zum Hauptinhalt
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat am 11. August Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit in Deutschland vorgestellt.
© dpa

Thomas de Maizière zur Flüchtlingspolitik: "Niemand hat gesagt, wir schaffen das mit links"

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) im Interview über die epochale Aufgabe der Integration, die Sicherheitslage und warum es jetzt wichtig ist, zusammenzuhalten.

Herr de Maizière, gehört die Burka zu Deutschland?

Die Diskussion um diese Frage führen wir hierzulande ja nicht zum ersten Mal. Ich persönlich finde: In einer offenen und demokratischen Gesellschaft zeigt man sein Gesicht.

Warum schließen Sie sich dann nicht der Forderung Ihres Berliner Kollegen Frank Henkel an, die Vollverschleierung zu verbieten?

Man kann nicht alles verbieten, was einem nicht gefällt. Ich habe mit vielen Verfassungsrechtlern gesprochen. Der Großteil hält ein allgemeines Verbot der Vollverschleierung für nicht verfassungsgemäß. Ganz abgesehen von der Frage, ob ein entsprechendes Verbot nicht in die Zuständigkeit der Länder fiele – mit der Folge, dass wir gegebenenfalls einen Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen in ganz Deutschland hätten. Auch deshalb halte ich wenig von einem generellen Verbot.

Das heißt: Henkel macht in Berlin Wahlkampf mit einer Forderung, die gar nicht umsetzbar ist.

Es muss in Wahlkämpfen erlaubt sein, über Themen zu sprechen, die die Menschen bewegen. Dazu zählt auch die Rolle des Islam, gerade in einer Zeit weltweiter islamistisch motivierter terroristischer Anschläge. Diskussionen sollten aber grundsätzlich so geführt werden, dass sie lösungsorientiert sind und nicht nur problembeschreibend. Das gilt auch und ganz besonders in diesem Fall.

Henkel und andere Landesinnenminister der Union verlangen auch die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft. Ist das Symbolpolitik aus Angst vor der AfD?

Wir sollten nach Jahren heftiger Auseinandersetzungen keine neue Grundsatzdebatte über die doppelte Staatsbürgerschaft beginnen. Die Debatte war gut und wichtig und ich bin froh, dass die große Koalition hier einen Konsens gefunden und den Streit befriedet hat.

Ist die doppelte Staatsbürgerschaft kein Integrationshindernis?

Lieber sind mir die Loyalität und das klare Bekenntnis zu einem Staat, nicht zu zweien. Das ist wohl so. Ich verstehe aber auch die innere Zerrissenheit eines Zuwanderers, wenn er vor die Entscheidung gestellt wird, sich – wenn auch nur auf dem Papier – von seiner alten Heimat loszusagen, um eine neue Staatsangehörigkeit anzunehmen. Für eine Übergangsgeneration kann die doppelte Staatsbürgerschaft die Loyalität zum neuen Staat befördern. Sie sollte meines Erachtens nach aber nicht über Generationen der Regelfall sein.

Die Forderung nach der Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft zielt vor allem auf türkischstämmige Deutsche. Verstehen Sie, dass manche Deutsch-Türken jetzt verunsichert sind?

Die jetzige Debatte sollte hier nicht überbewertet werden. Wir haben in der großen Koalition einen guten Kompromiss gefunden. Belassen wir es bei dem Ergebnis.

Ende kommender Woche wollen die Innenminister der Union in einer „Berliner Erklärung“ etliche Maßnahmen für mehr Sicherheit und Integration fordern. Verstehen wir Sie richtig: Wenn darin ein Burka-Verbot und die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft verlangt wird, unterschreiben Sie nicht?

Das, was bisher kursierte, ist ein Arbeitsentwurf. Auf Ministerebene beraten wir in der nächsten Woche. Ich bin zuversichtlich, dass wir zu einer guten Lösung kommen werden. Ganz grundsätzlich rate ich uns allen, die Debatte umS icherheit ruhig und besonnen zu führen. Gerade in Zeiten wie diesen kommt es darauf an, das Land zusammenzuhalten. Spaltung ist das Geschäft der AfD.

Die Anschläge von Würzburg und Ansbach haben viele Menschen verunsichert. Wie groß ist die Bedrohung durch islamistischen Terror in diesen Tagen?

