China: Neue Normalität unter Li Keqiang
Premierminister Li Keqiang bereitet China auf ein langsameres Wachstum vor. Nur der Militärhaushalt wächst und wächst.
Der Nationale Volkskongress ist am Donnerstag in Peking mit einer kleinen Niederlage gestartet. Normalerweise unternimmt die Volksrepublik China vor wichtigen repräsentativen Terminen einiges, um die Luftverschmutzung in der chinesischen Hauptstadt einzuschränken. Als aber die rund 3000 Delegierten am Morgen die Treppenstufen zur Großen Halle des Volkes hinaufstiegen, wölbte sich ein graublauer Himmel über dem Tiananmenplatz im Zentrum Pekings. Und die Luftverschmutzungs-App der US-amerikanischen Botschaft meldete ungesunde Werte. Prompt gestand Chinas Premierminister Li Keqiang in seinem jährlichen Rechenschaftsbericht zu Beginn der zehntägigen Sitzung ein: „Wir müssen die Umweltverschmutzung mit aller Macht bekämpfen.“
Der Regierungschef ist zu diesem Satz womöglich geradezu genötigt worden, weil im Vorfeld des Volkskongresses der Film „Unterm Firmament“ der ehemaligen CCTV-Journalistin Chai Jing die öffentliche Diskussion auf die gesundheitsgefährdende Luftverschmutzung in China gelenkt hatte. Der Internet-Film fand erst große Beachtung bei der chinesischen Bevölkerung und dann auch bei den Zensoren. Diese mussten offenbar verhindern, dass während des Volkskongresses, eines Scheinparlaments, das noch nie eine Gesetzesinitiative abgelehnt hat, ein von außen hereingebrachtes Thema die politische Agenda bestimmt. Die Botschaft des Regierungschefs beinhaltete am Donnerstag die Warnung vor einem langsameren wirtschaftlichen Wachstum der Volksrepublik.
Korruption und Misswirtschaft
„Es wird schwieriger, ein stabiles Wachstum aufrechtzuerhalten“, sagte Li Keqiang in seiner eineinhalbstündigen Rede. Er prophezeite für das Jahr 2015 ein Wachstum von ungefähr sieben Prozent. Das wäre der geringste Wert seit 1990. Im vergangenen Jahr war die Wirtschaft bereits für chinesische Verhältnisse ungewöhnlich gering gewachsen, mit 7,4 Prozent sogar weniger als von der chinesischen Regierung erwartet. Allerdings bezeichnet Li Keqiang, der einen Doktortitel in Wirtschaft hat, diese Wachstumsdimension als „neue Normalität“. Chinas Wirtschaft erwarte ein noch schwierigeres Jahr als 2014, sagte der Premierminister, „das Wachstumsziel von geschätzten sieben Prozent berücksichtigt, was notwendig und was möglich ist“.
Auf dem Weg zu einem nachhaltigeren und vom Binnenkonsum gestärkten Wachstum sollen die staatseigenen Unternehmen weiter reformiert werden. Die Inflation der Verbraucherpreise soll 2015 bei drei Prozent liegen. Außerdem will die Regierung zehn Millionen neue Jobs schaffen, die Arbeitslosenquote soll 4,5 Prozent nicht überschreiten. Trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten leistet sich China zum fünften Mal in Folge mit 10,1 Prozent einen zweistelligen Zuwachs im Militärhaushalt, was den chinesischen Nachbarstaaten Sorgen bereiten dürfte. Auch prangerte Li Keqiang Korruption und Misswirtschaft an. „In der Arbeit der Regierung gibt es noch viel zu verbessern, und einige politische Maßnahmen werden nicht zufriedenstellend umgesetzt“, sagte er. Auch darüber dürfte in den nächsten Tagen in Peking gesprochen werden.
Im Übrigen sagt das Ministerium für Umweltschutz für Freitag und Samstag „heftige Luftverschmutzung“ in Peking und Umgebung voraus. Auch das ist die neue Normalität in China. Aber das hat Li Keqiang nicht gesagt.