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Muss Schuldenaufnahme erhöhen: Olaf Scholz, Bundesminister der Finanzen.
© Kay Nietfeld/dpa

Scholz kämpft mit den Finanzen: Noch mehr Schulden und Löcher in der Planung

Bundesfinanzminister Olaf Scholz legt neue Haushaltspläne für dieses und das kommende Jahr vor. Ein Vorhaben der Koalition beginnt zu wackeln.

Die Ausgaben steigen, die Einnahmen sinken – das Loch wird also größer, und so wachsen die Schulden, um es zu stopfen. So lässt sich knapp und trocken zusammenfassen, was Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch dem Kabinett vortragen wird, wenn er den Nachtragshaushalt für das laufende Jahr und die ersten Eckwerte für den Bundesetat 2022 vorlegt.

Für 2021 plant die schwarz-rote Koalition nun Ausgaben ein, die um etwa 60 Milliarden Euro höher liegen als im Haushaltsgesetz im Dezember vorgesehen. Damit wachsen die Gesamtausgaben auf knapp 548 Milliarden Euro – ein Rekordwert, der wohl, wenn nach der Pandemie alles wieder ins Lot kommt, erst in den 2030er-Jahren wieder erreicht werden dürfte. Und auch für das kommende Jahr wird deutlich draufgesattelt: Statt der bisher in der Finanzplanung eingestellten Summe von 10,5 Milliarden Euro hat Scholz nun 81,5 Milliarden Euro an neuen Krediten vorgesehen. Im Finanzministerium rechnet man damit, dass die Corona-Folgen auch im kommenden Jahr höher sein werden als bisher angenommen.

Der Haushalt für das kommende Jahr soll nun knapp 420 Milliarden Euro umfassen Noch vor wenigen Wochen hatte sich diese Dramatik nicht angedeutet. Zwar wurde in der Opposition schon früh darauf gewettet, dass die Koalition dieses Jahr nicht ohne einen Nachtragsetat auskommen werde.

Puffer vom Dezember - schon verpufft

Dabei hatten sich Union und SPD im November, als der zweite Lockdown schon begonnen hatte und man sich im Klaren sein konnte, dass er einige Monate dauern würde, kurz vor der Abstimmung im Bundestag noch einen beträchtlichen Puffer in den Etat eingebaut. Dessen Höhe lag bei 35 Milliarden Euro, nachdem man den Rahmen des Etatentwurfs der Regierung vom Sommer ohnehin nochmals deutlich ausgeweitet hatte.

Damals hieß es aus der Koalition, man werde wohl durchkommen damit – auch mit Verweis darauf, dass die riesige Kreditsumme, die man für 2020 vorgesehen hatte, bei Weitem nicht genutzt werden musste. Statt 220 Milliarden Euro war im vorigen Jahr „nur“ eine Neuverschuldung von 130 Milliarden Euro nötig, weil das Minus bei der Wirtschaftsleistung deutlich geringer war ursprünglich befürchtet (4,9 statt mehr als sieben Prozent) und die Unternehmenshilfen in geringerem Umfang nachgefragt wurden.

Das kehrt sich nun im laufenden Jahr um. Die Wachstumsprognose musste von 4,4 Prozent im Herbst auf jetzt drei Prozent zurückgenommen werden. Entsprechend geringer fallen die Steuereinnahmen aus (um fast neun Milliarden Euro), während die Hilfen an die Wirtschaft teurer werden (um mehr als 25 Milliarden).

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Offenbar lag dem Etatgesetz für 2021 die Annahme zugrunde, dass der Lockdown früher, beginnend im Januar, zurückgefahren werden könne. Die Corona-Kosten, die im Etat von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) anfallen – also Impfen, Masken, Tests – werden nun um 8,7 Milliarden Euro höher veranschlagt als im Etatgesetz.

Und ein neuer Puffer wird auch wieder vorgesehen, in Höhe von acht Milliarden Euro. Im Finanzministerium geht man davon aus, dass das reicht, um ohne einen zweiten Nachtragsetat durch das Jahr zu kommen.

Ausnahmeregelung der Schuldenbremse auch 2022

Dass auch für 2022 die Notfallregelung der Schuldenbremse in Anspruch genommen wird, hat sich schon länger abgezeichnet. Spitzen der Koalition – Scholz selbst oder Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) – hatten diese Maßnahme in den vergangenen Wochen immer wieder als notwendig bezeichnet.

Insgesamt steigt die Schuldenquote Deutschlands damit nahe an den Wert aus der Finanzkrise nach 2008. Damals lag der Höchststand bei gut 82 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Für 2021 geht das Finanzministerium nun von 75 Prozent aus, nimmt man 2022 hinzu, landet man wohl bei etwa 80 Prozent.

Die neuen Kredite in Höhe von mehr als 80 Milliarden Euro in den Eckwerten für 2022 sind aber auch nötig, um die Etats der Folgejahre decken zu können. Die Politik der Koalition lief schon vor der Pandemie darauf hinaus, ab 2022 die in den Überschussjahren angelegte Rücklage in Höhe von 48 Milliarden Euro langsam aufzubrauchen.

