Streit um Sanktionen: „Nicht ohne und nicht gegen Russland“
Außenminister Frank-Walter Steinmeier erklärt seine Russland-Politik – und Bundespräsident Joachim Gauck trifft eine Putin-Kritikerin.
Eigentlich bräuchte sich der deutsche Außenminister an diesem Abend nicht zu erklären. Nicht vor diesem Publikum, das er ohnehin zum großen Teil auf seiner Seite weiß. Doch Frank-Walter Steinmeiers Rede zum Auftakt der Potsdamer Begegnungen gerät fast zur grundsätzlichen Rechtfertigung seiner Haltung gegenüber Russland. Von den Schrecken des Zweiten Weltkrieges über Willy Brandts Ostpolitik bis zum Ukraine-Konflikt spannt er den Bogen, um die Notwendigkeit des Dialogs zu begründen und zu einem seiner Leitsätze zu gelangen: „Nachhaltige Sicherheit gibt es nicht ohne, schon gar nicht gegen Russland.“ Die Potsdamer Begegnungen werden vom Deutsch-Russischen Forum und der vom Kreml gegründeten Gorchakov-Stiftung organisiert. Im Palais-Saal des Hotels Adlon sind am Montagabend diejenigen, die trotz der russischen Intervention in der Ukraine für eine Wiederannäherung an Russland werben, klar in der Mehrheit.
Mit Spannung wurde Steinmeiers Rede auch deshalb erwartet, weil er sich in der vergangenen Woche für eine schrittweise Aufhebung der Sanktionen gegen Russland ausgesprochen hatte. Damit schloss sich der SPD-Politiker einer Forderung seines Ministerkollegen und Parteichefs Sigmar Gabriel an. „Für mich sind Sanktionen nie das Mittel erster Wahl“, sagte Steinmeier. Diese brächten die Gefahr von „Eskalationsspiralen“ mit sich. Sanktionen dürften kein Selbstzweck sein „und erst recht kein Mittel, den Partner in die Knie zu zwingen“. Niemand könne ein Interesse daran haben, dass Russland wirtschaftlich ruiniert wird. Der Minister plädiert dafür, nach substanziellen Fortschritten die Sanktionen schrittweise abbauen zu können. Er werde immer wieder gefragt, ob er sicher sei, dass die EU-Sanktionen „vollumfänglich verlängert“ würden. Das könne er heute nicht beantworten, betonte Steinmeier.
Steinmeier beklagt "Verzögerung und Obstruktion" im Ukraine-Konflikt
Viel wichtiger sei jedoch, dass es endlich Fortschritte bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarung für die Ostukraine gebe. Beiden Seiten im Ukraine-Konflikt warf Steinmeier „Verzögerung und Obstruktion“ des politischen Prozesses vor. „Wir müssen zurück zu einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchitektur“, betonte der Außenminister. „Dafür brauchen wir Beiträge von beiden Seiten.“
Wenige Stunden vor Steinmeiers Rede setzte Bundespräsident Joachim Gauck einen ganz anderen Akzent in der Russlandpolitik: Er empfing die große alte Dame der russischen Menschenrechtsbewegung, Ljudmila Alexejewa. Dem ehemaligen DDR-Bürgerrechtler war das Treffen mit der 88-jährigen Leiterin der Moskauer Helsinki-Gruppe wichtig, die schon in der Sowjetunion für Bürgerrechte kämpfte und dies in Wladimir Putins Russland fortsetzt. Sie gehört heute zu den wenigen in Russland, die öffentlich die Annexion der Krim als Bruch des Völkerrechts verurteilt haben. Auch diese deutlichen Worte verbinden sie mit dem Bundespräsidenten, der Putins Vorgehen in der Ukraine ebenfalls scharf kritisierte.
Mehr als eine Stunde nahm sich der Präsident für die Menschenrechtlerin Zeit, der er dem Vernehmen nach seine große Anerkennung aussprach. Sie schilderte ihm „neue Methoden“ der Unterdrückung in Russland und berichtete, dass sich vom Staat gelenkte empörte Bürger gegen Bürgerrechtler wendeten, manchmal mit Gewalt. Gauck dankte ihr für ihren „mutigen und heldenhaften Kampf“ für die Menschenrechte. Dieses Treffen lässt sich durchaus als subtile Kritik an der Politik Putins verstehen.