Die Bedrohung ist groß. Das war sie aber auch schon vor den jüngsten Anschlägen. Das habe ich auch immer wieder betont. Unsere Sicherheitsbehörden arbeiten mit Hochdruck an dem Dreiklang von Vorbeugung, Repression und Prävention. In den vergangenen Monaten konnten die Sicherheitsbehörden etliche Anschläge verhindern. Klar ist: Mit der angespannten Sicherheitslage werden wir noch einige Zeit leben müssen.

Sie wissen viel mehr als wir alle über die Bedrohungslage und werden täglich damit konfrontiert. Wie werden Sie damit fertig?

Das bleibt nicht in den Kleidern stecken. Ich versuche, nicht alles zu nah an mich herankommen zu lassen. Das gelingt natürlich nicht immer. Aber das geht anderen Menschen in anderen Berufen auch so.

Die Attentäter von Würzburg und Ansbach hatten offenbar psychische Probleme. Geht von traumatisierten Flüchtlingen eine besondere Gefahr aus?

Es gibt auch psychisch labile Gewalttäter, die keine Flüchtlinge sind. Der Amokläufer von München ist hierfür ein Beispiel. Aber wahr ist auch: Psychisch labile Menschen sind empfänglicher für Einflussnahme und Radikalisierung.

Wie wollen Sie dem begegnen?

Früherkennung ist einer der Schlüssel. Es darf uns nicht verborgen bleiben, wenn jemand Probleme hat oder sich radikalisiert. Dazu müssen wir achtsam sein. Verändert sich mein Mitschüler, mein Chatpartner oder mein Glaubensbruder, der in der Moschee neben mir betet in besorgniserregender Weise? Solche Hinweise sind überaus wichtig.

Genügt das?

Es gibt nie nur ,die eine Maßnahme’. Auch das Wissen, was wir beispielsweise in den Behörden haben, müssen wir besser zugänglich machen. Die Sicherheitsbehörden brauchen manche Informationen, die im Asylverfahren gesammelt werden oder die bei Gericht vorliegen. Nur so kann eine effektive Arbeit stattfinden.

Bleibt das Wissen der Ärzte für die Sicherheitsbehörden tabu?

Das ist schon heute nicht der Fall. Nichtsdestotrotz müssen wir gemeinsam nach praktikableren Wegen suchen, wie wir hier gemeinsam mehr Sicherheit erreichen.

Sie wollen die ärztliche Schweigepflicht antasten?

Nein. Davon war nie die Rede. Natürlich bleibt die ärztliche Schweigepflicht bei all dem gewahrt. Ich werde jetzt in einen Dialog mit den Ärzteverbänden und dem Gesundheitsminister treten, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Damit die Sicherheitsbehörden potenziellen Attentätern frühzeitig auf die Spur kommen können, soll das Alltagsleben von uns allen stärker überwacht werden, etwa durch den Einsatz von Gesichtserkennungsprogrammen. Ist das der Preis, den wir für mehr Sicherheit zahlen müssen?

Privat werden Gesichtserkennungsprogramme über das Handy wie selbstverständlich genutzt. Und niemand nimmt daran Anstoß. Wenn aber der Staat bedenkt sich neuer Technologien zu bedienen, wird vieles kritisch kommentiert. Auch der Staat muss die Möglichkeit haben, moderne Techniken zu nutzen. Natürlich unter rechtsstaatlichen Voraussetzungen und parlamentarischer Kontrolle. Bei einer Fahndung mit Gesichtserkennungssoftware würden gerade nicht alle überwacht.

Bei der Fahndung im Netz sind die Sicherheitsbehörden auf die Kooperationsbereitschaft der Konzerne angewiesen. Die Länder klagen, dass insbesondere Facebook nur zögerlich Profildaten von Terrorverdächtigen herausgibt. Ist das hinnehmbar?

Die anlassbezogene Kooperation der Bundessicherheitsbehörden mit Facebook in den Bereichen Islamismus und Extremismus bewerte ich als durchaus positiv. Ich werde mich aber demnächst mit Vertretern von Facebook zusammensetzen, um die Vorwürfe der Länder zu erörtern. Hier gilt der Grundsatz: Wenn Gefahr in Verzug ist, wenn Straftäter gesucht werden, müssen alle kooperieren.

Sie versprechen mehr Sicherheit durch verstärkte Abschiebungen, etwa von straffälligen Flüchtlingen und Asylbewerbern, die falsche Angaben zu ihrer Herkunft machen. Sollen diese Menschen notfalls auch nach Syrien abgeschoben werden?

