Atomstreit mit Pjöngjang: Nordkorea: Europa ist am Zug
Die USA haben im Konflikt mit Nordkorea ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Europa aber hätte gute Chancen, in der Krise etwas zu bewegen. Ein Gastkommentar.
Während Kim Jong Un mit einem weiteren Langstrecken- und einem neuerlichen Atombombentest den Konflikt um sein illegales Nuklearwaffenprogramm weiter eskaliert, kann Washington kaum anders reagieren als mit Worten, inzwischen ohne Durchschlagskraft: Donald Trump droht mit "Feuer und Wut", seine Botschafterin bei der UNO unterstellt Nordkorea, es bettele um Krieg.
Die Gefahr ist so doppelter Natur. Trumps Furcht, als handlungsunfähiger Phrasendrescher dazustehen, könnte ihn irgendwann doch zu einem militärischen Schlag zwingen. Kim Jong Un seinerseits könnte versucht sein, die Eskalationsschraube ein Stück zu weit zu drehen und, wie schon früher, Südkorea mit militärischen Nadelstichen provozieren. Von einem Krieg wäre auch Europa über seine engen Wirtschaftsbeziehungen zu China, Japan und Südkorea empfindlich betroffen. Die Lunte glimmt – die EU sollte die Chance nutzen, sie zu löschen. Ihr Eingreifen dürfte einige Aussicht auf Erfolg haben.
Konfliktparteien auf ausgetretenen Pfaden
So lange die vierteljahrhundertjährige Geschichte des nordkoreanischen Atomprogramms auch ist, so sehr wiederholen sich die Muster der internationalen Bemühungen, das Land davon abzubringen. Immer wieder wird versucht, Pjöngjang zu überzeugen, dass eine Beendigung des Atomprogramms durch massive westliche Wirtschaftshilfen belohnt würde. Da die Führung Nordkoreas aber sicher ist, dass der Westen das Regime stürzen will, sieht sie sich gezwungen, die Welt auf Dauer in Atem und die Nachbarn des Landes in Angst vor dessen Absichten zu halten.
Das Problem ist, dass bisher niemand einen Weg gefunden hat, die auseinanderklaffenden Interessen der direkt am Konflikt beteiligten Parteien in Einklang zu bringen. Nordkoreas Regime, seit Jahrzehnten am Rand des wirtschaftlichen Abgrunds, sieht in der atomaren Bewaffnung eine Versicherung gegenüber allen äußeren Feinden.
Südkorea, bereits einmal von Nordkorea angegriffen, fürchtet einen Militärschlag und hängt von der Allianz mit den USA ab; noch immer sind alle Versuche, durch Entspannungspolitik nach deutschem Vorbild ein friedliches Miteinander mit Nordkorea zu erreichen, gescheitert. Japan hält Atomwaffen Pjöngjangs für eine direkte Gefahr und muss sich gleichfalls auf das Bündnis mit den USA verlassen. Russland, von dem die Technologie Nordkoreas für Atomwaffen und Langstreckenraketen ursprünglich stammt, will keine Dominanz der USA in Ostasien und ist mit der nordkoreanischen Bedrohung nicht unzufrieden, so lange sie sich gegen den Westen richtet.
Die USA sind Schutzmacht Südkoreas und Japans und wollen die Stabilität in Asien sichern; zugleich wollen sie der Weiterverbreitung von Atomwaffen in andere gefährliche Hände vorbeugen. Sie wissen aber auch, dass ein militärischer Schlag gegen die atomaren Installationen Pjöngjangs zu einem für Südkorea katastrophalen Krieg führen würde. Auf ihre Veranlassung hat deshalb die UNO immer wieder neue Sanktionen gegen Nordkorea verhängt.
China schließlich will keinesfalls eine Vereinigung der beiden Koreas erlauben, die das Bündnis Seouls mit den USA zur Gefahr für Peking werden lassen könnte, und erhält das nordkoreanische Regime zähneknirschend am Leben – auch wenn ihm ein Nordkorea ohne Atomwaffen lieber wäre. So liefert Peking Energie und Konsumwaren nach Nordkorea, gestattet Kleininvestitionen chinesischer Unternehmer in dem Nachbarland und den Aufenthalt mehrerer Hunderttausend nordkoreanischer Gastarbeiter in Nordostchina. Vor diesem Hintergrund hat Europa niemals einen Hebelpunkt gesehen, von wo aus es zur Abrüstung Nordkoreas hätte beitragen können.
Auch China fürchtet die Eskalation
Mit einem hat Donald Trump recht: Mit seiner wirtschaftlichen Unterstützung hält Peking das Schicksal des Regimes in Nordkorea in der Hand. Wie der UN-Sanktionsausschuss in diesem Jahr feststellte, beeindrucken die Sanktionen Pjöngjang eben deshalb so wenig, weil Peking ihre Umgehung zulässt, Trump hat deshalb vom Anbeginn seiner Amtszeit an Peking mit Wirtschaftsmaßnahmen gedroht. Er will es zwingen, seinen Einfluss auf Pjöngjang geltend zu machen.
Die Drohungen aber sind hohl: China liefert viermal so viel in die USA wie Amerika nach China exportiert, die amerikanische Abhängigkeit von den Wirtschaftsbeziehungen zu China ist viel zu groß. Das hat auch Peking durchschaut. Immerhin aber erkennt auch die chinesische Führung heute, wie greifbar das Risiko ist, dass die Entwicklung auf einer der beiden Seiten außer Kontrolle gerät. Es appelliert daher immer wieder, es müsse eine diplomatische Lösung gefunden werden, ohne aber je konkret zu sagen, wie das funktionieren sollte.
Hier könnte die EU einhaken. Sie ist nach den USA der wichtigste Wirtschaftspartner Chinas weltweit. Ihr hört man in Peking zu, und ihre Einwirkungschancen sind ungleich größer als die eines amerikanischen Präsidenten, dessen Drohgesten längst als haltlos entlarvt sind. Es gilt, Peking mit Vernunft zu überzeugen, mit umsichtig kalibrierten Druckmaßnahmen, etwa einer Umsetzung auch härterer Sanktionsmaßnahmen über einen längeren Zeitraum als bisher vorgesehen, Pjöngjang zum Einlenken zu bewegen. Wenn Kim Jong Un versteht, dass es nicht um seinen Sturz geht, sollte ihm ein Weg zu Abrüstung seiner Atomwaffen gangbar erscheinen. Das kann nur China erreichen. Die EU ist in einer besseren Position als andere, Peking diplomatisch zu überzeugen.
Botschafter a.D. Dr. Volker Stanzel forscht als Gastwissenschaftler an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) u.a. zur Innen- und Außenpolitik Chinas und Ostasien. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Text ist auch auf der SWP-Website in der Rubrik Kurz gesagt erschienen.
Volker Stanzel