Brexit: Niemals geht man so ganz
Die britische Regierungschefin Theresa May befürwortet einen Austritt Großbritanniens aus der EU-Zollunion. Doch im Parlament wächst der Widerstand gegen diesen Kurs. Ein Kommentar.
Für die Brexit-Hardliner in Großbritannien gibt es viele Hassfiguren. Zu ihnen zählt der belgische EU-Abgeordnete Guy Verhofstadt, der früher in seiner Heimat Premierminister war. Die Boulevardzeitung „The Sun“, die zu den Leib- und Magenblättern der Brexiteers gehört, nannte den Brexit-Chefunterhändler des EU-Parlaments auch schon einmal einen „Vollzeit-Troll“. Jüngst hat Verhofstadt den in Liverpool tätigen Fußballtrainer Jürgen Klopp wegen dessen Anregung gelobt, den ganzen Brexit noch einmal zu überdenken und ein zweites Referendum anzusetzen. Bei den Austrittsbefürwortern blieb dies nicht unbemerkt: Wenn sich ein Deutscher und ein Belgier über die britische Innenpolitik auslassen, dann löst dies auf der Insel schnell Abwehrreflexe aus.
Inzwischen braucht es aber gar keine Kommentare von der Seitenlinie mehr, um die Briten ins Grübeln zu bringen. Je näher der Austritt aus der EU im kommenden März rückt, umso heftiger wird im Vereinigten Königreich die Frage diskutiert: Was haben wir bloß mit unserer Entscheidung ausgelöst, die EU zu verlassen? Eine Wiederholung des Referendums, wie es der Trainer des FC Liverpool vorgeschlagen hat, ist zwar wenig wahrscheinlich. Derzeit deutet nichts darauf hin, dass die Briten die Austrittsentscheidung rückgängig machen wollen. Aber wenn Großbritannien die EU schon verlässt, dann soll das Vereinigte Königreich möglichst eng an die Gemeinschaft angebunden bleiben – so sieht es jedenfalls eine Mehrheit im Parlament, wie eine Reihe von Abstimmungen im Unter- und Oberhaus in den vergangenen Wochen deutlich gemacht hat. Der Großteil der Abgeordneten plädiert dafür, dass Großbritannien langfristig in der EU-Zollunion bleibt. Auf diesem Weg könnte auch eine „harte Grenze“ in der einstigen Bürgerkriegsregion im Norden der irischen Insel vermieden werden.
Premierministerin Theresa May weigert sich allerdings bislang, auf diesen Kurs einzuschwenken. Sie vertritt das Credo der Brexiteers, dass Großbritannien die EU-Zollunion verlassen muss, damit das Vereinigte Königreich weltweit neue Handelsvereinbarungen abschließen kann. Doch bei diesem Dogma muss es angesichts des Widerstands der Parlamentarier nicht unbedingt bleiben. Es zeugt daher von einer vernünftigen Verhandlungsführung der EU, dass sich Brüssel weiter flexibel zeigt, während in London das letzte Wort zum Brexit noch nicht gesprochen ist. Wenn sich Zollschranken vermeiden ließen, wäre allen gedient – nicht zuletzt der deutschen Wirtschaft.