in einem Land, das sie seit 1998 bis auf vier Jahre durchgehend mitregiert!
Können Sie das belegen?
Arbeitsministerin Nahles behauptet, die Mittel im Haushalt für Langzeitarbeitslose würden gekürzt. Das ist eine glatte Lüge. Es wird überhaupt nichts gekürzt. Dieses und nächstes Jahr steht mehr Geld zur Verfügung, als im letzten Jahr tatsächlich ausgegeben wurde – bei sinkender Langzeitarbeitslosigkeit! Auch bei anderen Themen macht die SPD mit Fantasiezahlen Stimmung. Da wird dreist behauptet, die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen betrage 21 Prozent, dabei sind es nur sechs. Die Sozialdemokraten beschädigen so nicht nur die Glaubwürdigkeit von Politik und Demokratie, sie spalten bewusst die Gesellschaft. Das ist nicht meine Auffassung von Politik.
Die SPD führt einen harten Wahlkampf gegen die Erhöhung der Militärausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts. Bleiben Sie bei Ihrer Aussage, dass man die Sozialleistungen in Zukunft "etwas weniger erhöhen" sollte, um die Verteidigungsausgaben zu steigern?
Niemand will die Sozialausgaben kürzen. Das haben auch die Bundeskanzlerin und die Verteidigungsministerin deutlich gesagt. Was Herr Gabriel da verbreitet, ist schlicht und einfach nicht wahr. Es war übrigens ein SPD-Außenminister, der das Zwei-Prozent-Ziel mitvereinbart hat.
Wo kann bei den Sozialausgaben gespart werden, um die Verteidigungsausgaben zu erhöhen?
Das steht doch gar nicht zur Debatte. Im Gegenteil: Die Sozialausgaben sind in den letzten Jahren stark gestiegen, bereits heute machen sie mehr als die Hälfte der Ausgaben des Bundes aus. Aber dass wir angesichts des islamistischen Terrors und der zunehmenden Unsicherheit in unserer Nachbarschaft als Deutschland und Europa spürbar mehr in unsere Sicherheit investieren werden müssen, kann niemand ernsthaft bezweifeln.
Sigmar Gabriel wirft der Bundeskanzlerin vor, sich mit dem Zwei-Prozent-Ziel der Aufrüstungslogik von Donald Trump zu unterwerfen…
Ich finde es unmöglich, dass Gabriel und Herr Schulz unseren amerikanischen Freunden dauernd den Stinkefinger zeigen. Trump ist nicht die USA und die USA sind nicht Trump. Man kann und muss US-Präsident Trump deutlich kritisieren. Aber die Sozialdemokraten sind sich nicht zu schade, billige Ressentiments gegenüber Amerika zu schüren. Das ist unverantwortlich. Es gibt transatlantische Traditionen, die gerade ein Außenminister nicht mit Füßen treten sollte. Die Vereinigten Staaten sind schließlich der engste Verbündete Deutschlands außerhalb Europas. Wenn sich hier jemand unterwirft, dann die Sozialdemokraten dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Wie kommen Sie zu diesem Vorwurf?
Schulz und Gabriel legen gegenüber Putin vollkommen andere Maßstäbe an als gegenüber Trump. Die USA sind eine funktionierende Demokratie, während der russische Präsident völkerrechtswidrig die Krim annektiert, Schwule verprügeln lässt und Journalisten ins Gefängnis steckt. Sie stehen hier offenbar unter dem Einfluss von Ex-Kanzler Gerhard Schröder, der sich wieder einmal von Putin kaufen lässt. In ihrer Verehrung für den russischen Präsidenten sind die drei sich einig mit den Spaltern vom rechten Rand, das ist schon mehr als erstaunlich.
Warum ist das Engagement von Gerhard Schröder beim russischen Ölkonzern Rosneft keine Privatsache?
Ein Ex-Kanzler hat auch nach Ausscheiden aus dem Amt eine hohe Verantwortung für unser Land. Man darf schon die Frage stellen, welche Interessen Herr Schröder vertritt, wenn er Millionen von russischen Staatskonzernen bekommt. Das alles zeigt, wie sehr die SPD-Führung mit zweierlei Maß misst.
Herr Spahn, Sie gelten in Ihrer Partei als Hoffnungsträger. Wann muss es einen Generationswechsel in der CDU-Führung geben?
Ich kämpfe bis zum 24. September wie viele andere dafür, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt. Zudem sind im Team an der Spitze der CDU doch alle Generationen vertreten.
Merkel hat angekündigt, die gesamte Legislaturperiode im Amt zu bleiben, sollte sie noch einmal zur Kanzlerin gewählt werden. Gilt das auch für den CDU-Vorsitz oder ist es vorstellbar, dass sie den früher abgibt?
Die Bundeskanzlerin hat oft gesagt, dass beide Ämter in eine Hand gehören. Und das ist auch richtig.
Ist Wolfgang Schäuble als Finanzminister gesetzt?
Wolfgang Schäuble hat als Finanzminister eine tolle Bilanz: Viele Jahre ohne neue Schulden, Steuern wurden gesenkt und der Euro in schweren Stürmen zusammengehalten. Und er ist jünger im Kopf als mancher 30jährige. Wenn die Deutschen wollen, dass wir weiter regieren, wird er diesen Kurs als Minister sicher fortsetzen.