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Der italienisch-schwedische Diplomat Staffan de Mistura (70) ist seit Juli 2014 UN-Gesandter für Syrien.
© AFP

UN-Gesandter Staffan de Mistura: "Nichts ist mit Syrien vergleichbar"

Er hat mit Saddam Hussein, Idi Amin und Slobodan Milosevic verhandelt. Doch im Syrienkonflikt stößt der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura auf bislang ungekannte Unversöhnlichkeit.

Herr de Mistura, Sie sind seit 46 Jahren bei den UN, waren in 19 Kriegen eingesetzt. Den Syrien-Konflikt nannten Sie einmal den zynischsten Krieg Ihrer Laufbahn...

Das ist korrekt.

Gibt es das: einen Krieg, der nicht zynisch ist?

Natürlich nicht. Doch ich habe noch nie erlebt, dass Menschenrechte derart systematisch gebrochen wurden. Da werden Krankenhäuser bombardiert, gerade weil sie Krankenhäuser sind, und Schulen, weil sie Schulen sind. Die Bevölkerung wird absichtlich terrorisiert.

Mit welchem Ziel?

Zivilisten sollen ihre Verwundeten nicht mehr in Kliniken bringen können und deshalb das umkämpfte Gebiet verlassen. Übrig bleiben nur die Kämpfer, die sich nun nicht mehr unter der Zivilbevölkerung verstecken können. Die Bombardements werden verstärkt, bis alles kaputt ist.

Sie hatten in der Position des UN-Sondergesandten für Syrien zwei hoch angesehene Vorgänger: den ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan und den Algerier Lakdhar Brahimi, der den Frieden im libanesischen Bürgerkrieg mit ausgehandelt hatte. Beide gaben nach etwa einem Jahr auf. Sie sind bereits seit drei Jahren im Amt. Die Zustände in Syrien haben sich in der Zeit eher zum Schlechteren entwickelt. Haben Sie nie an Rücktritt gedacht?

Zwei Überlegungen hierzu. Ja, es stimmt. Es gibt Momente, an denen ich mir selbst oder meiner Familie sage: Das Ganze führt nirgendwo hin. Das muss ich anerkennen. Aber dann treffe ich auf Syrer, die ich nicht im Stich lassen will. Wie die Frau im Flüchtlingslager im Libanon. Ihr Ehemann war von einer Fassbombe getötet worden. Sie hatte acht Kinder, ein Zelt. Es war die Zeit, als John Kerry und Sergej Lawrow einen Waffenstillstand ausgehandelt hatten. Die Frau sagte zu uns: „Ich nehme mein Zelt und gehe mit meinen Kindern nach Homs zurück und stelle mein Zelt auf die Trümmer meines Hauses.“ Wenn diese Frau an ihr Land glaubt, dachte ich, warum soll ich es nicht tun? Außerdem hatte ich das Glück, aus den Erfahrungen meiner Vorgänger lernen zu können, und verfolge einen etwas anderen Ansatz als Brahimi und Annan.

Können Sie das bitte genauer erklären?

Beide haben große Konferenzen anberaumt, auf die ihre diplomatischen Bemühungen zuliefen. Als die Konferenzen scheiterten, gingen sie...

... und äußerten sich anschließend frustriert über die Kompromisslosigkeit der Kriegsparteien.

Ich lernte daraus, keine finale Konferenz anzusetzen. Geschichte wird nicht auf Konferenzen gemacht. Es ist umgekehrt: Die Konferenz kommt, wenn Geschichte einen bestimmten Punkt erreicht hat. Aber was tun in der Zwischenzeit? Abwarten? Ich habe mich dazu entschlossen, die Zeit zu nutzen, um die verfeindeten Seiten ein wenig aufeinanderzuzuschieben.

Ein Porträt aus dem „Guardian“ beschreibt Sie als Vielflieger: 26000 Meilen legten Sie damals in zwei Wochen zurück. Reisen Sie noch immer so viel?

Das bleibt nicht aus, weil so viele Länder in den Krieg verstrickt sind, die geostrategisch miteinander rivalisieren und gleiches Gehör bei mir finden wollen. Wenn ich nach Saudi-Arabien fahre, fragt mich der Iran: Warum sprichst du nicht mit uns? Dann muss ich natürlich nach Russland. Und nach Washington...

Sie selbst laden regelmäßig zu Friedensgesprächen nach Genf ein. Vergangene Woche haben Sie eine siebte Runde für den 10.Juli angekündigt...

Ja, nach Ende des Ramadans und des G-20-Gipfels in Hamburg. Der G-20-Gipfel könnte dem Friedensprozess in Syrien einen Schub geben. Dort treffen beide Supermächte aufeinander, und dass sich die USA und Russland verständigen, ist essenziell dafür, dass es in Syrien irgendwann Frieden gibt.

