Justizreform in Polen: Oberste Richterin widersetzt sich der Zwangspensionierung
Tausende demonstrieren in Warschau gegen die PiS-Regierung. Doch die gibt sich unbeeindruckt - auch gegenüber der EU.
Im Streit um den Zwangsruhestand für Richter an Polens Oberstem Gerichtshof bietet die Vorsitzende Richterin Malgorzata Gersdorf der Regierung die Stirn. Gersdorf erschien am Mittwoch zur Arbeit und protestierte damit gegen die Entscheidung der rechtskonsevativen Regierung, sie in den Ruhestand zu schicken. Tausende Demonstranten in Warschau unterstützten die Richterin. Regierungschef Mateusz Morawiecki beharrte im Europaparlament auf Polens Recht auf ein „Rechtssystem gemäß seiner eigenen Traditionen“.
Sie mische sich nicht in die Politik ein, sagte Gersdorf, als sie am Morgen den Sitz des Obersten Gerichtshofs in Warschau betrat. Sie wolle aber für die Rechtsstaatlichkeit in Polen kämpfen und "die Grenze zwischen der Verfassung und dem Verstoß gegen die Verfassung aufzeigen". Gersdorf wurde vor dem Gerichtsgebäude von 3000 bis 4000 Demonstranten empfangen. Sie riefen „Freie Gerichte“, „Verfassung“ und „Unabsetzbar“. Am Dienstagabend hatten vor dem Gerichtsgebäude bereits rund 5000 Menschen für Gersdorf und deren betroffene Kollegen demonstriert. Dieser trat um Mitternacht in Kraft.
27 Richter kaltgestellt
Das umstrittene Gesetz schickt 27 der 73 Richter am Obersten Gerichtshof in den Zwangsruhestand, die älter als 65 Jahre sind. Bisher lag die Altersgrenze bei 70 Jahren. Neben Gersdorf haben weitere Richter bereits angekündigt, sich der Regelung zu widersetzen.
Staatschef Andrzej Duda hatte Gersdorf am Dienstagnachmittag bedeutet, dass sie für ihn schon im Ruhestand sei. Als Interimspräsident des Obersten Gerichts ernannte er Jozef Iwulski. Gersdorf erklärte daraufhin, dass sie Iwulski zu ihrem Vertreter während ihrer „Abwesenheit“ ernenne. Damit bekräftigte sie, dass sie das Amt weiterhin beansprucht.
Der Zwangsruhestand für Oberste Richter gehört zu einer Reihe umstrittener Justizreformen, deretwegen die EU-Kommission seit 2016 gegen die polnische Regierung vorgeht. Aus Sicht der EU-Kommission beschneiden die Reformen die Unabhängigkeit der Justiz. Wegen des Umgangs mit dem Obersten Gericht hatte sie am Montag ein neues Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet.
Brüssel hat drei Verfahren eingeleitet
Anfang 2016 hatte Brüssel erstmals in der EU-Geschichte ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet, als Warschau die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts beschnitt. Im Dezember folgte dann ein Vertragsverletzungsverfahren wegen eines Gesetzes, das die Befugnisse des Justizministers bei der Besetzung von Richterposten ausweitet. Ein solches Verfahren kann theoretisch bis zum Entzug von Stimmrechten auf EU-Ebene führen. Das Votum darüber muss allerdings einstimmig fallen. Das ebenfalls rechtskonservativ regierte Ungarn hat bereits angekündigt, Sanktionen gegen Warschau nicht mitzutragen.
Vor dem Europaparlament in Straßburg verteidigte der polnische Ministerpräsident Morawiecki am Mittwoch die umstrittenen Justizreformen. „Jedes Land hat ein Recht, sein Rechtssystem gemäß seiner eigenen Traditionen zu errichten“, sagte er. „Einigkeit in Vielfalt“ sowie „Respekt der nationalen Identitäten“ seien grundlegende Prinzipien der EU und „kein leerer Slogan“.
Morawiecki erntete in Straßburg jedoch massive Kritik. Redner aller maßgeblichen Fraktionen betonten, Polen müsse Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als Grundlage der Europäischen Union achten. Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber (CSU), kritisierte, Richter würden in Polen heute wegen ihrer politischen Meinung entlassen. AFP