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Wagen des Hilfskonvois aus Russland warten an einem Grenz-Kontrollpunkt in der russischen Grenzstadt Donetsk.
© dpa
Update

Ukraine und Russland: Ohne Erlaubnis: Moskau schickt Konvoi über Grenze

Erste Lastwagen des Hilfskonvois aus Moskau haben eigenmächtig die Grenze in die Ostukraine überquert. CDU-Außenexperte Polenz: "Moskau eskaliert die Situation fortwährend". Unterdessen meldet Kiew den Abschuss eines Hubschrauber durch Separatisten.

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Erste Lastwagen aus dem russischen Hilfskonvoi für die Ostukraine sind am Freitag eigenmächtig auf ukrainisches Staatsgebiet gefahren. Das meldeten russische Agenturen vom russischen Grenzübergang Donezk. Moskau hatte zuvor mitgeteilt, nach tagelangem Tauziehen nicht mehr auf das Einverständnis des Roten Kreuzes zu warten.

Der russische Hilfskonvoi soll offenbar in Richtung der umkämpften ostukrainischen Region Lugansk fahren. "Wir ertragen die offenen Lügen und die Weigerung, eine Einigung zu erzielen, nicht länger - Russland hat beschlossen, zu handeln", erklärte das Außenministerium in Moskau am Freitag. Unser humanitärer Hilfskonvoi startet in Richtung Lugansk."

Zuvor hatte es noch Berichte gegeben, wonach die Wagen nach und nach abgefertigt werden sollten. "Die Zollbehörden haben mit der Inspektion begonnen, die Lastwagen sollten rollen", sagte eine Sprecherin des Roten Kreuzes. Andrej Lyssenko vom ukrainischen Sicherheitsrat sagte örtlichen Medien zufolge, die Route zur Verteilung der Hilfsgüter sei beschlossen. Erste Lastwagen standen am Abend im russischen Zollbereich. Am Morgen verzögerte sich die Abfertigung jedoch wieder. Wegen offener Sicherheitsfragen hatte der Konvoi tagelang an der Grenze gestanden.

Ruprecht Polenz: "Moskau eskaliert die Situation fortwährend"

"Der Schritt zeigt, wie groß die Spannungen gerade in der Ost-Ukraine immer noch sind. Man darf den Hilfskonvoi nicht isoliert betrachten, dann ginge man der russischen Propaganda auf den Leim. Man muss das Verhalten Russlands insgesamt sehen - und das ist alles andere als krisenentschärfend, im Gegenteil, Moskau eskaliert die Situation fortwährend", sagte der CDU-Außenexperte Ruprecht Polenz dem Tagesspiegel. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete und langjährige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses forderte von Russlands Präsident Wladimir Putin ein Bekenntnis zur territorialen Integrität der Ukraine. "Russland hätte ja alle Möglichkeiten zur Hilfe in der Ost-Ukraine, wenn es endlich den Forderungen nachkäme, die Grenzen zur Ukraine wirksam zu kontrollieren und dafür zu sorgen, dass keine Kämpfer und Waffen zur Unterstützung der Separatisten mehr ins Land kommen. Russlands Hilfe würde sogar dankbar angenommen - wenn Putin endlich ein klares Bekenntnis zur territorialen Integrität der Ukraine abgeben würde."

Die Kämpfe in der Region um Lugansk in der Ostukraine gehen derweil weiter. Prorussische Separatisten haben nach ukrainischen Angaben in der Nähe der Stadt einen Armeehubschrauber abgeschossen. Bei dem Angriff am Mittwoch sei die Besatzung des Helikopters vom Typ Mi-24 getötet worden, teilte Armeesprecher Andrej Lyssenko in Kiew am Freitag mit.

Warnung vor zu hohen Erwartungen vor Reise Merkels

Entspannung sollen mehrere hochrangige Krisentreffen in den kommenden Tagen bringen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will am Samstag in Kiew mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko über mögliche Unterstützung sprechen. Sie will sich einen eigenen Eindruck von den Auswirkungen der russisch- ukrainischen Krise zu verschaffen. Wenn die mächtigste Frau Europas mitten in einem Bürgerkrieg eine der beiden Konfliktparteien besucht, dann ist das immer eine heikle Mission. Die eigenmächtige Einreise des Konvois in die Ukraine verändere die Ausgangslage laut Polenz nicht weiter. "Man wusste ja, als man den Besuch plante, wie angespannt die Lage in der Ukraine ist. Aber selbst wenn wir Ordnung, Ruhe und Frieden in der Ost-Ukraine hätten, stünde das Land ja nach wie vor riesigen Problemen und braucht unsere Hilfe." 

Vor allem, weil Merkel und ihr Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) seit Wochen auf allen diplomatischen Kanälen als Vermittler tätig sind und Merkels Reise im schlimmsten Fall von Moskau als Parteinahme gewertet und zu einer weiteren Verschärfung der Krise beitragen könnte. Aber auch die hohen Erwartungen, die üblicherweise mit einer solchen Reise einer deutschen Regierungschefin verbunden sind, könnten, wenn Merkel mit leeren Händen zurückkehrt, am Ende sogar dazu führen, dass die Konfliktparteien ihre Konfrontation noch verschärfen.

