Coronavirus in Fleischbetrieb: NRW-Gesundheitsminister ruft Tönnies-Mitarbeiter zum Verbleib in Deutschland auf
Laumann will eng mit Dolmetschern zusammenarbeiten, um Mitarbeiter des Fleischkonzerns aufzuklären. Derweil berät die Landesregierung über weitere Maßnahmen.
Nach dem Corona-Ausbruch beim Fleischkonzern Tönnies hat der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann die Mitarbeiter des Konzerns aufgerufen, in Deutschland zu bleiben.
Die Menschen müssten überzeugt werden, vor Ort zu bleiben, weil sie in Deutschland medizinisch versorgt werden würden, sagte Laumann auf einer Pressekonferenz am Montagnachmittag. "Das muss man den Menschen wirklich erklären", sagte Laumann. Die enge Zusammenarbeit mit Dolmetschern, die polnisch, rumänisch oder bulgarisch sprechen, sei aus diesem Grund "ganz wichtig".
Weiter verkündetet Laumann, dass eine neue Bewertung der Lage in der Fleischfabrik "notwendig" sei. Die Landesregierung wolle am Montagabend dazu beraten.
Die Stadt Gütersloh meldet derweil einen großen Personalmangel bei Behörden. Man habe eine massive Personalanforderung an das Land Nordrhein-Westfalen geschickt, um die Quarantäne für Mitarbeiter und Werksarbeiter der Fleischfabrik kontrollieren zu können, sagte Güterslohs Bürgermeister Henning Schulz in einer Videobotschaft.
Endlich habe man von Tönnies eine umfangreiche Liste mit Wohneinheiten von Vertragsarbeitern bekommen, ergänzte der Bürgermeister. Demnach seien allein in der Stadt Gütersloh mehr als 1000 Vertragsarbeiter der Fleischfabrik untergebracht.
Es gebe 246 Wohneinheiten, für die man kontrollieren müsse, ob die Quarantäne eingehalten werde, sagte Schulz. Das könne das Ordnungsamt der Stadt nicht leisten. „Das ist eine Mammutaufgabe“, sagte der Bürgermeister. Man hoffe jetzt auf Unterstützung vom Land und vom Bund. Die entsprechenden Wohneinheiten seien über das ganze Stadgebiet verstreut.
Für die Bewohner des der Stadt kündigte Schulz an, dass es bald kostenlose Coronatests geben werde. Die Umsetzung werde gerade mit der Kassenärztlichen Vereinigung geklärt.
Arbeitsminister Heil will Tönnies für Schäden haftbar machen
Nach Einschätzung von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) muss der Tönnies-Konzern für durch den Coronavirus-Ausbruch entstandene Schäden haften. "Es muss eine zivilrechtliche Haftung des Unternehmens geben", sagte Heil am Sonntag in der "Bild"-Internetsendung "Die richtigen Fragen". Wer durch Regelverstöße die Verbreitung des Coronavirus auslöse, müsse dafür auch haften.
Heil geht nicht davon aus, dass der Tönnies-Konzern mit Mitteln aus den staatlichen Rettungsschirmen unterstützt werden muss. Das Unternehmen habe in den vergangenen Jahren "wahnsinnig viel Geld verdient".
Der Chef des Fleischkonzerns, Clemens Tönnies, hatte sich am Samstag öffentlich für den Ausbruch des Erregers unter Mitarbeitern seines Betriebs entschuldigt. Der Konzern stehe in "voller Verantwortung", sagte er.
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter appellierte an den Unternehmenschef, die durch den Virus-Ausbruch entstandenen Kosten aus seinem Privatvermögen zu bestreiten. Wenn Tönnies seine Entschuldigung ernst meine, "würde er die Kosten aus seinem Privatvermögen tilgen - nicht aus dem Firmen-Vermögen", sagte Hofreiter in "Die richtigen Fragen".
[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Krise live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Nach Angaben des Kreises Gütersloh, in dem Rheda-Wiedenbrück liegt, wurden die Reihentests auf dem Tönnies-Gelände am Samstag abgeschlossen. Demnach lagen zunächst 5899 Befunde vor. Davon waren 1331 positiv, also mehr als ein Fünftel. Die komplette Tönnies-Belegschaft steht derzeit unter Quarantäne.
SPD-Chef Walter-Borjans plädiert für höhere Fleischpreise
Die Serie von Coronavirus-Ausbrüchen in der deutschen Fleischbranche hat eine Debatte über die dortigen Arbeitsbedingungen sowie die Niedrigpreise für Fleischprodukte entfacht. Das Bundeskabinett hatte bereits im Mai neue Auflagen für die Branche auf den Weg gebracht.
Vorgesehen ist unter anderem ein Verbot von Werkverträgen, das ab dem 1. Januar 2021 gelten soll. Danach sollen nur Angestellte des eigenen Betriebs Tiere schlachten und zerlegen dürfen.
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans forderte am Sonntag höhere Fleischpreise und eine Debatte über Verteilungsgerechtigkeit in Deutschland. "Fleisch ist ein Produkt, das mit hohem Einsatz an Energie und anderen Rohstoffen entsteht.
Wert und Preis stehen oft in einem krassen Missverhältnis", sagte Walter-Borjans dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der Fall Tönnies zeige, "wie wenig Beachtung der Frage geschenkt wird, wie Nahrung - immerhin unsere wichtigste Lebensgrundlage - produziert wird".
Alles sei "dem Gewinnstreben und der Effizienz untergeordnet", kritisierte der SPD-Vorsitzende. Dabei habe Politik die Aufgabe, gute Arbeitsbedingungen und artgerechte Tierhaltung zu gewährleisten. Dies verteuere Produkte natürlich. "Deshalb gehört zur Lösung dazu, dass Klein- und Mittelverdienende mehr Geld in der Tasche haben - durch faire Löhne und ein gerechtes Steuersystem", betonte Walter-Borjans. (Tsp, AFP)