Merkel in Washington: Obama hofft auf Merkel - Merkel aber kaum auf Obama
Angela Merkel soll beim Staatsbesuch in den USA auf schärfere Sanktionen gegen Russland eingestimmt werden, außerdem hofft Obama auf Fortschritte beim Thema TTIP. Ob dagegen die Kanzlerin bekommt, was sie will, ist fraglich.
Auf dem Flughafen Dulles International werden am frühen Donnerstagabend zwei Persönlichkeiten erwartet. Aus der Regierungsmaschine mit den Farben schwarz-rot-gold steigt dann die stolze Kanzlerin des stärksten europäischen Landes. Mit ihr an seiner Seite hofft der amerikanische Präsident schärfere, ganze Sektoren umfassende Sanktionen gegen Russland auf den Weg bringen zu können. Die Vereinigten Staaten brauchen für eine radikalere Ukraine-Politik den Einklang mit Europa. Auf Angela Merkels Einfluss in der Europäischen Union ruhen deshalb die amerikanischen Hoffnungen.
Keine 100 Meilen entfernt vom Hauptquartier der NSA landet am Donnerstagabend aber auch eine Regierungschefin, die im Zuge der Snowden-Enthüllungen lernen musste, dass ihr Freund, der US-Präsident, sie abhören lässt. In ihrem Gepäck wird Angela Merkel den anhaltenden deutschen Unwillen mitbringen. Sie wird ihn Barack Obama beim Lunch im Weißen Haus servieren. In Gesprächen mit US-Senatoren wird sie auf Aufklärung pochen. Aber schon bevor die Regierungsmaschine überhaupt in Berlin-Tegel abgehoben hat, weiß Merkel: das Thema und jeder, der es überbringt, ist dem amerikanischen Präsidenten lästig.
Genau 24 Stunden wird sich die Bundeskanzlerin in Washington aufhalten. Das Programm ist dicht gepresst. Gespräche mit Vertretern der Wirtschaft sind geplant, Gespräche mit amerikanischen Senatoren. Drei Termine sind bei dem Besuch zentral: eine Rede vor der amerikanischen Handelskammer, ein Treffen mit der Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, und vier Stunden im Weißen Haus.
Obama erhofft sich von Merkel Unterstützung bei TTIP
Die USA hoffen auf ein Signal der deutschen Regierung, das geplante und ins Stocken geratene Handelsabkommen TTIP mit Emphase zu unterstützen. Von Merkel soll in den nächsten Tagen diese Botschaft ausgehen. Emphase würde zwar auch in Washington kaum jemand für dieses komplizierte Verhandlungspaket aufbringen. Obamas Leute jedoch wünschen sich nicht zuletzt angesichts der im November anstehenden Kongresswahlen einen Anschub für die US-Wirtschaft durch einen gemeinsamen Markt ohne Schranken und neue Arbeitsplätze in Millionendimensionen. Das Freihandelsabkommen wird Merkels Auftritt vor der Handelskammer bestimmen. Ihre Rede kann dabei nicht mehr als ein Signal an die europäisch-amerikanischen Gesprächsführer sein; zumal die NSA-Affäre die Gespräche belastet hat.
Jenseits der großen Öffentlichkeit wird Angela Merkel auch das zweite große transatlantische Thema ansprechen. Noch immer wartet die Bundesregierung auf die Beantwortung eines Fragenkataloges zur NSA-Überwachung. Noch immer hoffen Koalitionspolitiker auf ein Signal des Verstehens über den Atlantik. Um einer transatlantischen Einigkeit willen aber, wird sich die deutsche Kanzlerin mit ein paar amerikanischen Floskeln zufrieden geben müssen. Und soweit es die deutsch-amerikanischen Beziehungen betrifft, ist die NSA-Affäre mit dem Besuch dann auch beendet.
Denn wenn von diesem ersten Besuch der deutschen Kanzlerin nach den Snowden-Enthüllungen, wie es Merkels Sprecher in schöner Offenherzigkeit bereits gesagt hat, in dieser Hinsicht nichts zu erwarten ist, dann wird dem auch in Zukunft auf höchster diplomatischer Ebene nichts mehr hinzuzufügen sein.
Das Ausspähen der Kanzlerin ist schon fast Geschichte
Barack Obama wird Angela Merkel einmal mehr eine wichtige Verbündete nennen, vielleicht sogar sein persönliches Bedauern über die Handy-Affäre aussprechen - und dann übergeben die beiden den Skandal um die massenhafte Ausspähung der Deutschen und das Abhören ihrer Kanzler wohl der Zeitgeschichte. Nach derzeitigen Planungen setzt Merkel dem während ihres Besuchs auch nichts entgegen.
Im Oval Office und später beim Lunch im Cabinett Room müssen Merkel und Obama ihr weiteres Vorgehen angesichts der kriegsähnlichen Verhältnisse in der Ost-Ukraine abstimmen. Auch der Besuch bei Christine Lagarde gilt der Ukraine. Nach Monaten der effektarmen Drohungen und scheinbar unzureichenden Sanktionen gegen russische und ukrainische Personen und Institutionen muss der politische Westen, der Japan einschließt, eine wirkungsvollere Gegenstrategie als bisher entwickeln. US-Außenminister John Kerry sagte am Mittwoch, die USA seien „nur noch Zentimeter davon entfernt“ Sanktionen gegen ganze Industrie- oder Handelszweige zu beschließen. Im Visier hat das Weiße Haus den Energiesektor, die Finanzbranche oder die Militärindustrie.
Washington misstraut den Deutschen in politischen Fragen
Den Deutschen wird im politischen Washington ein gewisses Misstrauen entgegengebracht. Man unterstellt ihnen eine zu große Nähe zu Russland; und eine zu große Entfernung zu den USA, getrieben durch Themen wie Guantanamo oder NSA. Zudem gilt die wirtschaftliche Verflechtung deutscher wie anderer europäischer Firmen als großes Hindernis. Andererseits ist sich die US-Regierung dessen bewusst, dass nur die starke deutsche Kanzlerin ein Europa zusammen bringen kann, das die härtere Gangart mitträgt.