Patt bei Israel-Wahl: Nun hängt es an Lieberman
Nach der Wahl in Israel hat keines der Lager eine Mehrheit. Sollte Lieberman sein Wahlversprechen halten, dann könnte es einen neuen Premier geben.
Noch hat das Zentrale Wahlkomitee am Mittwochmorgen keine verlässlichen Ergebnisse veröffentlicht. Doch nach allem, was bisher bekannt ist, dürfte die Regierungsbildung in Israel auch nach dieser Parlamentswahl am Dienstag schwierig werden.
Israelische Medien berichteten in den frühen Morgenstunden unter Berufung auf Quellen innerhalb des Wahlkomitees, dass sowohl Netanjahus Likud-Partei als auch das Bündnis Blau-Weiß von Herausforderer Benny Gantz nach Auszählung von knapp 92 Prozent der Wahlzettel bei 32 Sitzen liegen. Damit dürften beide erhebliche Schwierigkeiten haben, eine Koalition von mindestens 61 Sitzen auf die Beine zu stellen.
Nach derzeitigem Stand käme Netanjahus Koalition auf nur 56 Sitze, Gantz’ auf 55 – und auch nur dann, wenn er mit den arabischen Parteien koaliert, was unwahrscheinlich ist. Die Vereinigte Liste der arabischen Parteien geht als drittstärkste Kraft hervor, sie dürfte auf zwölf Sitze kommen.
Offiziell hat das Zentrale Wahlkomitee allerdings erst knapp 35 Prozent der Stimmen ausgewertet. Um Fehler zu verhindern und dem Verdacht auf Wahlfälschung nachzugehen hat das Komitee das Verfahren geändert, wodurch die offiziellen Updates der Zahlen länger auf sich warten lassen als bisher.
Zweite Wahl in diesem Jahr
Die Israelis waren am Dienstag bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr an die Wahlurnen getreten, nachdem es Netanjahu im Mai nicht gelungen war, eine Regierung auf die Beine zu stellen. 69,4 Prozent der wahlberechtigten Israelis gaben ihre Stimme ab, knapp zwei Prozentpunkte mehr als im April. Die erwartete Wahlmüdigkeit der Israelis war nicht eingetreten.
Dass es aber im Fall eines knappen Rennens keine dritte Wahl geben wird, hatte am Dienstag bereits Staatspräsident Reuven Rivlin angekündigt. Er hat die Aufgabe, nach Gesprächen mit allen Parteien eine davon mit der Regierungsbildung zu beauftragen.
Spannend wird in den kommenden Tagen vor allem die Frage, was Königsmacher Avigdor Lieberman von der Partei „Yisrael Beitenu“ (Unser Haus Israel) machen und ob er sich an sein Versprechen halten wird, in keine Koalition mit den ultraorthodoxen Parteien einzutreten.
Lieberman sagte sich von Ultraorthodoxen los
Lieberman gilt als großer Gewinner der Wahl, nach derzeitigem Stand kommt er auf neun Sitze und hätte damit die Anzahl seiner Sitze knapp verdoppelt. Bis zur Wahl im April galt er als natürlicher Partner des rechten Lagers. Doch bei den Koalitionsverhandlungen im Mai zeigte er sich gegenüber den ultraorthodoxen Parteien kompromisslos und versprach danach, nicht mehr mit den Strengreligiösen zu koalieren. Die aber kommen auf etwa 17 Sitze und sind für die Bildung einer rechten Regierung unabdingbar.
Am Abend nach der Wahl hielt Lieberman an seinem Plädoyer für eine große Koalition fest: „Wir haben nur eine Option, eine große, liberale Einheitsregierung mit Yisrael Beitenu, Likud und Blau-Weiß“.
Netanjahu droht eine Anklage
Das Bündnis von Herausforderer Gantz hatte zwar im Vorfeld Bereitschaft bekundet, mit dem Likud Koalitionsgespräche zu führen, allerdings erst, wenn Netanjahu nicht mehr an der Parteispitze steht. Der allerdings dürfte seinen Posten freiwillig nicht räumen.
Ihm droht eine Anklage in drei Korruptionsfällen wegen Betrug, Bestechlichkeit und Untreue. Netanjahu hat immer wieder beteuert, selbst im Fall einer Anklage weiter regieren zu wollen. Spannend wird auch sein, wie sich Netanjahus Likud verhalten und ob die Partei weiterhin hinter ihrem Chef stehen wird. Netanjahu kündigte am Wahlabend an, eine „starke, zionistische Regierung“ zu bilden und warnte vor einer „gefährlichen, anti-zionistischen“ Regierung.
Fragwürdiger Wahlkampf bis zur letzten Minute
Am Wahltag kämpfte er bis zum späten Abend: Wenige Minuten vor Schließung der Wahllokale um 22 Uhr Ortszeit war er noch im Livestream auf Twitter zu sehen: Übermüdet und mit heiserer Stimme rief er die Zuschauer fast verzweifelt dazu auf, noch wählen zu gehen.
Tagsüber griff er auf teilweise fragwürdige Mittel zurück. Sonst zu keinen Interviews mit Journalisten bereit, sprach Netanjahu gleich zwei Mal mit israelischen Radiosendern und veröffentlichte Umfragewerte, was in Israel am Wahltag verboten ist. Seine Likud-Partei kam angesichts der angeblich hohen Wahlbeteiligung in der arabischen Bevölkerung am Mittag zu einem inszenierten Krisentreffen in der Residenz des Premiers zusammen.
Der Wahltag wurde außerdem von Meldungen über Unregelmäßigkeiten in den Wahllokalen überschattet. Einzelne Parteien beklagten, dass die Stimmzettel ihrer Partei teilweise versteckt oder mit ungültigen Zetteln ausgetauscht wurden. In Israel wählen die Bürger, indem sie einen Zettel mit dem jeweiligen Kürzel einer Partei in einen Umschlag stecken.
Das Zentrale Wahlkomitee schloss vorübergehend mehrere Wahllokale, in denen versuchter Wahlbetrug entdeckt worden war. Auch sollen Parteimitarbeiter versucht haben, zu filmen. Ein Gesetzentwurf, um das Filmen in Wahllokalen durch Parteimitarbeiter zu erlauben, scheiterte vorige Woche im Regelungskomitee.
Der Likud hatte den Entwurf eingebracht, angeblich um Wahlbetrug zu verhindern. Kritiker sahen darin vor allem den Versuch, arabische Bürger vom Wählen abzuhalten. Bereits im April hatte der Likud 1200 Parteimitarbeiter mit versteckten Kameras in Wahllokale entsandt. Legal mit Kameras ausgerüstet waren diesmal hingegen rund 3000 Mitarbeiter des Zentralen Wahlkomitees, die die Abläufe in den Wahllokalen beobachten sollten.