Verhältnis zu den USA: Neustart ohne Illusionen
Der deutsche und der französische Außenminister unterbreiten Joe Biden einen "New Deal". Einfach werden die Beziehungen nicht mehr werden. Das sagt sogar die Kanzlerin.
Bei jeder Gelegenheit bekräftigt die Bundesregierung seit dem Wahlsieg Joe Bidens ihre Bereitschaft, das unter Donald Trump ramponierte transatlantische Verhältnis wieder zu beleben und dafür größere Anstrengungen zu unternehmen. Doch mit Biden oder seinen Mitarbeitern über dessen Erwartungen sprechen können Vertreter Deutschlands noch nicht. Weil US-Gesetze es Personen verbieten, ohne Legitimation mit einem anderen Staat zu verhandeln, wird in Berlin erwartet, dass direkte Gespräche erst Ende Januar beginnen können.
Aber es gibt andere Kanäle, um Botschaften zu senden. Außenminister Heiko Maas (SPD) und sein französischer Amtskollege Jean-Yves le Drian warben Anfang der Woche in einem Beitrag für die „Washington Post“, „Zeit Online“ und „Le Monde“ für einen „transatlantischen New Deal“. Mit Biden werde „wieder größere transatlantische Geschlossenheit möglich“, schreiben sie. Es gebe „keine besseren, engeren und natürlicheren Partner als Amerika und Europa“. Gemeinsam mit den USA müsse die EU den Multilateralismus und die regelbasierten Ordnungen wieder stärken.
Merkel: Es wird nicht mehr so, wie es war
Zwar werde sich auch unter Biden „die Kompassnadel der US-Außenpolitik weiterhin eher auf China ausrichten“, erwarten Maas und Le Drian. Gemeinsam müssten die EU und die USA Hebel finden, mit dem wachsenden Selbstbewusstsein Chinas umzugehen, ohne Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit Peking gegen globale Herausforderungen wie die Covid-19-Pandemie und den Klimawandel zu verschütten. Dazu müssten die EU und die USA sich enger abstimmen, um etwa im Umgang mit Menschenrechten, digitaler Infrastruktur und fairem Handel gemeinsam vorzugehen.
Als weitere Beispiele einer verbesserten Zusammenarbeit nennen die Außenminister die von Biden angekündigte Rückkehr der USA zum Atomabkommen mit dem Iran. Der Vertrag hatte Teherans aggressive Politik in der Region ausgeklammert. Nun bieten Berlin und Paris an, „auch die anderen Probleme anzugehen, die Irans Verhalten für unsere Sicherheit und die gesamte Region darstellt“. Aber auch im Umgang mit „dem problematischen Auftreten der Türkei im östlichen Mittelmeerraum“, immerhin ein Nato-Partner, suchen die beiden EU-Vertreter nun die Unterstützung der neuen US-Regierung.
Die Entwicklung der EU in den vergangenen vier Jahren beschreiben Maas und Le Drian mit Stolz. Diese habe sich „zum Besseren verändert“, habe ihre militärischen Fähigkeiten gestärkt. Europa übernehme „bereits jetzt wesentlich mehr Verantwortung für die Sicherheit in seiner Nachbarschaft - von der Sahelzone über das Mittelmeer bis zum Nahen und Mittleren Osten einschließlich der Golf-Region“, heißt es in dem Text. damit reagieren die Außenminister offenbar auf die Erwartung vieler Experten, dass Bidens Bereitschaft gering sein wird, sich in der Periphierie der EU militärisch zu engagieren.
Während Maas und Le Drian den Schulterschluss üben, ist zwischen dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und der deutschen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) ein offener Konflikt über das künftige Verhältnis der EU zu den USA ausgebrochen. Am Montag hatte Macron kritisiert, dass die Ministerin sich gegen eine „strategische Autonomie“ der EU ausgesprochen hatte. Er warf ihr eine „Fehlinterpretation der Geschichte“ vor.
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Am Dienstag bekräftigte die CDU-Vorsitzende ihre Position, wonach sich Europa auf absehbare Zeit nicht ohne die USA verteidigen könne. „Die Idee einer strategischen Autonomie Europas geht zu weit, wenn sie die Illusion nährt, wir könnten Sicherheit, Stabilität und Wohlstand in Europa ohne die Nato und ohne die USA gewährleisten“, sagte die Ministerin in einer Grundsatzrede. Wie Macron plädierte sie zwar dafür, dass Europa mehr für seine Sicherheit tun müsse, erklärte aber zugleich: „Ohne die nuklearen und konventionellen Fähigkeiten Amerikas können Deutschland und Europa sich nicht schützen. Das sind die nüchternen Fakten.“
Die große Koalition in Berlin erliegt nicht der Illusion, die Zusammenarbeit mit einem Präsidenten Biden werde einfach werden. Angesichts langfristiger Trends der US-Politik und der harten Interessen Washingtons wird damit gerechnet, dass der Demokrat Biden zwar umgänglicher und kompromissbereiter auftreten wird, aber alte Konflikte weiterbestehen, etwa in Wirtschafts- und Handelsfragen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warnte am Montag: „Ich glaube, dass es nicht mehr so wird, wie es war.“