Nun soll diese Rücklage im nächsten Etat doch noch nicht angerührt werden, weil man den Ausgleich über die deutlich höhere Neuverschuldung schaffen möchte. Dafür aber wird die Rücklage aber in den beiden folgenden Jahren komplett eingesetzt.

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Das bedeutet wiederum, dass Schwarz-Rot der nächsten Bundesregierung eine Finanzplanung hinterlässt, die 2024 und 2025 nicht gedeckt ist. Dazu kommt, dass die Kredite, die 2020 bis 2022 über die Ausnahmeklausel der Schuldenbremse aufgenommen werden, in den Jahren nach 2025 getilgt werden müssen.

Keine Beitragsgarantie mehr nach 2021?

Und weitere Löcher könnten noch entstehen. Denn nach den Eckwerten ist nicht vorgesehen, was Spahn unbedingt durchsetzen wollte: die deutliche Erhöhung des Steuerzuschusses an die gesetzliche Krankenversicherung. Dieser bleibt vorerst bei 14,5 Milliarden Euro.

Damit ist offen, ob und wie die von der Koalition vereinbarte Deckelung der Sozialversicherungsbeiträge bei maximal 40 Prozent des Bruttolohns auch vom kommenden Jahr an eingehalten werden kann. Dieses Vorhaben, immerhin ein Koalitionsversprechen an die Bürger, beginnt nun zu wackeln.

Andererseits sind die Eckwerte für 2022 ohnehin mit einigen Fragezeichen versehen. Denn im September wird ein neuer Bundestag gewählt. Wer immer dann regiert, wird wieder etwas andere Akzente setzen. Vor März dürfte der Bundeshaushalt für 2022 daher gar nicht stehen.

Kritische Töne aus der Union

Nicht ganz unkritisch kommentierte der Chefhaushälter der Unions-Fraktion, Eckhardt Rehberg, die Scholz-Vorlage für das Kabinett. „Die Bekämpfung der Corona-Pandemie und die Stabilisierung der Wirtschaft haben selbstverständlich höchste Priorität. Es stellt sich aber die Frage, ob bei den Ausgaben des Bundes noch Maß und Mitte gelten."

Ab 2026 müssten von den neuen Schulden rund 18 Milliarden Euro Jahr für Jahr getilgt werden. "Ich würde mir wünschen, dass auch von Seiten des Finanzministers nicht ständig der Eindruck erweckt würde, dass für alles und jeden Geld da ist“, sagte Rehberg. „Die neue Koalition wird nach der Wahl einen umfassenden Kassensturz machen müssen.

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Die Herausforderungen für die Haushaltspolitik in den kommenden Jahren sind enorm." Die tatsächlichen Ausgaben und Defizite seien deutlich höher als in den Eckwerten ausgewiesen. Die Ausgaben in vielen Einzelplänen seien rückläufig dargestellt. "Die Stabilisierung der Beiträge zu den Sozialversicherungen ist ab 2022 nicht berücksichtigt. Damit wird die Problemlösung in die Zukunft verschoben.“

SPD und Grüne für mehr Investitionen

Die SPD will zumindest mit der Investitionsplanung für die kommenden Jahre punkten. Die Investitionsausgaben sollen nämlich bis 2025 bei jeweils etwa 50 Milliarden Euro im Jahr liegen. "Mit einem Gesamtvolumen von über 260 Milliarden Euro bis 2025 werden in dem Eckwerteentwurf die Investitionen ein weiteres Mal auf Rekordniveau gehoben", sagte der SPD-Chefhaushälter im Bundestag, Dennis Rohde.

Und bringt sich schon in Wahlkampfposition: "Wenn die Union eine weitere Erhöhung des Verteidigungsetats oder Steuerentlastungen fordert, muss sie sich ehrlich machen und die Frage beantworten, ob dies über eine höhere Verschuldung oder Kürzungen etwa bei Klimaschutz, Sozialem und Investitionen gegenfinanziert werden soll.“

Die Grünen kündigen schon an, dass diese Eckwerte der Koalition für sie nach der Wahl keinen Bestand haben werden, sollten sie mitregieren. "Es ist richtig, für das Jahr 2022 erneut die Ausnahmeregel der Schuldenbremse zu ziehen, um so notwendige Kredite aufzunehmen", sagte der Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler.

"Aber man muss dieses Geld auch sinnvoll verwenden." Die Antwort auf die Coronakrise müsse ein Investitionsprogramm sein, das doppelt so groß sei wie das von Scholz geplante. "Die nächsten zehn Jahre entscheiden darüber, ob wir es schaffen, die Klimakrise zu begrenzen, unseren Wohlstand zu erhalten und diesen fairer zu verteilen. Deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, einen großen Investitionsfonds in Höhe von 500 Milliarden Euro über zehn Jahre aufzulegen."

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