Hubert Aiwanger im Interview: „Nicht allen die Pistole auf die Brust setzen, die sich nicht impfen lassen wollen"
Hubert Aiwanger sieht die Freien Wähler schon im Bundestag. Er spricht über Impfzwang, „alte weiße Männer“ und warum er gegen die Frauenquote ist.
Hubert Aiwanger ist stellvertretender Ministerpräsident in Bayern, bayerischer Wirtschaftsminister und Bundesvorsitzender der Freien Wähler.
Herr Aiwanger, Sie sind stellvertretender Ministerpräsident in Bayern. Die Freien Wähler sitzen im EU-Parlament, in mehreren Landtagen und unzähligen Rathäusern. Sind Sie jetzt eigentlich eine richtige Partei oder nicht?
Natürlich. Aber die Entstehungsgeschichte der Freien Wähler ist regional, von unten gewachsen. Wir bestehen bundesweit flächendeckend aus kommunalen Gruppen, die sich nach und nach überregional zusammengeschlossen haben, aber nur ein Teil der kommunalen Mitglieder ist auch Mitglied der Bundesvereinigung Freie Wähler. Unsere Aufgabe ist, dieses große politische Potential zu heben. Mit unseren vielen Bürgermeistern und Verantwortungsträger vor Ort sind wir heute schon Volkspartei.
Jetzt wollen Sie auch in den Bundestag einziehen. Wie wollen Sie denn die Fünf-Prozent-Hürde knacken?
Mit Stimmen von vernünftigen Leuten, die von der Union nicht mehr überzeugt sind, die die AfD aber auch nicht wählen würden und die FDP nicht mögen und denen die Grünen zu ideologisch sind. Wir sind unverbrauchter als all diese Parteien. Wir werden in den nächsten Wochen bestimmt auch noch Sympathiepunkte gewinnen mit vernünftigen Themen von Wasserstoff über die Stärkung des ländlichen Raumes bis hin zum Nein zum Impfzwang.
Ihr Ziel ist, im Bund mitzuregieren. Wären Sie dafür bereit, der Mehrheitsbeschaffer für Schwarz-Grün zu sein?
Nein, Schwarz-Grün würde uns nicht brauchen und ich will die Grünen nicht pushen, weil sie mir zu ideologisch sind. Die Grünen sind zu einer Partei der Intoleranz geworden. Fleischessen verteufeln, kein Autofahren, Klima, Klima, Klima. Wir brauchen jedoch pragmatische Lösungen statt schlechtes Gewissen und Zukunftsangst. Eine Koalition der Mitte mit den Freien Wählern wäre gut für Deutschland.
Die Freien Wähler kommen aus der Lokalpolitik. Hat Ihre Partei überhaupt genug Expertise, um auf Bundesebene bei Megathemen wie Rente, Nahostkonflikt oder Klimaschutz mitzureden?
Gerade weil wir aus der Politik vor Ort kommen, wissen wir was die Menschen bewegt. Wenn die Grünen eine Kanzlerkandidatin im Rennen haben, die schonmal Kobold mit Kobalt verwechselt hat, können wir auf alle Fälle mithalten. Ich bin überzeugt, dass unsere Leute das intellektuelle Niveau im Bundestag heben werden.
Sie wollen eine Alternative sein zu CDU und AfD. Aber eigentlich gibt's die Alternative mit der FDP schon.
Die FDP will den europäischen Bundesstaat, wir sind für starke Regionen. Die FDP ist gesellschaftspolitisch linksliberaler, wir sind bodenständig und wertkonservativ. Die FDP ist eine Großkonzernpartei, die immer schon von Parteispenden gelebt hat. Wir sind mittelstandsnäher und bürgerlicher. Die FDP ist gesellschaftspolitisch im Herzen grün – nur mit gelber Krawatte.
Sie werden in die sozialen Medien - und auch im bayerischen Landtag ist es schon vorgekommen - verspottet wegen Ihres Dialekts. Pflegen Sie den bewusst?
