Wahl in Mali: Neuanfang mit alten Gesichtern
Mit Ibrahim Boubakar Keita haben die Malier einen Vertreter des alten politischen Systems an die Macht gewählt. Der 68-Jährige soll nun das Land befrieden, die Wirtschaft wieder ins Laufen bringen und es mit der organisierten Kriminalität in der Sahara aufnehmen.
In der Nacht zum Dienstag, kurz vor Mitternacht, hat Ibrahim Boubacar Keita das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Mali über den Kurznachrichtendienst Twitter bekannt gegeben. Er schrieb: „Mein jüngerer Bruder Soumaila Cissé hat gerade mein Haus verlassen.“ Und weiter: „Er kam, um mir zur Präsidentenwahl zu gratulieren.“ Cissé war Keitas Gegenkandidat bei der Stichwahl am Sonntag und gestand am Dienstagmorgen seine Wahlniederlage auch öffentlich ein. Offizielle Ergebnisse gibt es noch nicht, doch die ersten Trends hatten darauf hingedeutet, dass Keita deutlich vorne lag. Cissés Entscheidung, seine Niederlage noch vor der Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses anzuerkennen, ist sein Signal für den politischen Neuanfang. Im ersten Wahlgang am 28. Juli hatte Keita 40 Prozent der Stimmen erreicht, Cissé kam auf 19 Prozent. Die meisten Kandidaten der ersten Runde hatten sich inzwischen für Keita ausgesprochen. Cissé hatte nach der ersten Runde von Wahlbetrug gesprochen, war aber mit seinem Einspruch vor dem Verfassungsgericht gescheitert.
Der 68-jährige Ibrahim Boubacar Keita, den die Malier nur IBK nennen, hat es im dritten Anlauf geschafft, Präsident zu werden. Nun muss er das Land aus der Krise führen, in dem es sich seit Anfang 2012 befindet. Nach einem erneuten Aufstand der nordmalischen Tuareg hatte eine Gruppe von Offizieren der malischen Armee in der Hauptstadt Bamako den damaligen Präsidenten Amadou Toumani Touré (ATT) gestürzt, wenige Wochen vor der eigentlich geplanten Präsidentenwahl, zu der ATT nicht mehr antreten konnte und wohl auch nicht mehr wollte. Daraufhin eroberte die Tuareg-Miliz MNLA damals im Bündnis mit den islamistischen Milizen Ansar Dine und Mujao sowie dem Al-Qaida-Ableger Aqim den gesamten Norden des Landes. Als die Islamisten in diesem Januar in Richtung Hauptstadt marschierten, griff die französische Armee mit Unterstützung der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas und der tschadischen Armee ein und eroberte die drei wichtigsten nordmalischen Städte Gao, Timbuktu und Kidal zurück. Die Islamisten wurden vertrieben und haben sich nach Einschätzung von Sicherheitsexperten wohl nach Libyen zurückgezogen.
Henner Papendieck, der jahrelang das Entwicklungsprogramm Mali-Nord geleitet hat und im vergangenen Jahr für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung eine umfassende Analyse der Krise Malis vorgelegt hat, sieht das Wahlergebnis positiv. Dem Tagesspiegel sagte er: "Unter den gegebenen Umständen war das der bestmögliche Wahlausgang." Für den Friedenprozess sei IBK eine gute Wahl, findet Papendieck, "weil die Tuareg zu ihm Vertrauen haben". Sein Gegenkandidat Cissé, ein Songhai, also ein Angehöriger der schwarzen Bevölkerungsmehrheit im Norden Malis, hätte allein wegen seiner Herkunft womöglich die Verhandlungen mit den Tuareg, die 60 Tage nach der Wahl weitergehen sollen, erschwert, meint er. Alexander Stroh, Westafrika-Experte des Giga-Instituts für Regionale Studien in Hamburg, findet den Wahlverlauf im Vergleich zu den vorhergehenden Wahlen in Mali ebenfalls positiv. Es sei ein "legitimer Präsident" gewählt worden, und das "ist wichtig in Mali", sagte er. Er lobte vor allem, dass sich Übergangspräsident Traoré an die Verfassung gehalten habe und nicht angetreten war, obwohl er bei der vor mehr als einem Jahr geplanten Wahl zu den aussichtsreichen Kandidaten gezählt hatte. Aber einen Neuanfang kann Stroh in Mali nicht erkennen. Und angesichts dieses Wahlausgangs, der sich wohl nur unwesentlich vom regulären Wahlausgang vor einem guten Jahr unterscheide, "wird der Putsch noch überflüssiger", sagt er.
