Abkehr von Tsipras' Migrationspolitik: Neue griechische Regierung will 10.000 Flüchtlinge in Türkei schicken
Griechenland verschärft nach dem Brand im Camp Moria seine Politik. Bis Ende 2020 sollen Tausende Migranten zurück in die Türkei. Flüchtlinge protestieren.
Die neue griechische Regierung will bis Ende 2020 insgesamt 10.000 Flüchtlinge in die Türkei zurückführen. Dies erklärte die konservative Regierung am Montag in Athen nach einer Krisensitzung des Kabinetts. Diese war nach dem tödlichen Brand im chronisch überfüllten Flüchtlingslager Moria auf Lesbos einberufen worden.
Mehr Grenzpatrouillen, geschlossene Lager
Die neue Regierung von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis sieht in der angekündigten Maßnahme eine Abkehr von der Migrationspolitik der linken Vorgängerregierung. Unter der Syriza-Regierung von Ex-Ministerpräsident Alexis Tsipras seien in viereinhalb Jahren nur 1806 Geflüchtete in die Türkei zurückgebracht worden, hieß es in der Erklärung.
Zudem kündigte die Regierung mehr Grenzpatrouillen in der Ägäis und die Errichtung geschlossener Lager für illegale Einwanderer oder abgewiesene Asylbewerber an. Zudem sollen auf den griechischen Inseln ankommende Flüchtlinge weiter aufs Festland verlegt werden.
Viele Migranten wollen nach Deutschland
In vielen Fällen stehen ihre Identitäten und Fluchtgeschichten dabei noch nicht fest, wegen der großen Anzahl der Geflüchteten und Migranten kommen die griechischen Behörden nicht mit den Asylverfahren nach. Viele Migranten wollen auch gar nicht das Verfahren in Griechenland beginnen, sondern dies gleich in Deutschland oder in anderen nordeuropäischen Ländern tun. Sonst könnten sie wegen der Dublin-II-Verordnung ins Land der Ankunft zurückgeschickt werden. Die meisten Migranten wollen aber in die Bundesrepublik oder nach Skandinavien, weil dort schon Verwandte sind und weil die staatliche Versorgung etwa mit Wohnraum, Kranken-, Renten- und Sozialversicherung sowie die finanziellen Leistungen in Deutschland weit umfassender sind als etwa in Griechenland. Im Zuge des Rückführungsdrucks werden nun viele Migranten auf den griechischen Inseln versuchen, über Schlepper versteckt in Lkw oder Zügen oder mit gefälschten Pässen über Flüge nach Nordeuropa zu kommen. Im Umfeld der grünen Grenzen und an den Abflug- und Ankunftsflughäfen wird kaum kontrolliert.
Hilfsorganisationen beklagen traumatisierende Zustände
Bei dem Brand im Flüchtlingslager Moria war am Sonntag mindestens eine Frau ums Leben gekommen, womöglich gab es bis zu drei Tote. Danach kam es zu Ausschreitungen und Tumulten, Polizisten und Feuerwehrleute wurden verletzt. Athen flog zusätzliche Beamte nach Lesbos ein. Moria ist für 3000 Menschen ausgelegt, allerdings leben rund 13.000 Geflüchtete in dem Lager, in zusammengeknoteten Zeltplanen, ohne angemessene hygienische Versorgung, geschweige den Heizung oder Strom. Hilfsorganisationen beklagen schon lange die inhumanen Zustände, fehlende Sicherheit und Gewalt, die vor allem für Kinder weiter traumatisierend sind. Die UNO sowie Ärzte ohne Grenzen und andere NGOs fordern eine sofortige Verbesserung der Zustände, die Europas nicht würdig sein. Auf Lesbos gibt es auch andere Lager, etwa Kara Tepe, die lokal gemanagt und in weit strukturierterem und humanerem Zustand sind. Überfüllt sind indes auch die anderen Lager auf den Ost-Ägäis-Inseln, etwa Leros, Chios, Kos, Samos.
Strände im Süden nicht betroffen
Von den Booten bekommt man indes nur an vereinzelten Stellen der griechischen Inseln im Norden oder Osten etwas mit, die nur wenige Seemeilen von der Türkei entfernt liegen. Da die meisten Boote nachts ankommen und zumeist zivilgesellschaftliche Helfer die Menschen empfangen und die Boote und vermeintlichen Rettungswesten schnell wegräumen, sehen Touristen am Tage nur wenig oder nichts mehr davon davon. Zudem sind die Urlaubsorte im Süden der Inseln gar nicht von Bootsanlandungen betroffen, dennoch sind die Einheimischen dort in finanzielle Krisen gestürzt, weil weit weniger Urlauber kommen. Trotzdem sammeln und helfen viele Griechen weiter, weil sie die Fluchtgeschichten berühren.
Pro Boot Gewinn von rund 50 000 Euro
Ankara hatte in einer Vereinbarung mit der EU im März 2016 zugesichert, alle neu auf den griechischen Inseln ankommenden Flüchtlinge zurückzunehmen und stärker gegen Schlepperbanden vorzugehen. Zuletzt war die Zahl der auf den griechischen Inseln ankommenden Migranten massiv gestiegen. Auch, weil der türkische Staatspräsident Erdogan angekündigt hat, er wolle Syrer zurückschicken. Derzeit kommen indes viele Afghanen und Afghanen aus Iran. Unter den Arabern sind auch Extremisten. Nach Regierungsangaben befinden sich derzeit rund 70 000 Geflüchtete und Migranten in Griechenland. Da in einem schwarzen Schlauchboot von der türkischen Küste 20 bis 70 Personen sitzen und jeder 500 bis 1400 Dollar für die Überfahrt an Schlepper bezahlt hat, beträgt der Umsatz pro Boot für einen Schlepper rund 50 000 Euro.
400 Flüchtlinge protestieren
Auf der griechischen Insel Lesbos haben am Dienstag rund 400 Flüchtlinge gegen die Bedingungen ihrer Unterbringung protestiert. Vor allem Frauen und Kinder, aber auch alte Leute zogen laut Polizeiangaben vom Lager Moria zur Hafenstadt Mytilini. Sie trugen eine Bahre mit einem Leichentuch. Damit wollten sie an den Brand vom Sonntag erinnern, bei dem eine Frau ums Leben gekommen war. Die Nachricht, dass Griechenland jetzt Tausende zurück in die Türkei bringen will, wird bei den meisten der Menschen in Moria noch gar nicht angekommen sein.
Hoffnung für die Kinder geplatzt
Viele Migranten und Geflüchtete sind jetzt in Griechenland noch verzweifelter, da die erhoffte Zukunftsperspektive, vor allem für die Kinder, sich in Luft aufzulösen scheint und völlig unklar ist, wie und wo sie künftig ein neues Leben aufbauen können.
(mit AFP)