Amtseinführung der Bundeskanzlerin: Nun regiert mal schön
Im Kabinett umrahmt von Regierungsprofis ist Merkel wieder Regierungschefin einer Groko. Sie und wir hätten es schlechter treffen können. Ein Kommentar.
Wir reden schon schlecht, was nicht einmal schlecht angefangen hat? Das geht doch nicht. Warum? Aus vielen guten Gründen. Diese Koalition, Angela Merkel zum Vierten, ist nicht bloß die Verlängerung des Status Quo, nach dem Motto: Die Kanzlerin ist die Kanzlerin ist die Kanzlerin. Nein, das ist zwar auch so, was die Person betrifft, aber die ist nicht das allein Wichtige. Und weil das so ist, hat sie auch nicht alle Stimmen der Koalition bekommen. Das war auch nicht im Ernst zu erwarten, nach allem Tamtam und Theater, übrigens in beiden Lagern. Die SPD-Linke, die Unions-Rechte – auf beiden Seiten werden nicht alle jubeln, wenn der Name Merkel aufgerufen wird. Da hätte es noch schlimmer kommen können als 35 Stimmen, die fehlen. Immerhin reicht es auch so. Der alten Konrad Adenauer – den Merkel als nächsten an Jahren im Amt einholen kann – wurde nur mit seiner eigenen Stimme Bundeskanzler.
Nein, es ist vor allem so: Wer sich die Mühe gemacht hat, allein die 28 Seiten zu lesen, die die heutige Koalition im Wesentlichen in einer Nacht zusammengebracht hat, kann nicht anders, als Respekt zu bekunden. Anders als die Lindners und Wagenknechts und Habecks. Denn wird alles das von Union und SPD gemacht, was sie vorhaben, ist die Republik danach eine andere. Bloß mal diese drei Punkte: Die Rente wird verstetigt, die Bildung wird umgebaut, die Pflege wird gestärkt … – die Liste ist lang, und selbst in den kleinsten Spiegelstrichen steckt Veränderung. Von den großen Kapiteln nicht zu schweigen, Europa zum Beispiel. Was hier nicht ganz ohne Belang ist, weil vielleicht die Deutschen unzufrieden damit sind, wie lange das alle gedauert hat nach der Wahl, gut 170 Tage – aber die Welt draußen beneidet uns um die fortdauernde Stabilität, unter welchen Umständen auch immer. Die geschäftsführende Bundesregierung war nicht schwach, sondern führte die Geschäft wirklich weiter, politisch wie ökonomisch. Das Land hat nicht gelitten.
Wann je konnte man das sagen (und jetzt noch umso besser, nach diesem Interregnum): Es gibt eine tiefe deutsche Zivilität, und sie entwickelt auch noch eine eigene Wucht. Das Staatstragende des vergangenen Tages erinnert daran, dass es diesem Bundestag mit dieser Regierung gelingen kann, den Staat zu tragen, Maß und Mitte und Würde zu bewahren. Wie der Bundespräsident zu Recht gesagt hat. Wenngleich es auch als Mahnung des (Schirm-)Herrn dieser Koalition zu verstehen war, jetzt auch in der Tat anständig zu regieren.
Die SPD wird noch besser sein wollen
Aber die Vereidigung der Minister zeigt: Diese Regierung geht über eine Person, geht über eine Merkel hinaus. Wo ihre Kräfte nachlassen, stehen erprobte Regierungschefs bereit, die Lücke zu füllen. So entstehen bestenfalls erst gar keine – eine fast komfortabel zu nennende Situation. Olaf Scholz und Horst Seehofer, die Ex-Länderchefs aus unterschiedlichen Parteien: Regieren können die beiden. Das werden sie auch auf dieser Ebene unter Beweis stellen (wollen). Regieren müssen aber auch alle anderen, wenn sie denn reüssieren wollen. Julia Klöckner in der CDU zum Beispiel, wenn sie mehr als Ministerin werden will, vielleicht als Erstes Ministerpräsidentin. Oder Hubertus Heil in der SPD, der Arbeits- und Sozialminister, wenn er denn einmal selbst Regierungschef werden will, zuhause in Niedersachsen.
Überhaupt wird die SPD besonders gut, ja noch besser sein wollen, damit sie in den Augen der Wähler ihren Gang in die Koalition umso eher rechtfertigt. Die stimmenmäßig schwächste große Koalition kann auf diese Weise die stärkste werden. Zumal Merkel an der Spitze wieder einmal Fortüne hat. Denn das, was sie vor allen anderen kann, ist hier gefragt: Sie kann Dinge sich entwickeln lassen.
Und hat Erfahrungen gesammelt, mit denen sie anderen hierzulande um Jahre voraus ist. Das wird wichtig in einer Welt, die aus den Fugen gerät. Donald Trump, Wladimir Putin, Xi Jinping – auf je unterschiedliche Weise sind in Person eine Herausforderung. Theresa May und ihr Brexit werden immer mehr zur Herausforderung in der Sache. Dazu kommt das unregierbar wirkende, aber in Europa unverzichtbare Heimatland der berühmten Römischen Verträge, Italien. Und der zunehmend ungeduldigere französische Staatschef Emmanuel Macron.
So kann man dann auch sagen: Die neue Regierung steht. Sie ist in allen ihren Teilen auf Stabilität angelegt. Und sie kommt gerade rechtzeitig. Wir hätten es schlechter treffen können.