Grünen-Abgeordneter erklärt seinen Tweet: „Nicht Long Covid ist die Gefahr für unsere Kinder, sondern Long Lockdown“
Auf Twitter wird Grünen-Politiker Dieter Janecek als Corona-„Verharmloser" beschimpft. Hintergrund ist ein von ihm verfasster Tweet. Was hat es damit auf sich?
Dieter Janecek sitzt seit 2013 für die Grünen im Deutschen Bundestag. Er vertritt den Wahlkreis München-West/Mitte und ist Sprecher für digitale Wirtschaft und Industriepolitik. Zwischen 2008 und 2014 war er Landesvorsitzender der Grünen in Bayern.
Herr Janecek, Sie haben am Wochenende mit einem Tweet für Aufmerksamkeit bekommen. Es gab insgesamt 1000 Retweets. Sie schrieben: "Auch für Saskia Esken nochmal zum Mitschreiben. Nicht #LongCovid ist die große Gefahr für unsere Kinder sondern #LongLockdown."
Die SPD-Chefin Saskia Esken hatte zuvor gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe vor Corona-Langzeitfolgen für junge Menschen gewarnt und gefordert, Kinder und Jugendliche stärker zu schützen. Sie sagte: „Wir dürfen nicht noch mehr Zeit verlieren in dem Irrglauben, Kinder und Jugendliche seien nicht gefährdet“.
Reaktionen darauf waren, es sei "populistisch" von Ihnen so etwas zu schreiben. Andere bezeichneten Sie als "Verharmloser" oder "Wissenschaftsleugner". Hat es Sie überrascht, solche Reaktionen zu bekommen?
Nein, das hat mich nicht überrascht. Ich bin es inzwischen gewohnt, in den sozialen Netzwerken immer wieder dafür beschimpft zu werden, mehr Verhältnismäßigkeit beim Umgang mit Kindern in der Pandemie einzufordern.
Long Covid ist bei Erwachsenen ein vielfach beobachtetes Phänomen. Einige Kliniken berichten von entsprechenden Fällen auch bei Kindern, andere sehen bei Kindern ein weniger hohes Risiko. Insgesamt ist die Datenlage aber eher dünn. Wieso schreiben Sie dennoch, dass von Long Covid keine Gefahr für Kinder ausgeht?
Long Covid bei Kindern ist bislang in der Kinder- und Jugendmedizin noch nicht als ein breit angelegtes Phänomen beobachtet worden. Im Haunerschen Kinderspital in München zum Beispiel gibt es laut meiner Nachfrage aktuell vier Verdachtsfälle, die nun genauer untersucht werden. Das Problem ist, dass man sich schwer tut zu unterscheiden, ob Kinder in Folge des langen Lockdowns oder aufgrund einer Infektion erkranken.
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Ich sage nicht, dass es keine Gefahr gibt, aber ich finde es falsch, auf diese Weise Angst zu verbreiten. Auch SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach warnt ja immer wieder intensiv, obwohl die Ständige Impfkommission oder die zuständigen Fachgesellschaften der Kinder- und Jugendmedizin ihm hier deutlich widersprechen.
Ich bin sehr dafür, dass wir mögliche Gesundheitsrisiken für Kinder immer einordnen und aufklären. Der lange Lockdown für Schulen und Kitas war aus meiner Sicht aber mindestens genauso eine Gefahr für Seele und Gesundheit unserer Kinder.
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Schulschließungen trotz hoher Infektionszahlen lehnen Sie also ab?
Nein, die Schließung im Dezember im exponentiellen Wachstum der zweiten Welle war aus dem Kenntnisstand heraus damals nachvollziehbar. Das Problem ist, dass danach aber nicht mehr aufgemacht wurde. Das ging bis in den Mai, 160 Tage am Stück für hunderttausende Schüler. Das war einfach nicht mehr verhältnismäßig.
Was meinen Sie mit verhältnismäßig?
Nicht jedes Kind wohnt in geordneten Verhältnissen, behütet in einem Haus mit Garten. Ich kenne zum Beispiel die Situation einer Geflüchtetenfamilie, die sich über Monate zu siebt ein Zimmer teilen musste bei parallelem Homeschooling.