Nein, aber ich stehe zu meiner Heimat. Ich finde es eher traurig, dass häufig gerade Menschen, die sonst viel von Toleranz schwadronieren, einen innerdeutschen Rassismus an den Tag legen und Dialekte veräppeln. Die kommen mir vom geistigen Niveau vor wie diejenigen, die sich früher im Pausenhof über den Dicken oder den Rothaarigen lustig gemacht haben. Aber wenn der Dialekt alles ist, was man an mir aussetzen kann, dann ist das schon in Ordnung.
Sie kommen aus der Landwirtschaft, haben einen eigenen Hof, gehen gerne auf die Jagd. Welche drei persönlichen Fakten, die noch nicht bekannt sind, dürfen unsere Leserinnen und Leser noch über Sie erfahren?
Ich kann gut Menschen unterschiedlichster Gesinnung zusammenführen. Ich bin altruistisch, mir liegt nicht viel an persönlichem Reichtum, mich kann man nicht bestechen. Meine Wahlkämpfe habe ich bisher immer selbst finanziert und auch dieser Wahlkampf wird mich wahrscheinlich so viel wie ein Mittelklassewagen kosten. Ich fahre lieber ein älteres Auto und bin nach der Wahl niemandem etwas schuldig.
Nennen Sie uns auch eine negative Eigenschaft?
Offenbar der Dialekt... (lacht).
Sie sagen gerne, Sie wünschen sich weniger Ideologie in der Politik, dafür mehr gesunden Menschenverstand – ein recht schwammiger Begriff. Was bedeutet der für Sie?
Lebenserfahrung und Vernunft. Die muss viel mehr in die Politik einfließen. Ideologie ist, wenn man komplexe Probleme mit immer derselben Antwort angeht oder krampfhaft Leute auf Posten hievt, nur weil es eine Quote verlangt.
Also bloß keine Frauenquote?
Wir müssen Frauen strukturell nach vorne bringen, nicht mit Quoten. Natürlich wollen wir auch noch mehr Frauen als Mitglieder und dann auch auf den Listen, man sollte das aber nicht erzwingen.
Wenn die Freien Wähler eine Frauenquote hätten, hätten Sie vielleicht mehr weibliche und dadurch insgesamt mehr Mitglieder.
Derzeit haben wir etwa 20 Prozent Frauen, Tendenz steigend. Und es ist eben gesellschaftliche Realität, dass bei Listenaufstellungen beispielsweise für den Gemeinderat Frauen oft schwieriger zu finden sind. Aber es wird besser. Gute Frauen setzen sich durch. Man muss zugeben, dass es noch strukturelle Hindernisse gibt. Diese Hürden für Frauen müssen wir abbauen.
Ich finde aber, man darf den Männern kein schlechtes Gewissen machen, nur weil sie Männer sind. Das ist Intoleranz gegenüber Männern. Das gipfelt bei einigen sogar im negativ benutzten Begriff „alte weiße Männer“. Das ist Rassismus in Reinform.
[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Wie könnte man die strukturelle Benachteiligung von Frauen in der Politik abbauen?
Man kann zum Beispiel die Termine von Parteiveranstaltungen familiengerechter legen und Frauen noch mehr animieren, sich auch für eine Kandidatur bereit zu erklären. Viele Frauen haben mehr auf dem Kasten als Männer, die große Reden schwingen. Nur sind Frauen oftmals zurückhaltender. Sie gehen Auseinandersetzungen oft aus dem Weg und Männer drängen sich vor. Das müssen wir in der Politik berücksichtigen.
Man kann Frauen gezielt fördern, aber die Quote ist isoliert gesehen falsch. Das sehen Sie bei den Grünen. Bei denen muss man sich schon dafür entschuldigen, ein Mann zu sein. Die Grünen praktizieren keine Gleichberechtigung, sondern Mobbing gegen Männer.
