Mali: Der lange Arm der Geschichte
Der Konflikt in Mali reicht weit in die Vergangenheit zurück - bis in die vorkoloniale Zeit. Er verläuft an der Grenze zwischen sesshaften Bauern und Hirtenvölkern, Schwarzafrikanern und Arabern, Sklavenhaltern und Sklaven, Muslimen und Christen. All das spielt unausgesprochen eine wichtige Rolle bei einer Lösung der Krise.
Sammelexekutionen der malischen Armee in wiedereroberten Städten Nordmalis, Angriffe auf hellhäutige Tuareg oder Araber in der malischen Hauptstadt Bamako: Seit dieser Woche ist der Konflikt in Mali wieder zu einer ethnisch motivierten Auseinandersetzung geworden. Tatsächlich war er das schon immer. Schon bevor die Islamisten im Norden das Ruder übernommen hatten, noch vor dem Ausbruch des mittlerweile vierten Tuareg-Aufstands in Nordmali vor fast genau einem Jahr, hatten sich ähnliche Szenen in Bamako abgespielt. Jeder der vorhergehenden Tuareg-Aufstände (1963, 1990, 2006) hat Massaker an Tuareg und Arabern gesehen – und nicht minder brutale Angriffe von Tuareg auf malische Soldaten.
Malis Regierungen haben jahrelang Milizen ausgebildet, finanziert und mit Waffen ausgestattet, um ihnen das schmutzige Geschäft im Kampf gegen die Autonomiebestrebungen der Tuareg zu überlassen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtete schon im Dezember 2012 von akkurat geführten Listen mit Namen von denjenigen, die im Fall einer Rückeroberung als erste „dran“ sein sollten.
Das Muster folgt der alten kolonialen Methode indirekten Regierens. Die Kolonisatoren nutzten das Überlegenheitsgefühl der alten vorkolonialen Eliten aus und übertrugen ihnen wichtige Kompetenzen – nun im Dienste Frankreichs oder Großbritanniens. Doch diese alten Herrschaftsstrukturen reichen weit in die Geschichte hinein. Entlang des zehnten Breitengrads stoßen in Afrika sesshafte Bauern- auf umherziehende Viehhirten-Völker. Hier stoßen diejenigen, die mit dem Sklavenhandel reich geworden sind, auf die, die sie Jahrhundertelang versklavt hatten, hier stoßen Muslime auf Christen. In den blutigen Konflikten zwischen dem Sudan und dem Südsudan ist diese Grenze so relevant wie in den nachkolonialen Konflikten zwischen Südmaliern und Tuareg.
Die Mali-Kennerin Charlotte Wiedemann beschreibt die Gefühlslage so: Die Christen fühlen sich von den Muslimen verfolgt, und die Muslime fühlen sich von den Christen marginalisiert. Beides ist wahr und falsch zugleich. Im Norden Nigerias wie im Falle der Tuareg hat das Überlegenheitsgefühl, das im Falle Nigerias nicht einmal etwas mit der Hautfarbe zu tun hat, und im Falle Malis oder Darfurs im Sudan nichts mit der Religion, dazu geführt, dass die alten Tuareg westliche Bildung ablehnten. Mit dem Ergebnis, dass die historisch unterlegenen oder versklavten schwarzafrikanischen Bevölkerungen inzwischen viel besser gebildet sind – und wirtschaftlich oft erfolgreicher.
Die Sklaverei ist in afrikanischen und erst recht arabischen Gesellschaften komplett tabuisiert. Der Sklavenhandel des Westens hat diesen Teil der Geschichte emotional und in der Geschichtsschreibung komplett überlagert. Doch emotional spielt dieser Aspekt eine bedeutende Rolle in den aktuell ausgetragenen Konflikten am Südrand der Sahara. Der Hinweis auf den Jahrhunderte lang praktizierten Sklavenhandel arabischer, aber auch afrikanischer Völker dient inzwischen zudem radikalen Christen und „Verteidigern des Abendlands“ als Kampfargument gegen Muslime.
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