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US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Eröffnung der Hannover Messe.
© Julian Stratenschulte/dpa

US-Präsident in Hannover: Obama und Merkel - zwischen TTIP und Mini-Gipfel

Barack Obama besucht letztmalig als US-Präsident Deutschland. Wie sehr belastet die Kritik am Freihandelsabkommen TTIP die Beziehungen beider Länder?

Barack Obamas zweitägige Visite in Hannover steht im Zeichen der wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder. Doch aktuell belasten die Verhandlungen um das Freihandelsabkommen TTIP das Verhältnis. Das geplante Vertragswerk steht vor allem in Deutschland in die Kritik.

Wie ist es um das politische Verhältnis beider Länder bestellt?
Als die Air Force One mit Barack Obama am Sonntag um 12.40 Uhr auf der Nordbahn des Flughafens Hannover-Langenhagen landete, fing es an zu tröpfeln. Später setzte sogar Schneeregen ein, dann folgte wieder Sonnenschein. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der den US-Präsidenten auf dem roten Teppich zwischen dem Spalier des Wachbataillons des Bundeswehr begrüßte, entschuldigte sich erst einmal für das schlechte Wetter in Hannover. „That’s okay“, habe ihm Obama locker geantwortet, berichtete Weil.

Die Wetter-Kapriolen symbolisieren auch das gegenwärtige Klima zwischen der Weltmacht und dem wirtschaftlich stärksten Land der Europäischen Union. Nach der Schnüffelaffäre der NSA, als der US-Geheimdienst selbst vor dem Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht zurückschreckte, war das transatlantische Verhältnis merklich abgekühlt. Beide Seiten betonten zwar immer wieder ihren gegenseitigen Respekt, doch in wichtigen weltpolitischen Fragen drifteten sie auch auseinander.

Welche Bedeutung hat Barack Obamas letzter Besuch in Deutschland?

Seine Visite in Niedersachsen firmiert wegen des Hauptgrundes Hannover Messe trotz des Empfangs mit militärischen Ehren durch die Bundeskanzlerin am Schloss Herrenhausen offiziell zwar nicht als „Staatsbesuch“. Dennoch ist es mehr als ein Abstecher auf einer Abschiedstournee nach acht Jahren Amtszeit, mehr auch als eine Werbetour für die Wirtschaft seines Landes, das in diesem Jahr Partner der Industrieschau ist.

Der US-Präsident hat Forderungen nach einem stärkeren militärischen Engagement Deutschlands an der Ostflanke der Nato ebenso im Gepäck wie ein Lob für Merkels Flüchtlingspolitik und den Umgang der hiesigen Bürger mit der Migrationswelle. „Ich bin stolz auf die Bevölkerung Deutschlands.“

Wie hat sich das Verhältnis von Merkel und Obama entwickelt?

Den mächtigsten Mann der Welt und die Kanzlerin verbindet inzwischen eine professionelle Freundschaft – besiegelt auch durch Gesten wie in Hannover. Küsschen links, Küsschen rechts gab es dort vor dem Schloss, passend zum längst stabiler gewordenen Sonnenschein. Man spricht sich mit den Vornamen an, scherzt vor laufenden Kameras.

Merkel bedankte sich bei Obama für „offene und vertrauensvolle Worte“, der revanchierte sich schmunzelnd mit einem Lob für „Angelas ganz speziellen Humor“. Die nahm dies gern zur Kenntnis. „Unsere bilateralen Beziehungen sind gut“, betonte Merkel, da müsse man eigentlich nicht mehr sonderlich drüber reden.

Gleichwohl gestand sie ihrem Gast zu, das Deutschland die Zusammenarbeit bei der Bewältigung der internationalen Krisen noch intensivieren könne. Er sei froh, dass Merkel „weiter dabei“ sei, erklärte Obama, dessen Amtszeit im Gegensatz zu deutschen Kanzlern auf zwei Wahlperioden begrenzt ist. Neidisch sei er aber keineswegs. „Ich liebe meinen Job“ bekannte der Präsident. „Aber jetzt gebe ich den Staffelstab an den nächsten weiter.“ Für ein großes Land wie den USA sei ein Wechsel „gesund“.

Welche Rolle spielt die US-Wirtschaft für Deutschland?

Die USA sind zu Deutschlands größtem Handelspartner aufgestiegen. 173,2 Milliarden Euro betrug der Wert der Importe und Exporte 2015. Frankreich, das die Spitzenposition lange innehatte, schwächelt. Auch in China sind die Risiken heute größer als die Chancen. Und: Deutschland erzielt einen beträchtlichen Handelsüberschuss gegenüber den USA. Das ist gut für die Jobs hierzulande.

Deutschen Exporten von 113,9 Milliarden Euro standen Einfuhren aus den USA von 59,3 Milliarden Euro gegenüber. Für viele deutsche Konzerne ist das Amerikageschäft ein verlässlicher Pfeiler, der ihnen hilft, Schwankungen in anderen Regionen zu überdauern. Das ist mit ein Grund, warum der Großteil der deutschen Wirtschaft für das TTIP ist.

Warum sind die wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder so intensiv?

Die deutsche und die amerikanische Wirtschaft ergänzen sich, denn sie haben unterschiedliche Stärken. Der Anteil des produzierenden Gewerbes liegt in Deutschland mit rund 22 Prozent doppelt so hoch wie in den USA. Besonders gefragt in Amerika sind Autos, Maschinen und Anlagen, Automatisierungstechnik, Medizintechnik – und vor allem, dass deutsche Unternehmen die gelieferten Produkte auf die speziellen Bedürfnisse ihrer Kunden zuschneiden.