Ist es nicht etwas gewagt, zu behaupten, Frauen seien grundsätzlich konfliktscheu?
Nicht grundsätzlich. Aber Männer sind tendenziell risikofreudiger. Sie drängen sich schneller in die erste Reihe, scheitern aber auch häufiger. Junge Männer leben im Durchschnitt riskanter, Frauen überlegter. In der Politik heißt das: Männer trauen sich mehr zu, übernehmen schnell mal einen Posten, auch wenn sie dafür nicht geeignet sind. Frauen sind selbstkritischer, oft zu selbstkritisch.
Sie argumentieren wieder mit dem Erfahrungswert, mit dem gesunden Menschenverstand, wie Sie sagen. Die Pandemie hat aber doch gezeigt, dass wir in der Politik weniger Laienmeinungen brauchen. Sie sind gegen eine Maskenpflicht in den Schulen, haben schon die zweite Corona-Welle unterschätzt. Nehmen Sie das Virus überhaupt ernst?
Natürlich. Ich habe als erster Landesminister die Maskenversorgung in die eigenen Hände genommen. Ende April 2020 hatten wir schon die ersten Corona-Schutzmasken aus bayerischer Produktion. Ich habe dann im Herbst gefordert, mit dem Einsatz von Masken Schließungen des Handels zu verhindern. Mit meinem gesunden Menschenverstand war es nie zu vereinbaren, dass wir im Supermarkt mit Maske einkaufen konnten, aber das Schuhgeschäft nebenan schließen musste.
Wir dürfen das Corona-Management nicht nur durch die Brille der Virologen sehen. Deren Idealbild wäre es, wenn jeder allein im Keller säße. Der Kinderpsychologe weiß aber, dass das einen Knacks in der Kinderseele hervorrufen kann. Wir dürfen neben der Medizin die sozialen, psychologischen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Politik nicht außer Acht lassen. Das verstehe ich unter gesundem Menschenverstand. Ganzheitlich denken.
Was sollte die Politik tun, um die nächste Infektionswelle zu verhindern?
Wir müssen konsequent testen – Urlaubsrückkehrer, gefährdete Gruppen, eventuell auch freiwillig und eigenverantwortlich bei größeren Familienfeiern, Schulklassen.
Für Ihre Aussagen zur Corona-Politik wurden Sie von CSU-Ministerpräsident Markus Söder immer wieder zurechtgewiesen. Im Juli hat er Sie öffentlich an den Pranger gestellt, weil Sie sich noch nicht haben impfen lassen. Warum lassen Sie sich das von Ihrem Chef eigentlich gefallen?
In der Politik muss man einstecken können. Wenn ich nur die beleidigte Leberwurst spiele, komme ich mit anderen politischen Inhalten nicht voran. Markus Söder hat eben manchmal einen etwas robusten Stil. Ich kann damit umgehen.
Ihre Rolle in der bayerischen Landesregierung ist nicht leicht. Wenn Sie die CSU-Linie mittragen, nennt man Sie „Söders Ministrant“. Wenn Sie öffentlich widersprechen, heißt es: „Aiwanger der Querulant“. Welche Rolle gefällt Ihnen besser?
Keine von beiden. Ihre Analyse stimmt, das wird von den Medien gerne kultiviert. Das war vor allem auf dem Höhepunkt der Pandemie so, da wurde jede abweichende Meinung angeprangert. Als ich etwa im Januar/Februar dafür plädiert habe, die Skilifte mit Hygienekonzept zu öffnen, weil man sich auf der Piste kaum anstecken kann.
„Verantwortungsloser Populist“ wurde ich dafür in einer Zeitung genannt. Man hatte den Eindruck, in den Medien sei Linientreue verordnet gewesen. Selbst die, die sonst immer Toleranz einfordern, zeigten sich plötzlich völlig intolerant. Nur weil ich öffentlich nicht sagen will, warum ich mich nicht impfen lasse, werde ich an den Pranger gestellt.