Merkels Mission der "kleinen Schritte"

In der Bundesregierung wird all das wohl gesehen und schon einmal vorsorglich vor überzogenen Hoffnungen gewarnt. Die Kanzlerin reise in einer Mission der „kleinen Schritte“ nach Kiew, heißt es. Natürlich ist allen bewusst, dass Deutschland zwischen Moskau und Kiew keine Äquidistanz kennt: Wer die Krim-Annektion der Russen als „völkerrechtswidrig“ einstuft und scharfe Wirtschaftssanktionen umsetzt, steht nicht in der Mitte. Merkel war vor Tagen in Lettland, was ein erstes Signal der Solidarität mit den ehemaligen Sowjetstaaten war. Nun also Kiew. Und zwar ausgerechnet am Tag vor dem 24. August, der den Ukrainern seit 1991 besonders wichtig ist, weil an jenem Tag das Parlament in Kiew die Unabhängigkeit erklärte und ein Referendum beschloss, in dem sich die überwältigende Mehrheit der Ukrainer für einen Abschied von Moskau entschied. Übrigens: Nicht auf der Krim, wo das Bevölkerungsvotum beinahe zur Hälfte für Moskau ausfiel.

Merkels Reise-Botschaft als ein Zeichen uneingeschränkter Nähe zu Poroschenko zu werten, wäre dennoch nicht richtig. Man darf zwar erwarten, dass die Kanzlerin freundliche Worte der Stärkung finden wird. Gleichzeitig dürfte sie dem Ukrainer – wenn die Kameras aus sind – aber deutlich zu verstehen geben, dass auch Kiew zu Kompromissen bereit sein muss, wenn die Krise beigelegt werden soll. Konkret wären das Zurückhaltung in der Frage einer Nato-Mitgliedschaft und mehr Offenheit, wenn es um die Beilegung der Grenzstreitigkeiten im Osten des Landes geht.

Poroschenko will mit militärischen Erfolgen beeindrucken

Kommende Woche werden Poroschenko und Russlands Präsident Wladimir Putin aufeinandertreffen. Merkels Reise, heißt es, dient auch dem Ziel zu verhindern, dass bei dem Treffen „zwei D-Züge ungebremst aufeinander rasen“. Das zumindest blieb als schale Erinnerung vom vergangenen Sonntag übrig, als Steinmeier seine beiden Außenamtskollegen in Berlin traf, dort über Waffenstillstand, Grenzregime und Hilfstransporte zunächst Einigkeit erzielt wurde und dann später doch keine der Streitparteien bereit war, auch nur einen Millimeter voran zu gehen, um einem Kompromiss die Chance zu geben.

Merkel reist Samstag nach Kiew.
Merkel reist Samstag nach Kiew.
© Reuters

Den ukrainischen Regierungstruppen liegt daran, der Bundeskanzlerin bei ihrem Besuch Erfolgsmeldungen verkünden zu können. Sie wollen bei ihrer Offensive bis dahin weiter Boden gut gemacht haben. So sollen am Donnerstag fünf Ortschaften von Separatisten gesäubert worden sein. Eine unabhängige Bestätigung dafür gab es einzig für das Dorf Nowaja Kondraschkowa bei Lugansk. In der Stadt selbst werden bei den Kämpfen, die inzwischen zeitweise auch im Zentrum toben, immer mehr Häuser zerstört. Bei Kämpfen in der Region kamen wieder fast 40 Soldaten ums Leben, wie das Innenministerium am Donnerstag mitteilte. Die prorussischen Aufständischen in Donezk berichteten von starkem Artilleriebeschuss durch das Militär.

Doch es gibt auch Meldungen, die für weitere Erfolge der Rebellen sprechen. Bevor der russische Hilfskonvoi an die Grenze zwischen Russland und der Ukraine gelangte, hatten Dutzende von Panzern die Grenze überquert. Ein Lugansker Internetportal vermeldete eine Panzerkolonne von 1,5 Kilometern Länge, die sich beim Einkaufszentrum „Epizentr“ am Stadtrand sammle und Richtung Zentrum weiterbewege. Der ukrainische Armeesprecher Andrej Lysenko wollte dies in Kiew weder bestätigen noch dementieren. Am Donnerstag vermeldete er jedoch, zwei russische Panzer seien in Lugansk in die Hände der Regierungstruppen gelangt. Die Wagenpapiere stammten eindeutig von der Russischen Armee.

60 Prozent der Deutschen fürchten direkten Krieg zwischen Russland und Ukraine

Zwei von drei Deutschen rechnen unterdessen damit, dass Russland nach der Krim weitere Gebiete der Ukraine in sein Staatsgebiet eingliedern will. Diese Meinung vertraten 64 Prozent der Befragten im am Freitag veröffentlichten Politbarometer im Auftrag von Tagesspiegel und ZDF. 60 Prozent fürchten gar, dass es zu einem direkten Krieg zwischen Russland und der Ukraine kommen wird. (mit dpa)

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