Die Genfer Gespräche gelten als festgefahren. Oder ist diese Einschätzung zu pessimistisch?

Man kann nach sechs Jahren dieses Kriegshorrors nur schwerlich optimistisch sein. Beide Seiten sind noch immer nicht bereit, direkt miteinander zu reden. Wir sprechen also mit jeder Seite getrennt voneinander.

Letztes Jahr sagten Sie, es bedürfe einer kreativen Idee, um Syrien zu befrieden...

Wenn man in den üblichen Bahnen bleibt, löst man solch einen vertrackten Konflikt jedenfalls nicht, weil die Kriegsparteien traurigerweise sehr kreativ darin sind, Wege zu finden, wie sie ihre Kämpfe fortführen können.

Sie gelten als unorthodoxer Diplomat. Im Sudan ließen Sie Kamele, die Medikamente transportieren sollten, blau anmalen. So konnten die Tiere von Helikoptern aus überwacht und vor Dieben geschützt werden. Ist Syrien der richtige Ort für eine so hemdsärmelige Herangehensweise?

Viele Ideen werden mittlerweile als Trick erkannt. Ein Beispiel: Als ich noch bei Unicef war, ließ ich große Impfkampagnen organisieren. Während die Menschen zu den Medizinstationen liefen, ließen die Konfliktparteien ihre Waffen ruhen. Ein Zeitfenster, in dem wir Friedensverhandlungen forcierten. In Nicaragua hatten wir einmal ganze fünf Tage ohne Kämpfe. Als ich in Syrien eine Impfkampagne anregte, bekam ich von den Kriegsparteien zu hören, „ja, ja“, aber sie kämpften trotzdem weiter.

Richard Holbrooke wird für seine einfallsreiche Verhandlungsführung in Dayton gelobt, wo der Bosnienkrieg beigelegt wurde. So soll er Mitarbeiter beauftragt haben, mit Milosevic die Nächte durchzuzechen.

Aber Milosevic war doch gar kein starker Trinker. Gut, die Leute um ihn herum waren es vielleicht. Offen gesagt war Milosevic eine sehr langweilige, graue Person. Sein Vater und seine Mutter hatten sich das Leben genommen, als er noch ein Kind war. Vielleicht hätten wir besser verstanden, warum Milosevic so sehr an seiner Macht festhielt und sich gegen Verhandlungen sträubte, wenn wir seine Vergangenheit analysiert hätten. Ich bin übrigens der Ansicht, dass wir in den UN mehr Psychologen brauchen. Ich habe einen in meinem Team.

Sie hatten mit Milosevic zu tun?

Ich erinnere mich noch, wie ich einmal von ihm die Erlaubnis bekommen wollte, während der Belagerung nach Dubrovnik zu fahren. Ich sprach über die Kinder, die in der Stadt hungerten. Er sah aus, als sei er vom Schicksal der Kinder ernsthaft bewegt. Dabei war er es selbst, der mit seinen Soldaten die Stadt belagern ließ.

Kofi Annan schrieb in seiner Autobiografie: „Ich musste vielen Teufeln die Hände schütteln.“

Meine Mutter sagte mal zu mir: „Ich kann nicht stolz drauf sein, welchen Leuten du so alles die Hand gibst.“ Ich antwortete: „Da hast du recht.“ Idi Amin, Nadschibullah, Saddam Hussein. Wer bei den UN arbeitet, hat nicht den Luxus, sich seine Gesprächspartner aussuchen zu können.

Wie ist es denn so, mit Massenmördern zu reden?

Unterschiedlich. Wenn Saddam Hussein nicht mochte, was ich sagte, legte er seine rechte Hand auf seine linke Hüfte. Denn dort hatte er seine Waffe. Es war eine unbewusste Geste, so wie andere Menschen die Augenbrauen hochziehen. War er nicht meiner Meinung, bewegte sich seine Hand automatisch Richtung Pistole. Als ich ihn zum zweiten Mal traf, hatte ich ein Dokument des Generalsekretärs dabei und hielt es ihm hin. Doch er griff nicht danach. Für eine volle Minute verharrten wir in unseren Positionen. Dann kam sein Übersetzer, nahm das Papier, machte Kopien und reichte sie Saddam. Da begriff ich: Er hatte befürchtet, dass wir die Blätter mit Gift präpariert hätten, um ihn zu töten. Er nahm an, wir seien wie er.

Wann haben Sie zuletzt Assad getroffen?

Vor ungefähr einem Jahr.

Hatten Sie eigentlich schon einen Termin bei Trump?

Nein.

