FDP-Vize Wolfgang Kubicki: "Natürlich sind wir eine Klientelpartei"
FDP-Vize Wolfgang Kubicki über drei "unglaublich harte Jahre" in der außerparlamentarischen Opposition, die Flüchtlingspolitik Angela Merkels und den geplanten Wiedereinzug der FDP in den Bundestag.
Herr Kubicki, die FDP kämpft um ein Comeback im Bund. Wäre es das Ende der Partei, wenn der Einzug in den Bundestag zum zweiten Mal nicht klappt?
Es wäre nicht das Ende der FDP. Aber es wäre sehr schwer zu verkraften. Seit einiger Zeit erleben wir, dass es wieder Menschen gibt, die sich zur FDP bekennen. Die unterstützen uns finanziell oder durch Engagement. All das würde einen Dämpfer erhalten.
Wie waren die letzten drei Jahre als außerparlamentarische Opposition?
Unglaublich hart. Unsere Bundesgeschäftsstelle wurde um gut ein Drittel reduziert, wir haben mehr als 600 Mitarbeiter der Bundestagsfraktion verloren. Und unsere mediale Präsenz hat leider abgenommen. Der Wiederaufbau musste aus den Ländern organisiert werden. Das ging an die physische und mentale Leistungsgrenze. Ich möchte solche Jahre nicht noch mal erleben.
Warum soll man die FDP wieder wählen? Es ging im Bund doch auch ganz gut ohne.
Das sagen Sie. Viele Menschen sehen das anders. Die Meinungsumfragen im Bund sehen uns wieder bei sechs Prozent und mehr. Die Verbände, die uns einladen, beklagen, dass es keine Stimme der politischen Vernunft mehr im Bundestag gibt. Die große Koalition verteilt doch nur noch Geschenke. Es gibt eine Lücke des wirtschaftlichen Sachverstands...
Apropos: Wird die FDP 2017 wieder einen Steuersenkungswahlkampf führen?
Natürlich brauchen wir Steuerentlastungen für mittlere und kleine Einkommen. Viel wichtiger ist aber, die Infrastruktur des Landes wieder auf Vordermann zu bringen. Und wir brauchen Investitionen in Bildung. Wer heute ausgebildet wird, muss schließlich einmal unseren Wohlstand erwirtschaften.
Wie passen Investitionen und Steuersenkungen denn zusammen?
Es wird keinem Finanzminister schlaflose Nächte bereiten, die kalte Progression und den Solidaritätszuschlag abzuschaffen. Wolfgang Schäuble hat gerade erklärt, dass er bis 2020 etwa 100 Milliarden Euro mehr an Steuern einnimmt, als er jemals gedacht hat. Allein daraus wäre das locker zu finanzieren.
Die FDP ist auch abgewählt worden, weil sie nur noch als Klientelpartei wahrgenommen wurde...
Diese Behauptung teile ich überhaupt nicht. Die FDP ist abgewählt worden, weil man ihre Durchsetzungsfähigkeit bezweifelt hat. Wer mit 14,6 Prozent in eine Koalition startet und dann erklären muss, Mutti habe ihm keine Luft zum Atmen gelassen, braucht sich nicht zu wundern, wenn er nicht gewählt wird. Dazu kommt, dass einige der damals Handelnden den Eindruck erweckt haben, es reiche ihnen schon, Minister zu sein.
Sie meinen, es hat keine Rolle gespielt, dass die FDP als Lobby der Hoteliers und Apotheker wahrgenommen wurde?
Natürlich sind wir eine Klientelpartei. Wie andere auch. Die SPD versteht sich als Partei der kleinen Leute, die Linke als Vertreter der Beladenen und der Wendeverlierer. Aber ich kann mit diesen Klischees nichts anfangen. Selbst wenn uns alle Hoteliers, Apotheker, Ärzte und Anwälte wählen würden, kämen wir nicht über fünf Prozent.
Die FDP war immer auch eine Partei der Bürgerrechte. Wie schwer sind die zu verteidigen in Zeiten des Terrors?
Man muss nur mutig genug sein. Aber wenn jemand einen Asylantrag stellt und kein Aufenthaltsrecht erhält, haben wir auch dafür zu sorgen, dass er wieder ausreist. Das gehört dann ebenfalls zur Verteidigung des Rechtsstaats.
Die FDP warnt vor schärferer Überwachung. Aber ist momentan die Angst vor Terror nicht viel größer als vor einem Überwachungsstaat?
