Videos ausgewertet: Neonazi-Zelle enthüllte früh ihre Absichten
Schon auf älteren Videos, die Ermittler jetzt rekonstruierten, offenbart das Thüringer Neonazi-Trio seine gewaltsamen Pläne. Auch Angela Merkels Wahlkreisbüro in Stralsund zogen die Täter als Angriffsziel in Betracht.
Sie waren offenbar schon früh entschlossen, aus dem Untergrund heraus das Land mit braunem Terror zu überziehen. Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe haben ihren Fanatismus bereits 2001 und 2004 in Videos dokumentiert, die Spezialisten des Bundeskriminalamts rekonstruiert haben. Die Dateien fanden sich auf einer Festplatte, die im Schutt des von Zschäpe am 4. November 2011 angezündeten Hauses in Zwickau lag. Beide Filme, unterlegt mit rechtsextremer Rockmusik, waren offenbar der Vorlauf zu dem im Jahr 2007 produzierten Paulchen-Panther-Video, in dem sich die Gruppe als „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ zu Morden und Anschlägen bekennt.
Im Film von 2001 werden bereits zwei Taten gefeiert: der Mord am türkischen Blumenhändler Enver Simsek, den mutmaßlich Mundlos und Böhnhardt im September 2000 in Nürnberg erschossen haben, und der im Januar 2001 verübte Sprengstoffanschlag in Köln, bei dem eine Deutschiranerin schwere Verletzungen erlitt. In dem Video von 2004 werden diese Verbrechen wie auch weitere genannt. Und in einem der beiden Filme findet sich in einer Textzeile das zynisch-lapidare Bekenntnis der Terrorzelle: „Unsere Taten sprechen für sich“.
Die Zahl der potenziellen Opfer, die das Trio mit seinen Taten treffen wollte, ist gigantisch. Mehr als 10.000 Namen von Personen, Institutionen und Objekten haben die Ermittler auf der Liste gefunden, die Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe ab 2004 zusammengeschrieben haben. Selbst das Stralsunder Wahlkreisbüro von Bundeskanzlerin Angela Merkel ist verzeichnet. Ein Blick auf Berlin zeigt, dass die Terrorgruppe auflistete, wenn auch lückenhaft, was alles ins Feindbild der rechtsextremen Szene passt.
Insgesamt 235 Namen von Personen und Objekten haben einen Bezug zu Berlin. Die Zahl der Politiker ist eher klein, doch steht einer der von Neonazis meistgehassten Sozialdemokraten darauf, Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse. Lakonisch bemerkte er im Gespräch mit dem Tagesspiegel, „ich war nicht verwundert, dass mein Name auf der Liste steht“. Thierse engagiert sich schon lange gegen Rechtsextremismus, auch als Gegendemonstrant bei Aufmärschen.
Als mögliche Angriffsziele kamen für die Terrorzelle in Berlin vor allem Institutionen in Betracht. Auf der Liste stehen das Abgeordnetenhaus, die Bundeszentrale der SPD in Kreuzberg, Verbände der Partei in Stadtteilen, das gilt auch für die CDU. Die Terrorzelle interessierte sich zudem für die Botschaften der USA und Vietnams. Dass die Vertretung des asiatischen Landes genannt ist, sehen Sicherheitsexperten als Fingerzeig auf die ostdeutsche Herkunft von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Die drei wuchsen in der DDR auf, dort wurden in Teilen der Bevölkerung die aus dem „sozialistischen Bruderland“ Vietnam geschickten Vertragsarbeiter als „Fidschis“ verachtet.
Der Ausländerhass der Terrorgruppe, die neun Kleinunternehmer türkischer und griechischer Herkunft ermordet hat, lässt sich zudem an der weiteren Auswahl möglicher Angriffsziele in Berlin ablesen. Da werden unter anderem Moscheevereine genannt, französische und polnische Einrichtungen, ein islamischer Frauenverein, die Deutsch-Arabische Gesellschaft und der Verein der ausländischen Presse. Für das antisemitische Feindbild des NSU stehen die gesammelten Adressen jüdischer Einrichtungen.
Das Sammelsurium auf der Feindliste werten Sicherheitsexperten allerdings auch als Indiz dafür, dass die Terrorgruppe sich aus Internet und Telefonbüchern bediente, aber offenbar kaum Informationen von Berliner Neonazis zugespielt bekam. Dass es dennoch Spuren des NSU gibt, die nach Berlin führen, sei kein Widerspruch. Wie berichtet, soll ein Neonazi aus Thüringen 1998 bei einem NPD-Funktionär um Unterstützung für die Drei aus Zwickau gebeten haben.