Lauterbach kritisiert Beschluss gegen Lockdown in Gütersloh: „Der Ausbruch konnte sich längst auf die Bevölkerung ausdehnen“
Trotz mindestens 1331 Infizierten in der Fleischfabrik Tönnies sieht NRW-Ministerpräsident Laschet von einem Lockdown für die Region ab. Das stößt auf Kritik.
Nach dem massiven Corona-Ausbruch in der Großschlachterei Tönnies im nordrhein-westfälischen Kreis Gütersloh sieht das Land vorerst von einem Lockdown für die Region ab. Er könne aber ein massives Runterfahren des öffentlichen Lebens nicht ausschließen, wenn es zu einer höheren Zahl an Infizierten kommen werde, sagte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Sonntag nach einem Treffen mit dem Krisenstab in Gütersloh.
Es gebe „ein enormes Pandemie-Risiko“, warnte Laschet. Das Infektionsgeschehen sei jedoch bei der Firma lokalisierbar, und es gebe keine Infektionskette in die übrige Bevölkerung der Region.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält die Entscheidung für falsch. „Der Ausbruch blieb so lange unentdeckt, dass er sich längst auf die Bevölkerung ausdehnen konnte“, twitterte er.
Die Zahl der Corona-Infizierten in der Fleischfabrik stieg am Sonntag den Behörden zufolge auf 1331. Die Reihentestungen auf dem Gelände der Firma seien am Samstag abgeschlossen worden, hieß es. Insgesamt 6139 Tests seien gemacht worden, 5899 Befunde lägen bereits vor.
[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]
Bei 4568 Beschäftigten konnte demnach das Virus nicht nachgewiesen werden. „Bei den Testungen zeigte sich, dass die Zahl der positiven Befunde außerhalb der Zerlegung deutlich niedriger sind als in diesem Betriebsteil“, hieß es weiter.
In den vier Krankenhäusern im Landkreis werden derzeit 21 Covid-19-Patienten stationär behandelt. Davon liegen 6 Personen auf der Intensivstation, zwei von ihnen müssen beatmet werden. Fünf der sechs sind nach Angaben des Kreises Tönnies-Beschäftigte.
Landrat Sven-Georg Adenauer (CDU) wies am Sonntag darauf hin, „dass wir für alle Menschen im Kreis Gütersloh ein Angebot bereithalten werden in den nächsten Tagen, sich kostenlos zu testen“. Die Firma Tönnis kündigte an, die Kosten für die flächendeckenden Tests zu übernehmen.
Mehr zum Corona-Ausbruch bei Tönnies:
- Infizierte bei Schlachtbetrieb: Vertrauen in die Firma Tönnies „gleich Null“
- Auswirkungen der Corona-Infektionen: Kann von Fleischprodukten Covid19-Gefahr ausgehen?
- Nach massiven Ausbruch: Arbeitsminister Heil plant Kontrolloffensive im Fleischsektor
Armin Laschet nimmt derweil Unternehmer Clemens Tönnies in die Pflicht. „Wir werden auch Herrn Tönnies beim Wort nehmen, dass er gesagt hat, es kann keinen Zustand geben wie zuvor. Wir brauchen neue Regeln, neue Bedingungen - und das ist auch das, was wir vom Unternehmen erwarten“, sagte Laschet (CDU) am Sonntag in Gütersloh.
Zu einer Aussage von Clemens Tönnies, das Unternehmen habe aus datenschutzrechtlichen Gründen den Behörden nicht die Wohnadressen aller Mitarbeiter nennen können, sagte Laschet: „Wir müssen einen Zustand herstellen - gerade als Lehre aus der Pandemie -, dass zu jeder Zeit feststellbar ist: welcher Mitarbeiter arbeitet im Unternehmen und wo wohnt er“, sagte Laschet. In dieser Frage gebe es im Moment verschiedene Rechtsauffassungen. Gegebenenfalls müssten Gesetze entsprechend geändert werden.
[Jeden Morgen informieren wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, in unserer Morgenlage über die politischen Entscheidungen, Nachrichten und Hintergründe. Zur kostenlosen Anmeldung geht es hier.]
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) droht unterdessen einen noch schärferen Kurs der Politik gegen die Fleischindustrie an. Mit der Fleischwirtschaft könne es „keine freiwilligen Vereinbarungen geben, sondern nur klare gesetzliche Vorgaben, egal wer der Besitzer ist“, sagte Laumann am Sonntag nach Krisengesprächen im betroffenen Kreis Gütersloh.
Laumann forderte mehr Transparenz der Unternehmen vor allem bei Meldepflichten und der Arbeitszeiterfassung. Tönnies habe bis zuletzt die Einführung einer digitalen Zeiterfassung abgelehnt, kritisierte der Minister. Zwar habe es Ende Mai in einem Bericht des Arbeitsschutzes keine Beanstandungen gegeben.
Zugleich äußerte Laumann aber Misstrauen in die Ergebnisse. „Bis der da ist, wo die Musik spielt, da vergeht Zeit“, sagte er über die Probleme des Arbeitsschutzes, die Schlachthöfe zu kontrollieren. Die Behörden müssten vor den Prüfungen durch etliche Schleusen, bis sie vor Ort seien. (Tsp, dpa, epd)