Bundestagswahl: Nur die Kleinparteien machen die Wahl spannend
Zwischen Union und SPD scheint die Wahl gelaufen zu sein. Interessanter wird der Stimmenkampf von Grünen und Linken und von FDP und AfD. Eine Analyse.
Ist die Bundestagswahl entschieden? Man kann es so sehen. Jedenfalls zwischen den bestimmenden Kräften. Das neue Politbarometer im Auftrag von ZDF und Tagesspiegel sieht die Union weiterhin klar vor der SPD. 40 Prozent gegenüber 24 Prozent – das Duell der beiden großen Parteien scheint ein klares Ergebnis zu werden. Zwar gehen Wahlforscher davon aus, dass die Union am Ende möglicherweise etwas schlechter abschneiden wird und die SPD etwas besser, je nachdem, wie gut die Mobilisierung der eigenen Anhänger gelingt. Aber dass die Sozialdemokraten in die Verlegenheit kommen, eine Regierung bilden zu können, gilt als eher unwahrscheinlich. Ein guter Indikator für die Stimmung unter den Bürgern sind die Zustimmungswerte der Spitzenkandidaten. Und hier liegt Angela Merkel deutlich vor Martin Schulz. 59 Prozent der Befragten wollen, dass die Kanzlerin im Amt bleibt, 30 Prozent wünschen sich, dass der SPD-Kandidat sie ablöst. Ein solcher Abstand ist üblicherweise ein klares Indiz für den Wahlausgang. Dass drei Viertel der Befragten Merkel eine gute Arbeit attestieren und 55 Prozent sie für kompetenter halten, kommt hinzu. Gar 80 Prozent gehen davon aus, dass Merkel und die Union die Wahl gewinnen werden.
Immerhin 70 Prozent der SPD-Anhänger stehen allerdings hinter Schulz, kein ganz schlechter Wert. Der Kanzlerkandidat hat durchaus die Chance, das aktuelle Potenzial seiner Partei abzurufen. Aber es wird ihm wohl nur sehr begrenzt gelingen, größere Teile der Wählerschaft der anderen Parteien zur SPD zu ziehen oder Nichtwähler in der Mitte in nennenswerter Zahl zum Kreuzchen bei seiner Partei zu bewegen.
Vier Parteien bei acht Prozent
So sieht es danach aus, dass der spannendere Part dieser Bundestagswahl in der zweiten Reihe ausgefochten wird. Das Politbarometer sieht die Grünen, die Linken, die FDP und die AfD aktuell bei jeweils acht Prozent. Geht man davon aus, dass die SPD nicht unbedingt eine Wiederauflage der großen Koalition anstrebt, um in der Opposition wieder an Stärke und frischem Profil zu gewinnen, kommt dem Wettbewerb der Kleinen eine entscheidende Rolle für die Regierungsbildung zu. Genauer gesagt: dem Kampf zwischen Freien Demokraten und Grünen. Denn auch wenn derzeit viel über eine „Jamaika-Koalition“ von CDU/CSU, FDP und Grünen geredet wird, rechnerisch ist eine Zweierkoalition keineswegs ausgeschlossen (Schwarz-Gelb wie auch Schwarz-Grün liegen im Politbarometer bei 48 Prozent), und zum Zug käme am Ende im Fall knapper Stimmenverhältnisse eher die bessere der beiden Kleinparteien. Deren potenzielle Wählerschaft überschneidet sich zwar nicht stark, die einen brauchen Stimmen aus dem Spektrum links der Mitte, die anderen rechts davon. Aber die beiden anderen Kleinen, AfD und Linke, werden die Regierungsorientierung Richtung Schwarz-Grün, Schwarz-Gelb oder „Jamaika“ als Chance sehen. Die Linken werden verstärkt versuchen, potenzielle Grün-Wähler zu sich zu ziehen. Und die AfD wird daran gehen, der FDP Wähler abzuwerben.
