Bürgerkrieg in Syrien: Not und Tod in Aleppo
Trotz Waffenruhe sterben in Aleppo täglich Zivilisten. Welche Folgen hat das für den Krieg in Syrien?
Die Friedengespräche für Syrien sind unterbrochen, die Waffenruhe hält offenkundig nicht. Vor allem Aleppo liegt praktisch unter Dauerbeschuss. Sollte Machthaber Baschar al Assad die symbolträchtige Stadt unter seine Kontrolle bekommen, würde dies wohl das endgültige Ende für den politischen Friedensprozess bedeuten. Die nächsten Tage könnten also entscheidend für die Zukunft des Bürgerkriegslandes sein.
Wie sieht die militärische Situation in Aleppo aus?
Die nordsyrische Stadt gilt als einer der wichtigsten Schlachtfelder des Krieges. Dort stehen sich Assads Truppen und Rebellenverbände schon seit Jahren gegenüber. Um die einstige Wirtschaftsmetropole des Landes wird so erbittert gekämpft, weil ihre Einnahme durch Regierungssoldaten und verbündete Milizen ein militärischer wie propagandistischer Triumph des Machthabers über die Aufständischen wäre. Das erklärt wohl auch, warum das Regime derzeit alles daran setzt, Aleppo wieder vollständig unter Kontrolle zu bekommen. Schon vor Wochen hatte Ministerpräsident Wael al Halki erklärt: „Wir bereiten uns darauf vor, Aleppo zurückzuerobern.“ Von der Ende Februar beschlossenen Waffenruhe war die belagerte Stadt weitgehend ausgenommen, weil das Regime vorgibt, dort gegen den „Terroristen“ zu kämpfen. Auch Russland, das Assad ohnehin militärisch massiv unterstützt, hat sich dieser Lesart angeschlossen. Vizeaußenminister Gennadi Gatilow stellte am Samstag klar, dass Moskau keinen Druck auf die syrische Führung ausüben werde, die Gewalt einzustellen. Es gehe um die Liquidierung des „Islamischen Staats“. Allerdings ist der IS selbst in Aleppo nicht präsent, dafür aber die Al Qaida nahestehende Nusra-Front. In den vergangenen Tagen hat die Intensität der Kämpfe nochmals deutlich zugenommen.
Welche Folgen hat das für die Bevölkerung?
Man kann sich kaum ausmalen, unter welchen Bedingungen die Bewohner Aleppos leben. Helfer berichten von massivem Beschuss fast der ganzen Stadt mit Raketen und Mörsergranaten. Am schlimmsten ist die Lage in den Stadtvierteln, die von der Opposition gehalten werden. Syrische und russische Kampfjets fliegen hier täglich Luftangriffe, 30 waren es allein am Samstag. Mindestens 250 Menschen kamen in der seit zehn Tagen andauernden jüngsten Offensive des Regimes zur Rückeroberung Aleppos bisher ums Leben – die meisten in den Oppositionsgebieten. Auch zwei Krankenhäuser wurden bombardiert. Es sind nicht die ersten medizinischen Einrichtungen, die das Regime wohl bewusst unter Feuer nimmt, um die Bevölkerung in den Oppositionshochburgen zu demoralisieren. Nun gehörte offenbar auch der letzte Kinderarzt Aleppos zu den Todesopfern, wie ein Mitarbeiter der österreichischen Caritas der Nachrichtenagentur KNA sagte. Die Projektkoordinatorin der katholischen Hilfsorganisation, Hanan Bali, harrt dennoch weiter in der Stadt aus. Ihren Kollegen in Salzburg schilderte sie, dass immer wieder Pick-ups an ihrem Büro vorbeiführen, deren Ladeflächen mit Verletzten oder Toten überfüllt seien. Die meisten Opfer seien Kinder.
Können die Hilfsorganisationen die Menschen überhaupt noch erreichen?
In den vom Regime beherrschten Vierteln Aleppos ist die Versorgung der Zivilbevölkerung noch weitgehend sichergestellt. In den Oppositionshochburgen fehlt es den Bewohnern dagegen am Nötigsten. Schätzungen zufolge leben dort noch mehr 250.000 Menschen. Es sind vor allem arme Syrer, die sich eine Flucht nicht leisten können. Der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Rudolf Seiters, sagte der „Osnabrücker Zeitung“, die Lage der Menschen in Aleppo sei katastrophal. Lebensmittel und Medikamente werden knapp, die medizinische Versorgung ist praktisch zusammengebrochen. Hilfskonvois kommen nur noch selten in die umkämpfte Stadt durch. Immer wieder geraten selbst klar gekennzeichnete Fahrzeuge der UN oder anderer Organisationen unter Beschuss. Auch das gehört zur Kriegstaktik des Assad-Regimes, das zum Teil mit mittelalterlichen Methoden gegen die eigene Bevölkerung vorgeht. Die Führung in Damaskus riegelt beispielsweise ganze Städte ab, um Rebellenanhänger auszuhungern.
Ist der Waffenstillstand damit endgültig gescheitert?
Die von den USA und Russland eingeforderte Feuerpause trat am 27. Februar offiziell in Kraft. In den ersten Tagen danach nahm die Gewalt tatsächlich deutlich ab. Doch schon nach kurzer Zeit wurde an verschiedenen Fronten wieder geschossen und gebombt. „Brüchig“ war ein in den vergangenen Tagen oft gehörtes Wort, wenn es um die Waffenruhe ging. Vor allem Assad und seine Verbündeten flogen schon bald wieder vereinzelt Angriffe auf von Rebellen gehaltene Orte. Nicht zuletzt um zuvor eroberte Gebiete zu sichern. Denn seitdem Moskau im September 2015 zugunsten Assads in den Krieg eingegriffen hat, sind dessen Einheiten wieder auf dem Vormarsch. Es scheint, dass das Regime aus einem Gefühl der Stärke heraus den Konflikt allein auf dem Schlachtfeld entscheiden wolle. Der Waffenstillstand zumindest gilt nach Überzeugung von Diplomaten und Experten als gescheitert.
Gleiches gilt laut Beobachtern auch für die Friedensgespräche in Genf – sie sind vergangene Woche ohne ein Ergebnis zuende gegangen. Wann sie wieder aufgenommen werden, ist derzeit völlig offen. Zu sehr liegen die Positionen der Regime-Vertreter und der Opposition auseinander. UN-Vermittler Staffan de Mistura ist es bisher nicht gelungen, den Rivalen Kompromisse abzuringen.
Wie groß sind noch die Chancen für eine diplomatische Lösung?
Am Mittwoch werden UN-Vermittler de Mistura und der Oppositionskoordinator Riad Hidschab in Berlin erwartet. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) will mit ihnen „neue Ideen“ für den Friedensprozess erörtern. Angesichts der aktuellen Kämpfe gibt es allerdings kaum Ansätze für neue Initiativen. Entscheidend ist vielmehr, wie sich Russland in den kommenden Tagen und Wochen verhält. Erst, wenn Moskau seine militärische Unterstützung für das syrische Regime zurückfährt, wird Assad vermutlich bereit sein für Zugeständnisse. Derzeit sieht es allerdings nicht danach aus, dass Russland mäßigend eingreift.