Lebensmittelindustrie: Britische Abgeordnete: Harter Brexit wäre „desaströs“
Die Lebensmittel- und Getränkeindustrie im Vereinigten Königreich möchte einen weichen Brexit - im Interesse einer milliardenschweren Branche.
Ein No-Deal Brexit wäre „desaströs“ für die britische Lebensmittel- und Getränkeindustrie und „muss um jeden Preis vermieden werden“, erklärten britische Abgeordnete des britischen Parlamentsausschusses für Unternehmens-, Energie- und Industriestrategie (BEIS) in einem am Wochenende veröffentlichten Bericht. Die Vorsitzende des Ausschusses, Rachel Reeves, Abgeordnete der Labour-Partei, unterstrich, dass „der Erfolg der Industrie in hohem Maße von der Teilnahme am Binnenmarkt und der Zollunion abhängt“.
Die britische Regierung solle daher auch trotz des Austritts Großbritanniens aus der EU „eine weitere Angleichung der Rechtsvorschriften, Normen und des Handels an die EU anstreben“, lautet die Empfehlung der Parlamentsabgeordneten.
Oberhaus will Mitgliedschaft in der Zollunion
Am kommenden Donnerstag werden die Abgeordneten erneut darüber debattieren und abstimmen, ob das Vereinigte Königreich die EU-Zollunion verlassen sollte, nachdem das Oberhaus in der vergangenen Woche einen Änderungsantrag über die Mitgliedschaft in der Zollunion in das EU-Austrittsgesetz der Regierung aufgenommen hat. Die Aussicht, dass die Regierung ihre ablehnende Haltung gegenüber einer weiteren Mitgliedschaft in der Zollunion aufgibt, ist in den letzten Tagen gestiegen. Jedoch warnen einige konservative Brexit-Befürworter Premierministerin Theresa May, dass ein Rückzieher in dieser Frage ihre Regierung in eine Krise stürzen könnte.
Die Oppositionsparteien der Sozialdemokraten, schottischen Nationalisten und Liberalen sind dagegen, dass das Vereinigte Königreich im Zuge des Brexit die Zollunion verlässt. Diese Haltung teilen sie mit einer Minderheit von Abgeordneten der regierenden Konservativen. Der Bericht der Abgeordneten stellt darüber hinaus fest, die meisten Interessenvertreter der Industrie würden sich dafür aussprechen, die britische Mitgliedschaft in der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die unter anderem den Lebensmittelsektor regelt, auch nach dem Brexit fortzusetzen.
Die britische Lebensmittel- und Getränkeindustrie hat einen Wert von 28,8 Milliarden Pfund und beschäftigt Hunderttausende im ganzen Land.
Derweil waren nach Angaben des britischen Migrationsberatungsausschusses im Jahr 2016 24 Prozent der Beschäftigten in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie Migranten aus dem Europäischen Wirtschaftsraum.
Die meisten der britischen Lebensmittel- und Getränkehersteller wollen sich weiter an die EU-Vorschriften halten, heißt es in dem Bericht. Die Abgeordneten erklärten, die EU-Vorschriften über geografische Angaben, die hohen Lebensmittelstandards und eine harmonisierte Lebensmittelkennzeichnung sollten beibehalten werden.
Die Konzerne Diageo und Ferrero UK warnten außerdem davor, dass nichttarifäre Handelshemmnisse in Form von Verzögerungen an den Grenzen und erhöhter Bürokratie die Wettbewerbsfähigkeit des Vereinigten Königreichs beeinträchtigen würden. Diageo-Vertreter erläuterten gegenüber dem Ausschuss, eine 15-minütige Wartezeit für jeden Lkw an der Grenze zwischen Irland und dem Vereinigten Königreich würde allein ihr Unternehmen 1,3 Millionen Pfund pro Jahr kosten.
Im Bericht heißt es weiter, die britische Regierung solle der Verlängerung bestehender und künftiger EU-Handelsabkommen mit Drittländern Vorrang einräumen. Die Möglichkeiten für das Vereinigte Königreich, schnell neue Handelspakte außerhalb der EU zu schnüren, seien „sowohl relativ gering als auch ausgesprochen unsicher“.
Übersetzung: Tim Steins
Erschienen bei EurActiv.
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Benjamin Fox