Sie wollen uns also nicht sagen, warum Sie noch nicht geimpft sind?
Ich bin noch nicht überzeugt, dass die Impfung für mich persönlich sinnvoll ist.
Sie ist der beste Schutz vor einer schweren Erkrankung.
Auf die medizinische Debatte alleine kommt es dabei nicht an. Es geht auch darum, ob jemand einen medizinischen Eingriff vom Staat oder Sonstigen aufgedrängt bekommen darf oder nicht. Und wenn man sich öffentlich rechtfertigen muss, ist das eine Bedrängung. Impfen muss wie jeder medizinische Eingriff eine persönliche Entscheidung bleiben.
In den Seniorenheimen sind die Sterbezahlen an Corona durch Impfen offenbar deutlich zurückgegangen. Aber das muss nicht heißen, dass sich das in anderen Altersgruppen und bei jedem Einzelnen genauso verhält. Die Stiko bewertet beispielsweise Kinder und Jugendliche anders als Senioren. Darüber gibt es in der Gesellschaft Diskussionsbedarf. Wir dürfen nicht allen die Pistole auf die Brust setzen, die sich nicht impfen lassen wollen
Welchen anderen Weg aus der Pandemie, außer dem Impfen, sehen Sie denn noch?
Wir brauchen mehr wissenschaftliche Fakten über Covid-19: Welche Rolle spielen Übertragungswege, Alter, Vorerkrankungen, Geschlecht, Körpergewicht, Blutgruppe etc.? Das müssen wir genauer analysieren, um zu wissen, wo Vorbeugung und Therapie ansetzt.
Sie setzen Ihre Hoffnung also vor allem auf künftige Therapiemöglichkeiten?
Auch. Wir haben in Bayern eine Therapie-Strategie aufgesetzt und sind mit Firmen im Gespräch, die an Long-Covid-Therapien arbeiten. Ich wünsche mir vor allem von der Wissenschaft mehr Fakten, damit die Politik gezielter handeln kann.
So kann man vielleicht mit dem Virus leben. Aber wie kommen wir aus der Pandemie heraus?
Jedenfalls sollten wir uns nicht auf die Impfung allein verlassen. Testen, Abstand, Maske bewirken in der richtigen Situation viel, müssen aber auch intelligent eingesetzt werden. Wir werden Corona wahrscheinlich nicht komplett ausrotten können. Es wird immer irgendwo eine neue Variante geben, gegen die die Impfung nicht hilft. Man muss eine Vielzahl an Maßnahmen bereithalten und diese klug kombinieren.
Markus Söder möchte, dass vollständig Geimpfte bald wieder in Diskotheken gehen dürfen. Tests sollen nicht ausreichen. Was halten Sie davon?
Das ist mir zu eng. Auch ein negativ Getesteter muss reindürfen. Das wäre sonst nicht fair und auch medizinisch nicht unbedingt notwendig. Ein Geimpfter kann in manchen Fällen auch noch ansteckend sein, vielleicht sind da sogar die Getesteten medizinisch sicherer. Ich bin für drei Gs statt ein G – Geimpfte, Genesene und Getestete.
Bei der Bundestagswahl im September werden die Weichen für die Zukunft gestellt. Richtig modern wirkt Ihre Partei aber nicht. Wollen Sie nicht mal einen Anfang machen und sich in „Freie Wähler*innen“ umbenennen?
Wir wollen gesellschaftlich mehr bewegen als ein paar Überschriften und Sternchen. Wer glaubt, mit dem Genderstern das Land zu modernisieren, bleibt an der Oberfläche stecken, man sollte das Sternchen nicht ideologisch überhöhen. Das Sternchen rettet nicht die Welt, ist aber auch nicht der Untergang des Abendlandes. Sterne am Himmel sind schön, wir werden uns auch an die Sterne im Text gewöhnen. Wichtiger ist, dass Männer und Frauen respektvoll miteinander umgehen und sich unterstützen statt ideologisch bekämpfen.