Umgang mit Kriegsverbrechern: Neuer alter Hass auf dem Balkan
In Kroatien wird der Kriegsverbrecher gefeiert, der sich im Gerichtssaal tötete. Nur ein Beispiel, dass der Ungeist der 90er Jahre auf den Balkan zurückkehrt.
Statt vorweihnachtlicher Besinnung ist im ex-jugoslawischen Vielvölkerreich mit seinen unvergessenen Kriegen wieder einmal selbstgerechtes Nachkarten und unversöhnliches Aufrechnen angesagt. Grenzüberschreitend verherrlichen die jeweiligen Staaten heimische Kriegsverbrecher, provozieren die einstigen Kriegsgegner und kritisieren das UN-Kriegsverbrechertribunal: Eine Woche nach dessen letzten Urteilen schwappt durch die zerrissene Region eine neue Woge des alten Hasses.
Am Wochenende weihten bosnisch- serbische Veteranen des Bosnienkrieges (1992–1995) in Visegrad feierlich ein Wandgemälde mit Porträts der wegen Völkermords verurteilten Kriegsverbrecher Ratko Mladic und Radovan Karadzic ein. Mit dem Antlitz von Mladic auf den Trikots liefen die Kicker des Amateurklubs FK Kabel im serbischen Novi Sad Ende November aus Solidarität mit dem zu lebenslang verurteilten Kriegsverbrecher aufs Feld. Das Boulevardblatt „Srpski Telegraf“ beglückte seine Leser derweil mit einer Poster-Morgengabe für die Wohnstuben: Mit „serbischer Held“ war die Aufnahme des Ex-Generals untertitelt.
Ein Kriegsverbrecher als Märtyrer
Auch in Kroatien wird der zu 20 Jahren verurteilte Kriegsverbrecher Slobodan Praljak nach seinem Selbstmord im Gerichtssaal von den Medien und Regierungspolitikern als Held und Märtyrer gefeiert, der sich für das Land geopfert habe. Vermehrte Todesdrohungen erhalten hingegen Journalisten und Politiker wie die frühere Außenministerin Vesna Pusic, die sich kritisch zu den von der kroatisch-bosnischen Armee (HVO) begangenen Kriegsverbrechen äußern. Er habe gehofft, dass Kroatiens Amtsträger „verantwortlicher“ agieren würden, sagt Serge Brammertz, der Chefankläger des Tribunals. Doch stattdessen würden Kriegsverbrecher zu Helden gemacht: „Die Negierung der bewiesenen Fakten verhöhnt die Opfer.“
Kroatien müsse sich „endlich seiner Kriegsvergangenheit stellen“, sagt höhnisch Serbiens Außenminister Ivica Dacic. Dabei könnte sich das einstige Sprachrohr von Serbiens verstorbenem Ex-Autokraten Slobodan Milosevic getrost mit sich selber befassen. Erst am Wochenende kürte seine sozialistische SPS den vom UN-Tribunal wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit einst zu 18 Jahren Haft verurteilten Nikola Sainovic zu ihrem neuen Vorstandsmitglied. Serbiens früherer Vizepremier habe das Land in Den Haag „würdig verteidigt“, begründete Dacic die Blitzkarriere des resozialisierten Kriegsverbrechers.
Serbien soll stolz auf seine Kriegsvergangenheit sein
Zum festen Inventar der größten Regierungspartei SNS zählt seit seiner Entlassung Ex-Major Veselin Sljivancanin, der wegen seiner Mitverantwortung für das Massaker von Ovcara vom Tribunal zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war. „Was wollen Sie, sollen wir ihn etwa fesseln oder totschlagen?“, reagierte kürzlich der allgewaltige Staats- und Parteichef Aleksandar Vucic unwirsch auf die Frage, was der Kriegsverbrecher bei einer Fabrikeröffnung in seinem Gefolge zu suchen habe. Die Einführung eines „Tages der Krieger“ schlägt derweil Verteidigungsminister Aleksandar Vulin vor, der unlängst den vom Tribunal verurteilten Vladimir Lazerevic zum Dozenten der Militärakademie beförderte: Denn Serbien könne auf seine Kriegsvergangenheit „stolz“ sein.
Der Geist des Kriegsjahrzehnts der 90er Jahre sei zurückgekehrt, konstatiert resigniert der serbische Schriftsteller Filip David. Die Nationalisten, die in Bosnien, Kroatien und Serbien an der Macht seien, „werden uns nie versöhnen, weil sie das im Grunde nicht wollen“, fürchtet derweil auch der Belgrader Kolumnist Veselin Simonovic. „Selbst wenn sie den Namen ihrer Parteien ändern, aus ihren Tschetnik-, Ustascha- oder Mudschaheddin-Uniformen schlüpfen und sich zu Europa bekennen, tun sie das nur, um sich an der Macht zu halten.“
Thomas Roser