90.000 gegen Pegida-Demo in Dresden: Oberbürgermeister sieht keine Handhabe für Verbot von Pegida-Marsch
Ausgerechnet heute? Der Widerstand gegen die am Abend geplante Pegida-Kundgebung am Jahrestag der Nazi-Pogromnacht reißt nicht ab. Das Münchner Verwaltungsgericht lehnt eine Verschiebung ab.
Gegen die heutige Pegida-Kundgebung und Demonstration regt sich erheblicher Widerstand. Kritiker von Pegida halten eine Kundgebung am 77. Jahrestag der Pogromnacht an dem geschichtsträchtigen Ort für mehr als problematisch. Sie fordern deshalb ein Verbot der Kundgebung an dieser Stelle oder zumindest eine Verlegung an den Rand der Stadt. Mehr als 90.000 Menschen haben inzwischen eine entsprechende Online-Petition auf der Plattform change.org unterzeichnet. Die Organisatoren verweisen darauf, dass der Theaterplatz zur NS-Zeit als "Adolf-Hitler-Platz" für Aufmärsche diente. Sie sprechen sich dagegen aus, dass er erneut zur "Kulisse für Menschenverachtung und Rassismus" werden soll.
Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) sieht allerdings keine rechtliche Handhabe für ein Verbot oder eine Verlegung. Das sächsische Versammlungsgesetz benenne diesen Tag weder als besonders schützenswert, noch träfen andere Sachverhalte zu, die ein Verbot rechtfertigen würden, sagte Hilbert. Der Versuch, die Kundgebung zu verbieten, würde "auch gegen das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit verstoßen", erklärte Hilbert. Hilbert kritisierte Pegida zugleich deutlich. "Wie viele Dresdnerinnen und Dresdner auch, empfinde ich es beschämend, dass eine solche Gruppe hier entstanden ist und auch großen Zulauf erfahren hat", erklärte er. "Was von der Bühne herab gesagt wird, widert mich genauso an, wie viele andere in diesem Land." Er werde das Grundgesetz aber "nicht wegen eines moralischen Schadens oder für einen Imageverlust außer Kraft setzen".
Am 9. November 1938brannten in Nazi-Deutschland die Synagogen
In einem Offenen Brief in der „Sächsischen Zeitung“ zeigte auch das Bündnis „Weltoffenes Dresden“ Unverständnis für die Genehmigung der Demonstration. „Wir können diese Entscheidung nicht nachvollziehen und sind traurig und zutiefst beschämt darüber, dass am 9. November in unserer Stadt der Verachtung und Beleidigung mehr Raum gegeben wird als der Erinnerung und Mahnung“, hieß es. Die Pogromnächte von 1938 gehörten zu den „dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte“ erklärte der Zusammenschluss der Dresdner Kulturinstitutionen. Der Umgang Dresdens mit diesem Tag sei verantwortungslos und geschichtsvergessen; eine „absolute Unzumutbarkeit für die überwältigende Mehrheit der Dresdner Bevölkerung - sowohl moralisch als auch politisch“, so die Unterzeichner.
Zuvor hatte auch schon der Verein "Stolpersteine für Dresden e.V." in einem offenen Brief an Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert ein Pegida-Verbot oder zumindest eine Verlegung außerhalb der Innenstadt für den geschichtsträchtigen Tag gefordert. Vorsitzender Claus Dethleff wies darauf hin, dass der Verein an den Stolpersteinen in Dresden heute Mahnwachen abhalten wird. "Dass heute wieder Menschen verfolgt werden, Opfer menschenfeindlicher Einstellungen werden und in Angst leben müssen, ist unerträglich", heißt es in dem Brief. "Noch unerträglicher allerdings ist, dass ausgerechnet an diesem Tag eine Großdemonstration in Dresden stattfinden soll, die offen Menschenverachtung und Rassismus propagiert.
In Dresden wird wie in vielen anderen deutschen Städten am Montag an die Opfer der Pogromnacht erinnert. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 waren die Nationalsozialisten zur offenen Gewalt gegen Juden übergegangen. Es brannten Synagogen, jüdische Geschäfte sowie Wohnungen wurden verwüstet und jüdische Bürger misshandelt. Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass dabei mehr als 1300 Menschen ums Leben kamen, mindestens 1400 Synagogen in Deutschland und Österreich wurden stark beschädigt oder zerstört.