Zum Erfolg der deutschen Exportindustrie gehört, dass sie Niederlassungen und oft auch Produktionsanlagen in den USA unterhält. Das sichert auch Arbeitsplätze in Deutschland, da viele Komponenten über den Atlantik zugeliefert werden. Deutsche Firmen tragen zu der von Obama gewünschten Re-Industrialisierung Amerikas bei. In jüngeren Jahren hat Siemens eine Fabrik für Windräder in Iowa eröffnet – Obama hat sie besucht - und VW ein großes Werk in Chattanooga, Tennessee. Mercedes und BMW produzieren seit den 1990er in den Südstaaten. Die deutschen Firmen haben zum Comeback der USA beigetragen – und davon profitiert.

Die USA hingegen sind Weltspitze in der digitalen Technik. Alle Weltkonzerne der IT-Branche sind in Amerika zu Hause. Das gemeinsame Interesse ist die Verbindung aus den deutschen und amerikanischen Stärken: die Digitalisierung des produzierenden Gewerbes, Schlagwort „Industrie 4.0“.

Ist das Freihandelsabkommen TTIP überhaupt noch zu retten?

Für Irritationen zwischen den USA und Deutschland haben nicht zuletzt die schleppenden Verhandlungen um das transatlantische Freihandelsabkommen gesorgt. Auf dem alten Kontinent wächst die Furcht vor einem unbegrenzten Warenaustausch sowie dem Abbau sozialer, ökologischer und demokratischer Standards. Am Vortag des Obama-Besuchs gingen in Hannover fast mehrere zehntausend Menschen gegen TTIP und seine Kanada-Schwester CETA auf die Straße.

Der US-Präsident, der natürlich die Proteste registriert hatte, betonte nach seinem Treffen mit der Kanzlerin die große Bedeutung des Abkommens für die beiden Handelspartner: „Wir müssen unsere Länder auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig halten“, erklärte Obama mit Blick auf die Konkurrenz aus Asien, insbesondere China. Bei Merkel rannte er damit offene Türen ein. TTIP sei „absolut hilfreich, um unsere Wirtschaft in Europa und Deutschland wachsen zu lassen“, meinte die Regierungschefin und mahnte wie ihr Gast zur Eile beim Vertragsabschluss.

Obama will die Verhandlungen vor dem Ende seiner Amtszeit zumindest so weit vorantreiben, dass ein Zurück ausgeschlossen wird. „Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, den Vertrag noch in diesem Jahr zu unterschreiben“, kündigte der Präsident in seiner Eröffnungsansprache an, bevor er sich auf Deutsch bei seinem Publikum bedankte. Eindringlich warb Obama dort noch einmal für TTIP als Job-Motor für Europa und als Riesenchance gerade für kleinere Unternehmen, aber auch beim Umbau der Energiesysteme. Merkel kündigte weitere intensive Gespräche im Rahmen der Messe an. Ob insbesondere die US-Seite zu Zugeständnissen und mehr Transparenz bereit ist, um die Skepsis in der hiesigen Bevölkerung abzubauen, blieb allerdings offen.

Obama und Merkel werden VW meiden. Was bedeutet das für den Konzern?

Großes Geraune gab es vor den offiziellen Treffen, als das genaue Programm für Merkels und Obamas Messerundgang Montagfrüh bekannt wurde: Halle 3, 9, 11. Volkswagen, größter Arbeitgeber in Niedersachsen, hat seinen Stand aber in Halle 15. Machen die prominenten Besucher also bewusst einen Bogen um den vom Abgas-Skandal gebeutelten Volkswagen-Konzern? Wollte sich Obama angesichts der Prüfungen durch die US-Umweltbehörde und das in Kalifornien laufende Gerichtsverfahren nicht mit der Wolfsburger Führungsriege ablichten lassen?

„Gemach, gemach“, sagte ein Insider. Die Tour über das Messegelände habe man dem engen Zeitplan und den strengen Sicherheitsvorkehrungen anpassen müssen. Für die drei jetzt vorgesehenen Hallen sprächen eben gewichtige Gründe: So sei an Nummer drei mit dem amerikanischen Gemeinschaftsstand absolut kein Weg vorbeigegangen. Womöglich sollte das Programm nicht überbewertet werden, zumal Obama beim Abendessen in Herrenhausen und bei der Messeeröffnung ohnehin auf VW-Konzernchef Matthias Müller treffen sollte.

Welche Themen wurden noch besprochen?

Außerhalb von TTIP reisten die beiden Gesprächspartner durch fast sämtlichen aktuellen Krisenherde der Welt, allen voran Syrien, und zeigten dabei eine große Einigkeit. Das Wiederaufflammen der Kämpfe mit vielen Toten lasse die Welt um die brüchige Waffenruhe bangen, warnte Merkel. Auch die Entwicklungen in Libyen oder Afghanistan müsse man mit Sorge betrachten, erklärte die Kanzlerin und bekam dafür zustimmendes Nicken ihres Gastes. Obama verurteilte die neuen Raketentests von Nordkorea und warf dem Regime eine „Provokation“ vor. „Wir nehmen das sehr ernst.“

Was macht Obama noch am Montag?

Nach dem Messerundgang will der US-Präsident auf dem Gelände im Beisein von Merkel eine längere Grundsatzrede halten. Geladen hierzu sind neben weiteren Politpromis vor allem Studenten. Auch hier wird es strenge Kontrollen geben. Für den Nachmittag hat Merkel auch noch zu einem Minigipfel mit Großbritanniens Premier David Cameron, Frankreichs Präsident François Hollande und Italiens Regierungschef Matteo Renzi geladen. Dieser wird wieder auf Schloss Herrenhausen stattfinden.

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