Ukraine-Krise : Nord Stream 2 als Druckmittel
Eine russische Aggression könnte zum Aus für Nord Stream 2 führen. Vor allem die Grünen betonen dies, aber auch aus der SPD gibt es jetzt solche Forderungen.
Als Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Mittwoch zu ihrem Antrittsbesuch nach Washington reiste, wusste sie, dass Fragen zum Pipeline-Projekt Nord Stream 2 auf sie zukommen würden. Während Russlands Präsident Wladimir Putin die Ukraine bedroht, kommt der Erdgasleitung in der Ostsee eine strategische Bedeutung zu. Die USA und osteuropäische Staaten wie Polen lehnen das Projekt daher strikt ab. Dagegen verweist die Bundesregierung in der Regel zunächst einmal darauf, dass die Bundesnetzagentur den Zertifizierungsprozess für Nord Stream ohnehin derzeit ausgesetzt hat.
Das tat auch Baerbock am Mittwoch während ihrer gemeinsamen Pressekonferenz mit ihrem US-Amtskollegen Antony Blinken im ersten Teil ihrer Antwort angesichts der Frage, ob ein russischer Angriff auf die Ukraine zu einem Aus für Nord Stream 2 führen werde. Dann aber verwies die Außenministerin auf „geopolitische Implikationen“ des Röhrenprojektes.
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Ähnlich deutlich hatte sich auch Blinken zuvor bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Blick auf Nord Stream 2 geäußert. Im Fall einer Aggression Russlands gegenüber der Ukraine seien künftige Gaslieferungen über die Pipeline nur schwer vorstellbar, hatte Blinken gesagt. „Einige mögen Nord Stream 2 als einen Hebel betrachten, den Russland gegen Europa benutzen kann. Tatsächlich ist es ein Hebel, den Europa gegen Russland einsetzen kann“, so Blinken.
Baerbock stellt „effektive Maßnahmen“ in den Raum
Baerbock machte in Washington zwar klar, dass es angesichts der angespannten Lage an der Ostgrenze der Ukraine in erster Linie darum gehe, eine Deeskalation herbeizuführen. Dennoch betonte sie auch, dass die Bundesregierung gemeinsam mit den EU-Partnern „effektive Maßnahmen“ einleiten würde, falls Russland Energie als Waffe einsetzen oder die aggressiven Handlungen gegenüber der Ukraine fortsetzen sollte.
Zu welchen Sanktionen sollten die EU-Staaten im Fall eines russischen Angriffs auf die Ukraine greifen? Mit eben dieser Frage hatte sich im vergangenen Monat auch ein EU-Gipfel in Brüssel beschäftigt. Allerdings war die Antwort von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf die Frage, ob die Beendigung des Pipeline-Projektes auch zu den möglichen Gegenmaßnahmen gehöre, weniger deutlich ausgefallen als Baerbocks Äußerungen in Washington. Scholz hatte erklärt, dass die Pipeline ein rein „privatwirtschaftliches Vorhaben“ sei.
Dagegen hatte unter anderem Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki bei dem EU-Treffen noch gefordert, dass die Gaspipeline bei denkbaren Strafmaßnahmen „ein Teil des großen Puzzle“ sein müsse. Auch Lettlands Regierungschef Krisjanis Karins hatte verlangt, dass das Projekt gestoppt werden müsse, falls Russlands militärische Aktivitäten an der ukrainischen Ostgrenze weiter zunehmen.
Am Ende hatte sich der EU-Gipfel auf die Formulierung geeinigt, dass eine Aggression gegenüber der Ukraine „massive Konsequenzen und hohe Kosten nach sich ziehen“ werde, „einschließlich mit Partnern abgestimmter restriktiver Maßnahmen“. Welche Gegenmaßnahmen dies sein dürften, ließen die 27 EU-Staaten im Detail bewusst offen. Ein Aus für Nord Stream 2 könnte aber durchaus dazu zählen – auch wenn Scholz zunächst einmal einen derartigen Automatismus im Fall einer militärischen Eskalation ablehnt.
SPD-Europaabgeordneter Geier: Lösung liegt in Diversifizierung
Auch bei den Sozialdemokraten in Brüssel wird sehr wohl gesehen, dass das Pipeline-Projekt keineswegs sakrosankt ist. So gab der SPD-Europaabgeordnete Jens Geier zwar zu bedenken, dass die Energiepreise in Europa derzeit ungewöhnlich hoch sind. „Wenn man in dieser Lage auf Lieferanten verzichten will, schafft man Monopole, die zwangsläufig zu einer zusätzlichen Verteuerung führen“, sagte Geier dem Tagessspiegel. „Gleichzeitig brauchen wir Erdgas als Brücke ins Zeitalter der Erneuerbaren“, so Geier. Allerdings hält der Sozialdemokrat nichts davon, wenn sich Deutschland über Gebühr von russischen Gaslieferungen abhängig macht: „Langfristig liegt die Lösung im Ausbau der Erneuerbaren und in einer Diversifizierung der Energieversorgung, indem wir grüne Energie und grünen Wasserstraßen aus den Nachbarregionen Europas importieren.“
Noch deutlicher wurde indes der SPD-Politiker Michael Roth. „Ich kann mir selbstverständlich bei einer weiteren Eskalation Russlands nicht vorstellen, dass wir einfach business as usual betreiben“, sagte der neue Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages am Donnerstag im Reuters-TV-Interview. „Natürlich wird das auch mögliche Auswirkungen haben auf das Nord Stream 2-Projekt“, sagte Roth weiter. „Ich hoffe aber dennoch, dass wir so weit nicht gehen müssen.“