Druck auf die Dresdner Versammlungsbehörde - die über die Genehmigung zu entscheiden hat - kommt sowohl aus dem eigenen Haus als auch aus der Landesregierung. Ministerpräsident Stanislaw Tillich sagte MDR Sachsen, ein gewisses Fingerspitzengefühl sei angebracht. Kulturbürgermeisterin Annekathrin Klepsch erklärte, München und Leipzig hätten es vorgemacht und Veranstaltungen der Pegida-Ableger für den 9. November verboten oder verlegt. In Leipzig darf Legida heute nicht "spazieren", sondern nur eine stationäre Kundgebung abhalten.
Die rechtsextreme Pegida-Bewegung darf voraussichtlich auch in München aufmarschieren. Wie das Verwaltungsgericht München mitteilte, gab das Gericht am Montag einem Eilantrag der Pegida-Verantwortlichen gegen eine vom Münchner Kreisverwaltungsreferat angeordnete Verschiebung der für Montag angemeldeten Demonstration auf den Dienstag statt. Die Stadt München kann gegen diesen Beschluss allerdings noch Beschwerde einlegen. Das Kreisverwaltungsgericht sah in der als Erinnerung an den Fall der Mauer am 9. November 1989 angemeldeten Pegida-Versammlung eine Tarnung, tatsächlich sei von nicht hinnehmbaren "hetzerischen Thesen und antisemitischen Provokationen" auszugehen. Dieser Auffassung folgte das Verwaltungsgericht aber nicht. Auch die Zugehörigkeit einzelner Versammlungsteilnehmer zur rechtsextremen Szene genüge nicht als Argument aus, um die zeitliche Verschiebung zu begründen.
Der Münchner Pegida-Ableger findet starken Zuspruch aus der rechtsextremen Szene und wird mittlerweile vom Verfassungsschutz beobachtet. Ursprünglich wollte Pegida München am 9. November vor der Feldherrnhalle am Odeonsplatz aufmarschieren, dies hat das Kreisverwaltungsreferat aber verboten. Gegen dieses Verbot ist Pegida nicht vor Gericht vorgegangen. Vor der am Odeonsplatz gelegenen Feldherrnhalle begann am 9. November 1923 in der Weimarer Republik der Hitler-Ludendorff-Putsch. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 machte Adolf Hitler den Ort zu einer Propagandastätte und ließ dort jedes Jahr am 9. November an seinen gescheiterten Putsch erinnern. In der Vergangenheit nutzten immer mal wieder Neonazis das Gebäude zu provokativen Inszenierungen und ließen sich dort etwa mit dem Hitlergruß ablichten.
Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld:Dagegen muss man hart ankämpfen"
Die Publizistin und Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld warnte eindringlich vor Pegida und anderen rechten Gruppierungen in Deutschland. Im Deutschlandradio Kultur sagte Klarsfeld am Montag, auch Hitler habe anfangs nur „wenig Leute“ gehabt. Und auch heute noch würden bei Krisen in einem Land die Rechten oder die Linken stark. „Dagegen muss man hart ankämpfen“, sagte Klarsfeld. Dieser Kampf müsse von den etablierten Parteien geführt werden. Klarsfeld verlangte unter anderem, die Flüchtlingsunterkünfte besser vor rechten Angriffen zu schützen. Klarsfeld bezeichnete ihr heutiges Verhältnis zu Deutschland als versöhnt. Die Aufstellung als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten durch die Linkspartei und das Bundesverdienstkreuz seien für sie und ihren Mann eine große Befriedigung gewesen, sagte die Publizistin. Früher sei sie als Nestbeschmutzerin in Deutschland bezeichnet worden - Klarsfeld hatte unter anderem den ehemaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger wegen dessen NS-Vergangenheit geohrfeigt. Heute sei anerkannt, „dass wir Recht hatten“ und dass ihre Arbeit richtig gewesen sei, sagte sie. mit epd