Linke will Jüngere mobilisieren
Bei dem Versuch werden die Linken möglicherweise erfolgreicher sein als die AfD. Denn bei den FDP-Anhängern wünscht sich eine Mehrheit Merkel als Kanzlerin, hat also kein Problem mit dem „Weiter so“. Bei den Grünen ist es die Hälfte – was man mit einem „nur“ ergänzen kann oder aber einem „immerhin“. Diese Spaltung der Grünen-Anhängerschaft ist für die Partei aber unangenehm, weil die Linke gerade unter Jüngeren punkten will, für die Merkel die ewige Regierungschefin ist wie einst Helmut Kohl für eine frühere Generation. Zwar hält sich die Partei ein Hintertürchen offen: „Wenn es eine rot-rot-grüne Mehrheit nach der Bundestagswahl gibt, sind wir zu Sondierungsgesprächen bereit“, sagt Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht. Aber da ein Linksbündnis nicht mehr auf der Agenda steht (und bei zusammen 40 Prozent im Politbarometer auch weit von einer Mehrheit entfernt ist), geht die Linke auf reinen Oppositionskurs. „Wir sind die einzige Partei, die klar und deutlich sagt: Wir werden die Kanzlerschaft von Angela Merkel nicht verlängern“, sagte Spitzenkandidat Dietmar Bartsch am Freitag bei der Präsentation der Wahlplakate. Vor allem ein Video, das mit der berühmten Merkel-Raute spielt, ein potenzieller Youtube-Hit, zielt auf jüngere Wähler. Die Grünen, die ebenfalls am Freitag ihre Kampagne vorstellten, setzen ganz auf Inhalt und ihre Kernkompetenzen – Umwelt, Klima, Öko in allen Lebenslagen. Und auf klaren Regierungskurs, im Gegensatz zur Linken, was aus dem Slogan deutlich wird: „Zukunft kann man wollen. Oder machen.“ Der links-grüne Fight um die progressive Großstadtjugend (und unentschiedene ältere Semester links der Mitte) nimmt damit Fahrt auf. Aber auch der Kampf um Stimmen im Lager der Wechselwähler (und Nichtwähler), die Schwarz-Grün als Vernunftoption begrüßen würden – mit der Öko-Partei als Partnerin der Frau mit der Raute, die ebenfalls gegen den Klimawandel kämpft.
Wohin wandern die unzufriedenen Konservativen?
Das zweite Kleinparteienduell läuft ähnlich, dreht sich aber um ganz andere Wählergruppen – vor allem ältere, unzufriedene Bürgerliche mit sehr konservativem Weltbild, die Merkel schon lange zum Teufel wünschen, wegen Euro, Flüchtlingen, Homo-Ehe, Sozialfirlefanz. Die CDU-Chefin schaut auf diese Gruppe auch schon länger nicht mehr, nachdem sie – wie man heute sieht: mit Erfolg – die CDU Richtung Mitte bewegt hat. Diese Rechtskonservativen schweben nun frei im Raum, und da sie meistenteils nicht CSU wählen können, gibt es für sie nur drei Möglichkeiten: die FDP als „bürgerliche“ Alternative, die AfD wegen Euro- Kritik und rechtskonservativem Beharren (die Ex-CDU-Politikerin Erika Steinbach wird ihre Gleichgesinnten mit auf diesen Weg nehmen) oder das Grummeln im Nichtwählermilieu. FDP und AfD konkurrieren damit direkt miteinander. Für Christian Lindner ist das eine eher unangenehme Situation, denn der FDP-Chef ist natürlich wie die Grünen auf Regierungskurs, kann und will den aber nicht so eindeutig erklären, um abtrünnige Unions-Wähler anlocken zu können. Stramme Parolen wiederum könnten FDP-Wähler, die näher zur Mitte stehen, verschrecken. Das macht den Wahlkampf für die Freien Demokraten zu einer Gratwanderung – aus acht können leicht zehn, aber auch sechs Prozent werden.
AfD hat ein Kampagnenproblem
Die AfD dagegen, die unbedingt als stärkste der kleinen Parteien erstmals in den Bundestag einziehen möchte, setzt wie die Linke ganz auf Opposition. Doch sie hat ein Profilierungsproblem. Denn um wirklich gut abzuschneiden, muss sie vor allem im Westen punkten. Im Osten hat sie ihr Potenzial – so gesehen in den Landtagswahlen des vorigen Jahres – ausgeschöpft mit einem weit nach rechts geöffneten nationalistischen Kurs, der auch ehemalige NPD- und DVU-Wähler mitnahm. Genau das aber schreckt bravere Rechtskonservative im Westen ab, die mit braunen Untertönen nicht zu gewinnen sind. Das daraus resultierende Mobilisierungsdilemma ist in der Parteispitze durchaus erkannt worden: Zwei Monate vor der Wahl hat sie jetzt das Wahlkampfteam neu aufgestellt. Spitzenkandidatin Alice Weidel, die aus der AfD eine „freiheitlich-konservative“, euro-kritische Kraft rechts, aber nicht zu weit rechts der CDU machen möchte, hat ihr Veto gegen Plakate eingelegt, weil sie offenbar zu radikal und simpel waren. Nimmt man den latenten Führungsstreit in der Partei hinzu, steht die AfD gegenwärtig nicht sonderlich kampagnenfähig da. Aus acht werden da schneller fünf als zehn Prozent. Dass die Partei mutmaßlich viele Nichtwähler an die Urne bringen wird, hilft ihr nicht unbedingt. Denn die Aussicht, das die AfD in den Bundestag einziehen wird, mobilisiert auch Gegner der Rechtspartei – und zwar rechts wie links der Mitte. Matthias Moehl vom Hamburger Wahlinformationsdienst „election.de“ erwartet daher eine deutlich höhere Wahlbeteiligung – wie zuvor schon bei den Landtagswahlen im Frühjahr und im vorigen Jahr.