Beengte Wohnverhältnisse sind nicht selten die Regel. Sozial und psychologisch war der lange Lockdown für viele eine schwere Belastung. Und deshalb ist es wichtig, immer wieder nach der Verhältnismäßigkeit zu fragen.
Rund 1500 Kinder waren während der gesamten Pandemie im Krankenhaus, nur sehr wenige von ihnen erkrankten schwer. Und das bei 15 Millionen Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Glücklicherweise haben Kinder einfach ein sehr geringeres Risiko, schwer zu erkranken. Und jetzt können wir es uns einfach nicht leisten, eine ganze Generation im nächsten Schuljahr wieder so stark zu beeinträchtigen. Bei einem so langen Lockdown machen wir uns schuldig.
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Das heißt, Sie sind dafür, Schulen unter allen Umständen geöffnet zu lassen? Selbst wenn im Herbst eine vierte Welle kommt?
Janeck: "Man kann jetzt zumindest nicht mehr pauschal sagen, dass Schulen ab einer Inzidenz von 100 oder 150 geschlossen werden müssen. Die Schulen haben regional nach ihren Möglichkeiten unterschiedliche Schutzkonzepte. Alle Lehrer hatten mittlerweile ein Impfangebot, jeder Erwachsene und wohl bald auch alle Jugendlichen ab 12 Jahren können sich impfen lassen.
Wir haben jetzt einfach eine andere Situation als noch im Dezember. Da kann man nicht mehr einfach nur auf die Inzidenz schauen. Damals war auch noch niemand geimpft."
In einem anderen Tweet schrieben Sie "Was ist eigentlich aus dem B117-tötet- Kinder-Virus mit Raketenantrieb geworden? Kommt der noch?" Auch hier haben Sie einen Ton gewählt, der vielleicht nicht jedem gefällt...
Von NoCovid-Aktivisten und auch manchen Modellierern wurde damals über Wochen verbreitet, die Alphavariante sei für Kinder besonders gefährlich und im Mai sei die Inzidenz unter Garantie bei 1000, wenn wir ja nicht weiter die Schulen geschlossen halten. Diese Einschätzungen waren falsch und ging am Ende zu Lasten der Kinder. Darüber habe ich mich in diesem Tweet geärgert.
Trotzdem würde ich ihn heute so nicht mehr formulieren. Ich war selber wie übrigens auch viele Elterninitiativen immer wieder heftigen Anfeindungen ausgesetzt. In Bremen ist die Schulsenatorin wegen der Diffamierungen gegen ihre Person und ihre Familie sogar zurückgetreten.
Damit die Schulen nach den Ferien offen bleiben können, welche Schutzmaßnahmen müssen dafür ergriffen werden?
Gute Hygienekonzepte, Testen und Maske sind auf jeden Fall wirksame Maßnahmen sowie Lüften und die Verwendung von Luftfiltern. Wobei auch zu diskutieren ist, ob es die Maske zum Beispiel in der ersten oder zweiten Klasse der Grundschule wirklich braucht. In Bayern wurde die Maskenpflicht vor den Ferien aufgehoben. Das ist bei niedrigen Inzidenzen auch in Ordnung.
Kann das Impfen von Schülern ab 12 Jahren auch eine Maßnahme sein? Bisher hat die Ständige Impfkommission keine Empfehlung dazu abgegeben. Möglich ist es aber. Was halten Sie davon?
Ich habe eine 13-jährige Tochter, die sich impfen lassen will. Ich habe sie nicht dazu gedrängt, sondern sie möchte es. Ich finde es gut, wenn sich Jugendliche impfen lassen, aber ich will es ihnen nicht vorschreiben. Es ist Aufgabe der Ständigen Impfkommission eine Empfehlung auszusprechen und nicht von wahlkämpfenden Politikern wie Markus Söder und Karl Lauterbach. Das schadet der Akzeptanz und hilft nicht dabei, Vertrauen zu schaffen.
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