Der neue Präsident ist ein Repräsentant der alten politischen Klasse Malis
Tatsächlich hat Mali mit Ibrahim Boubacar Keita einen der Repräsentanten des alten Systems zum Präsidenten gewählt, das in der Bevölkerung doch schon vor dem Putsch jede Unterstützung verloren hatte. Ein "neues Gesicht" habe angesichts des kurzfristigen Wahltermins und der begleitenden Umstände auch nicht zur Wahl gestanden, sagt Stroh. Und Keita gilt im Vergleich mit dem Rest der politischen Klasse als relativ sauber. Zwar ist auch er während seiner Amtszeit als Premierminister zwischen 1994 und 2000 ziemlich reicht geworden. Doch im Vergleich zu seinem Gegenkandidaten und ehemaligen Finanzminister Soumaila Cissé eben nicht so unerklärlich und unanständig reich. Offenbar hielten die Malier bei der Wahl IBKs Bereicherung während seiner gut 20 Jahre im politischen Geschäft für noch akzeptabel. Selbstverständlich sind beide Kandidaten mit dem Versprechen angetreten, die Korruption zu bekämpfen. Ein Versprechen, das nicht nur externe Beobachter sondern wohl auch die meisten Malier nicht allzu ernst nehmen. Keita war Anfang der 90er Jahre der Wahlkampfmanager des ersten Präsidenten nach der Militärdiktatur, Alpha Oumar Konaré. 2002 und 2007 unterlag Keita dann bei den Präsidentschaftswahlen dem gestürzten Amadou Toumani Touré. Cissé arbeitete von 2004 bis 2011 für die Westafrikanische Währungsunion. Im Gegensatz zu Keita, der die Putschisten um Amadou Sanogo im vergangenen Jahr nicht öffentlich kritisiert hatte, positionierte sich Cissé stark gegen die Putschisten und musste 2012 zeitweise Bamako verlassen, weil er von Soldaten Sanogos angegriffen worden war.
Neben der offenen Frage, ob und wie des Keita gelingen wird, die verfeindeten Ethnien im Norden und im Süden des Landes wieder zu versöhnen, ist die Frage, wie sich Sanogo verhalten wird, schwer zu beantworten. Er hat sich aus den Wahlen offenbar herausgehalten. Aber angesichts der Erfahrungen des vergangenen Jahres, als er einen ihm missliebigen Premier zum Rücktritt zwang, obwohl er geschworen hatte, sich aus der Politik herauszuhalten, wäre es vielen Strategen in Bamako recht, wenn es gelänge, ihn mit einem internationalen Posten aus dem Land zu locken. IBK kann nach der aus Sicht des Chefs der europäischen Wahlbeobachter, Louis Michel, "erfolgreichen Wahl" recht bald mit üppigen Hilfszahlungen aus dem Westen rechnen. Das Vor-Putsch-Budget wurde zu knapp 30 Prozent mit Mitteln aus dem Westen gefüllt. Nach dem Putsch wurden diese Zuschüsse gestrichen, und die Wirtschaft Malis kollabierte.
Die Geber haben Druck gemacht, schnell zu wählen
Nach einer großen Geberkonferenz haben Europa, die USA und andere Geberstaaten rund vier Milliarden Dollar Hilfe für Mali zugesagt. Allerdings war ihre Bedingung, dass die Übergangsregierung unter Dioncunda Traoré so schnell wie möglich von einer durch eine Wahl legitimierte Regierung abgelöst wird. Wegen des schnellen Wahltermins konnten einige Hunderttausend Jungwähler sowie viele Flüchtlinge, die durch die Kämpfe und die vorhergehende brutale Herrschaft der Islamisten im eigenen Land oder in die Nachbarländer vertrieben worden waren, an der Abstimmung über den nächsten Präsidenten nicht teilnehmen. Trotzdem beteiligten sich im ersten Wahlgang mehr als 50 Prozent der registrierten 6,7 Millionen Wähler - das war die höchste Wahlbeteiligung aller bisherigen Wahlen in Mali. Und auch beim zweiten Wahlgang nahmen die Wähler alle Strapazen der Regenzeit in Kauf, um ihre Stimme abgeben zu können. Viele liefen stundenlang in strömendem Regen durch den Schlamm, um ihre Wahllokale zu erreichen. In Mali herrscht gerade Regenzeit.
Neben den politischen und wirtschaftlichen Problemen muss sich der neue Präsident auch mit der in Westafrika mächtigen organisierten Kriminalität auseinandersetzen. Die Regierung des gestürzten Präsidenten Touré war so eng mit Akteuren des organisierten Verbrechens verbunden, die gleichzeitig mit den Tuareg-Rebellen und auch den Islamisten kooperierten, dass die Drogenhändler, Menschenschlepper, Waffenhändler und Benzindiebe den ohnehin wankenden Staat noch weiter destabilisiert haben. Dieses Problem betrifft nicht nur Mali. Die ganze Region leidet unter dem Einfluss des organisierten Verbrechens und profitiert in Einzelfällen von dessen Geschäften. Guinea-Bissau, wo im November erstmals seit dem Putsch 2012 gewählt werden soll, gilt als mehr oder minder in der Hand der südamerikanischen Drogenmafia. Aber auch die anderen nordafrikanischen Wüstenstaaten, durch die die Routen der Händler mit allen denkbaren illegalen und legalen Gütern führen, sind davon betroffen. Wenn Keita sein Land stabilisieren will, wird er schnell die Kooperation mit den Nachbarländern gegen die organisierte Kriminalität suchen müssen.
Dagmar Dehmer
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