Konflikt in Syrien: Nervenkrieg am Himmel
Die USA schießen einen syrischen Jet ab, Russland kappt die Kommunikationskanäle. Könnte es jetzt zu einer Eskalation zwischen beiden Großmächten kommen?
Die Drohung zeigt Wirkung. Australien will vorerst keine weiteren Einsätze über Syrien fliegen. „Als Vorsichtsmaßnahme“ seien die Flüge „vorübergehend eingestellt worden“, teilte das Verteidigungsministerium in Canberra jetzt mit. Damit reagiert Australien als einer der wichtigsten Partner der USA im Kampf gegen die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ auf deutliche Warnungen Russlands.
Moskau hat als Verbündeter von Syriens Machthaber Baschar al Assad am Montag die Sicherheitskooperation mit Amerika gestoppt. Der Grund: Ein Jet der syrischen Regierungsarmee war zuvor von der US-Luftwaffe abgeschossen worden. Der Kommunikationskanal, der helfen soll, Zwischenfälle am viel beflogenen syrischen Himmel zu vermeiden, werde deshalb gekappt. Mehr noch. Die russische Flugabwehr und Luftwaffe betrachte künftig alle Flugobjekte – einschließlich der Kampfjets und Drohnen der internationalen Anti-IS-Allianz – als Ziele, sofern man sie westlich des Euphrat entdecke. Der Wortlaut der offiziellen Erklärung des Moskauer Verteidigungsministeriums relativiert dies jedoch: Flugobjekte würden „eskortiert“.
Vereinbarung wurde 2015 geschlossen
Könnte es nun zu einer Eskalation zwischen beiden Großmächten kommen? Wird die Gefahr eines bewaffneten Konflikts in Syrien unkalkulierbar groß? Markus Kaim will das zwar nicht kategorisch ausschließen, für wahrscheinlich hält er ein derartiges Szenario allerdings nicht.
„Die USA und Russland sind seit September 2015, dem Beginn des militärischen Engagements Russlands, peinlich darauf bedacht, einen militärischen Konflikt zu vermeiden, sagt der Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Es mag in Sachen Syrien auf beiden Seiten völlig unterschiedliche Interessen, Strategien und Ziele geben – doch einig ist man sich, gefährliche Vorfälle, wenn irgendwie möglich, auszuschließen.“ Deshalb hätten sich die Verantwortlichen in Washington und Moskau bisher im Rahmen der Sicherheitsvereinbarung über Zielkoordinaten, Flugkorridore und -zeiten ausgetauscht.
Und Kaim sieht derzeit kein Indiz dafür, dass sich daran etwas ändern wird. „Sowohl die USA als auch Russland profitieren von einer Kooperation, die vermutlich eine Fortsetzung findet. Ich sehe keinerlei Interesse an einer Eskalation.“
Erhöhtes Risiko fürs Pentagon
Russische Medien titelten am Dienstag dagegen: „Am Himmel über Syrien hat ein Nervenkrieg begonnen“. Wladimir Issajew, Nahost-Spezialist der Moskauer Lomonossow-Universität, sieht die USA vor einem „ernsthaften Problem“. Entweder nehme das Pentagon das Risiko in Kauf, von russischer Luftabwehr unter Feuer genommen zu werden. Oder man halte sich an die 2015 geschlossene Vereinbarung über die Sicherheitskooperation. Issajew verweist darauf, dass Moskau diesen Mechanismus im April schon einmal aufgekündigt habe. Nach einem Gespräch der Außenminister Tillerson und Lawrow sei sie jedoch wieder aufgenommen worden. „Jetzt müssen wohl die Präsidenten reden“, meint Issajew. Gelegenheit dazu bietet sich während des G-20-Treffens in Hamburg.
Die Moskauer Führung ist inzwischen bemüht, ihr Vorgehen als defensive Maßnahme darzustellen. Die Vereinigten Staaten hätten die vereinbarten Kanäle vor ihrer Aktion nicht genutzt. Es habe kein Signal von der US-Luftwaffenbasis Al Udeid in Katar an die russische Basis Latakia gegeben. Dmitri Peskow, Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, wurde am Dienstag gefragt, wie wahrscheinlich jetzt ein russisch-amerikanischer Zusammenstoß in Syrien werde. „Das kommentiere ich nicht“, lautete seine knappe Antwort. Viktor Oserow, Chef des Verteidigungsausschusses der Duma, erklärte aber, eine Gefahr gebe es nur, „wenn die USA etwas unternehmen, was die Sicherheit unserer Luftstreitkräfte gefährdet“.