So lange in Syrien kein Frieden einkehrt, ist das nicht möglich. In Bürgerkriegsgebiete wird nicht abgeschoben. Punkt.

In Afghanistan wird weiter gekämpft. Trotzdem schicken Sie Afghanen zurück. Wie passt das zusammen?

Anders als in Syrien gibt es in Afghanistan Regionen, die als sicher gelten. Dorthin können Flüchtlinge durchaus zurückkehren. Der entscheidende Punkt ist aber ein anderer: Gemeinsam mit ihren afghanischen Kolleginnen und Kollegen bemühen sich deutsche Soldaten und Polizisten tagtäglich um mehr Sicherheit in Afghanistan. Gleichzeitig verlassen junge Afghaninnen und Afghanen ihr Land und suchen in Europa nach einer besseren Zukunft. Das verkraftet dieses Land nicht. Das geht nicht. Deshalb müssen wir in die Regionen zurückführen, die sicher sind. Das sage ich, gerade weil ich dieses Land so mag.

In der Praxis sind Abschiebungen aber nach wie vor ein Problem und vielfach schlicht nicht durchzusetzen. Wer ist dafür verantwortlich?

Dem muss ich widersprechen. Die Zahl der Abschiebungen ist bereits deutlich gestiegen. Sie ist so hoch wie nie. Hinzu kommt eine große Zahl von freiwilligen Ausreisen. Auch hier gibt es einen bedeutenden Anstieg. Wir haben viele Abschiebehindernisse beseitigt und die Kooperation mit den Ländern wird zunehmend besser. Es ist nicht einer verantwortlich, sondern alle gemeinsam. Ich habe nun weitere Vorschläge unterbreitet, die helfen sollen insbesondere straffällige Asylbewerber schneller abzuschieben. Dazu gehört die Einführung eines neuen Haftgrunds. Asylbewerber, die erkennbar eine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit darstellen, sollen künftig in Abschiebehaft genommen werden können. Alle diese Punkte sind auch wesentlich, um die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Zuwanderung hoch zu halten.

Ein Sicherheitspaket zur besseren Überwachung und schnelleren Abschiebung – ist das alles, was von Angela Merkels propagierter Willkommenskultur übrig geblieben ist?

Mein Konzept umfasst ein Bündel von Maßnahmen. Integration ist genauso ein Teil davon. Fakt ist: Kaum ein anderes Land in Europa hat so viel für Flüchtlinge getan wie Deutschland. Wir haben die Asylverfahren verkürzt, wir haben eine hohe Anerkennungsquote, und wir haben ein Integrationsgesetz auf den Weg gebracht, das sehr weitreichende Angebote enthält. Das gibt es in kaum einem anderen europäischen Land. Und bei alledem muss die Sicherheit gewahrt werden.

Manche Ihrer Parteifreunde fordern bereits eine Abschiedskultur.

Dieser Begriff gehört nicht zu meinem Sprachgebrauch. Wer schutzbedürftig ist, darf bleiben und kann Teil unserer Gesellschaft werden, wer nicht schutzbedürftig ist, muss unser Land wieder verlassen. Beides geschieht mit Würde, mit Anstand und nach nachvollziehbaren Regeln. Beides gehört rechtlich und politisch zusammen.

Wie erklären Sie sich die massive Kritik am Satz der Kanzlerin: „Wir schaffen das“?

Die Aufregung ist aus meiner Sicht völlig übertrieben. Eine Regierungschefin kann sich nicht hinstellen und sagen: Wir schaffen das nicht. Niemand hat gesagt wir schaffen das mit links. Auch die Kanzlerin nicht. Es handelt sich bei der Integration so vieler Menschen um eine epochale Aufgabe. Das hat auch die Kanzlerin deutlich gemacht. Das bedeutet auch, dass wir die Probleme, die damit zusammenhängen, klar benennen und nach Lösungen suchen. Darin sind wir stark.

Sie haben von epochalen Aufgaben gesprochen. Ist die Kanzlerin da nicht in der Pflicht, für eine weitere Amtszeit zu kandidieren und dies jetzt auch klar zu sagen?

Die Kanzlerin bestimmt den Zeitpunkt, sich zu erklären. Und sie wird den richtigen Zeitpunkt finden.

Und wenn nicht? Könnten Sie auch Kanzler?

Diese Frage stellt sich nicht.

Zur Startseite