Bezeichnend, oder? Er soll nicht viel von den UN halten.

Ich habe Außenminister Tillerson, Verteidigungsminister Mattis, den Nationalen Sicherheitsberater McMaster getroffen. Mattis und McMaster kannte ich schon. Sie waren im Irak und in Afghanistan eingesetzt, wie ich auch. Dort habe ich sie als intelligente, professionelle Militärs schätzen gelernt. Trump hat ernst zu nehmende Berater...

...auf die er angeblich nicht hörte, als er Saudi-Arabien darin bestärkte, Katar für seine Kontakte zum Iran abzustrafen. Haben Mattis und Tillerson Ihnen gesagt, wie sie Trump in Bezug auf Syrien beraten?

Das kann ich hier nicht ausführen. Ich kann Ihnen nur sagen, was ich ihnen für Trump mit auf den Weg gegeben habe: Er habe das Recht, den IS zu bekämpfen. Der IS ist der Feind von allen. Den Beweis haben wir in einer Konzerthalle in Paris gesehen, in Orlando, Bali, Berlin, sogar auf dem Sinai, wo ein russisches Flugzeug abgeschossen wurde. Doch um den IS zu besiegen, reicht es nicht aus, Rakka, seine Hauptstadt in Syrien, zu bombardieren. Wirksame Terrorismusbekämpfung muss eine gesellschaftliche Situation schaffen, die Terrorismus nicht mehr zulässt.

Die von den USA unterstützten SDF-Kämpfer sind bereits in Teile von Rakka vorgedrungen. Ist der IS so gut wie besiegt?

Nein. Das sieht man ja im Irak. Wenn sich die sunnitische Bevölkerung, die in Syrien in der Mehrheit ist, weiterhin ausgeschlossen fühlt, wird es früher oder später eine Gruppierung geben, die nicht unbedingt IS heißt, aber so ähnlich agiert. Die Erfahrung zeigt: Politische Systeme sind nicht stabil, wenn große Teile der Bevölkerung ausgeschlossen sind. Alle müssen das Gefühl haben dazuzugehören. Der Krieg in Syrien lässt sich militärisch nicht gewinnen. Auch Assad sollte sich darüber im Klaren sein: Er kann bombardieren, was auch immer er will, aber um schließlich Frieden zu haben, muss er Kompromisse machen.

Besonders massiv bombardierten Assads Truppen und ihre Verbündeten Ost-Aleppo, wo sich Rebellen, unter anderem von Al Nusra, unter der Zivilbevölkerung versteckt hatten. Sie hatten damals angeboten, die Rebellen persönlich aus der Stadt herauszuführen, damit das Bombardement aufhört. Was sagte Ihre Frau dazu?

Wenn ich meine Familie oder die Kollegen gefragt hätte, hätten sie es mir natürlich verboten: In den UN wird nicht von einem erwartet, sein Leben zu riskieren.

Warum wollten Sie das Risiko eingehen?

Ich war wütend: Wir hatten damals anhand von Satellitenaufnahmen ausgerechnet, dass Ost-Aleppo am 23. Dezember vollständig in Trümmern liegen würde, wenn weiterhin so viele Bomben fielen. Es gibt einen Moment, in dem man meiner Meinung nach alles Rationale beiseiteschieben muss und tun muss, wonach einem ist. Damals bestand die Möglichkeit, dass die Rebellen freies Geleit aus der Stadt heraus bekommen könnten. Ich wollte mit meinem Angebot Al Nusra herausfordern: „Wenn ihr mutig seid, ist es an der Zeit, abzuziehen und nicht 100.000 Zivilisten aus dem Viertel in Geiselhaft zu nehmen.“ Nun musste sicher gestellt sein, dass das freie Geleit nicht in einem Gefängnis der Assad-Regierung endet. Der einzige Garant dafür, der mir einfiel, war ich selbst.

Al Nusra hat sich nicht darauf eingelassen.

Später sind sie dann doch nach Idlib abgezogen.

Gerade tun sich neue Konfliktlinien auf: Die sunnitischen Staaten isolieren Katar, die USA schießen einen syrischen Jet ab, woraufhin Russland droht, Flugzeuge der US-geführten Allianz ins Visier zu nehmen. Jetzt kam auch noch heraus, dass Israel syrische Rebellen unterstützt. Politologen vergleichen die Gemengelage bereits mit dem Dreißigjährigen Krieg.

Nichts ist mit Syrien vergleichbar. Die Komplexität ist einmalig.

Wollen Sie damit sagen, dass die Beilegung des Dreißigjährigen Krieges diplomatisch gesehen ein Kinderspiel war gegen Syrien?

Nein. Aber ich glaube, es war einfacher.

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