Ukrainisch-russischer Konflikt: Odessa – eine Stadt im Kriegsrecht
Ab diesem Mittwoch soll in Odessa das Kriegsrecht gelten. Die Bewohner sind skeptisch, was das Vorgehen der ukrainischen Regierung betrifft. Ein Besuch.
In Odessa, von wo die drei ukrainischen Schiffe am Wochenende ausgelaufen waren, ist die Lage ruhig, aber gespannt. Am Montagabend wurde das Kriegsrecht verkündet, das ab Mittwoch gelten soll. Doch was das bedeutet, weiß niemand. Die sonst so quirlige Millionenstadt ist mangels Touristen in den Winterschlaf gefallen. Auch im Marinehafen gab es am Dienstag keine Bewegung. Die wenigen ukrainischen Kriegsschiffe liegen an ihren Ankerplätzen. Am Tor bedienen die Wachmänner der Hafenbehörde die Schranke. Waffen tragen sie nicht.
Hört man sich um in der Stadt, wird Besorgnis deutlich. Aber vor allem hört man Skepsis, was das Vorgehen der Regierung in Kiew anbetrifft. Englischlehrerin Anna lehnt die Entscheidung für das Kriegsrecht ab. „Im Jahr 2014 war es wirklich gefährlich. Da hätten wir so etwas gebraucht.“
Aber jetzt glaubt sie, dass Poroschenko den Zwischenfall nutzt, um sich bessere Chancen bei der bevorstehenden Präsidentschaftswahl zu verschaffen. Nun sei die Lage sehr unangenehm. Sie fürchte vor allem, dass die eigene Regierung für eine unnötige Eskalation sorge. Auch Taxifahrer Vitali glaubt an eine Provokation durch die ukrainische Seite – und folgt damit ganz der Sichtweise Moskaus. Poroschenko habe die Schiffe absichtlich nach Kertsch geschickt, um die Lage zu eskalieren.
"Das ist unser Gewässer", sagt der ukrainische Ex-Soldat Sascha
Der Bankangestellte Anatoli sieht die Schuld auf beiden Seiten. „Sowohl Poroschenko als auch Putin versuchen, von der Eskalation zu profitieren“, meint er. Ohne große Krise sei Poroschenkos Wiederwahl so gut wie ausgeschlossen. Die Leute seien von ihm enttäuscht, weil es im Kampf gegen die Korruption zu wenig Fortschritte gebe. Er mache sich auch Sorgen um die wirtschaftlichen Folgen, sagt Anatoli. „Wenn die Währung abstürzt, haben wir hier alle verloren.“
Und auf der anderen Seite: Russland gehe langsam das Geld aus, ist er sich sicher. „Sie können schon bald die Renten nicht mehr bezahlen.“ Putin sei so unpopulär wie lange nicht. Da müsse ein äußerer Feind her, um die Bevölkerung zu einen, ist Anatoli überzeugt. Das sei schon 2014 so gewesen.
Ex-Soldat Sascha sieht den Zwischenfall als Show. Er sei Patriot, habe selbst im Donbass gekämpft. Es sei völlig klar, dass Russland der Aggressor sei. „Das sind unsere Gewässer“, sagt er. Dennoch sei es nicht klug, sich dort mit Russland zu messen. „Unsere Flotte ist doch ein Witz verglichen mit der russischen.“ Der einzige Nutzen liege im Machtspiel in Kiew. Auf dem Land habe man die Invasion stoppen können. Doch ohne Hilfe aus dem Westen, aus Amerika und Europa, werde der Konflikt noch lange weitergehen.
Zwischen Odessa und der Krim ist nur das Meer – und das beherrscht Russland. Im Hinterland, in der von Moldawien abtrünnigen Region Transnistrien, sind ebenfalls russische Truppen stationiert. Sascha meint jedoch, dass sich praktisch nichts ändern werde. Außerdem schätzt er die Durchsetzungsfähigkeit seiner Regierung als nicht hoch ein. „Sie haben auch die russischen Webseiten blockieren wollen“, sagt er. Mittlerweile wisse sogar sein Großvater, wie er die Sperren umgehen könne.
Marco Zschieck