Es wäre dennoch falsch, deswegen neue Sicherheitsgesetze zu beschließen, die wir nicht umsetzen können. Wir brauchen vor allem mehr Personal: Polizeibeamte, Verfassungsschützer. Und auch mehr Analytiker, die der Frage nachgehen, welche Orte aus Sicht des Islamischen Staates besonders für Anschlagspläne geeignet sind. Dann kann man diese auch besser schützen.
Zur Terrorabwehr will der Innenminister Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen verstärken. Was halten Sie davon?
Es gibt Flächen, bei denen eine Kameraüberwachung Sinn macht. Etwa an Bahnsteigen, möglicherweise auch in Zügen. Aber auf öffentlichen Plätzen brauchen wir eine solche Überwachung nicht. Ich halte sie aus datenschutzrechtlichen Gründen für falsch. Und zur Abschreckung tragen sie auch nicht bei, wie der Fall des U-Bahn-Treters in Berlin zeigt.
In der Flüchtlingspolitik ist die FDP zum Willkommenskurs der Kanzlerin schnell auf Distanz gegangen. Warum?
Wir haben von Anfang an darauf hingewiesen, dass sich der Rechtsstaat auch in einer solchen Situation nicht verabschieden kann. Eine Regierung, die erklärt, dass wir unsere Grenzen nicht schützen können, gibt ihre Staatlichkeit auf – und damit das, wofür sie eigentlich da ist.
Was hat Merkel falsch gemacht?
Die Situation im Herbst 2015 an der ungarischen Grenze war sehr schwierig. Wahrscheinlich hätte ich auch in einem Anflug von Weichherzigkeit gesagt: Lasst die Flüchtlinge zu uns. Aber danach hätte man sofort klarstellen müssen, dass das eine einmalige Sache war und nicht zum Dauerzustand werden kann.
Mit ihrem Kurs in der Flüchtlingspolitik hat sich Angela Merkel angreifbar gemacht wie nie zuvor. Läuft ihre Zeit ab?
Wenn weiter so viele Flüchtlinge gekommen wären, hätte Merkels eigene Partei rebelliert. Dann wäre sie nicht mehr als Kanzlerkandidatin aufgestellt worden. Dass der Zustrom abgeebbt ist, lag aber allein daran, dass Ungarn und Österreich die Grenzen dichtgemacht haben. Ich finde es ziemlich heuchlerisch, sich darüber einerseits moralisch zu echauffieren und sich andererseits klammheimlich zu freuen, dass keiner mehr kommt.
Merkel setzt jetzt vor allem auf das EU-Abkommen mit der Türkei...
Dass wir nun beginnen, unsere rechtsstaatlichen Überzeugungen an den türkischen Präsidenten zu verkaufen, der alles andere als Demokratie im Sinn hat, halte ich für unglaublich. Statt Erdogan sechs Milliarden Euro in den Rachen zu werfen, wäre es sinnvoller gewesen, sie dem griechischen Regierungschef Tsipras zu geben, um damit den Flüchtlingen auf griechischen Inseln Häuser zu bauen.
Wie schwierig ist es, den Flüchtlingskurs der Kanzlerin zu kritisieren, ohne populistisch zu werden?
Glücklicherweise leben wir in einem Land der Meinungsfreiheit. Wenn wir unsere Argumente nicht mehr austauschen, fliegen irgendwann die Fäuste. Ich betone: Argumente, keine rassistischen Äußerungen. Kein Deutscher muss sich dafür schämen, dass er nicht alle Flüchtlinge liebt. Aber ich schäme mich für einige Durchgeknallte hier im Land.
Im Bundestagswahlkampf will die AfD auf Social Bots setzen, die in sozialen Netzwerken automatisierte Botschaften verbreiten.
Wir werden das nicht verhindern können. Aber wir sollten dringend Lehrstunden darüber abhalten, dass man nicht alles glauben darf, was in sozialen Netzwerken kommuniziert wird. Das muss schon in den Schulen beginnen.
Die Koalition will mit schärferen Gesetzen gegen die Verbreitung von Fake News vorgehen. Was halten Sie davon?
Ich finde das naiv. Die Verbreitung von Fake News lässt sich nicht mit Gesetzen stoppen. Wir brauchen kein Wahrheitsministerium, das festlegt, was wahr und was falsch ist.
Ihre Generalsekretärin hat für den Wahlkampf ein Fairnessabkommen angeregt...
Wir schauen uns in die Augen, drücken uns fest die Hand und sagen nichts Böses mehr übereinander? Ich halte das für ein schwieriges Signal. Verträge sind nur wichtig, wenn etwas nicht selbstverständlich ist. Und womöglich würden wir dann darüber streiten, was fair ist und was nicht, statt uns mit Inhalten zu beschäftigen.
Was schwebt der FDP denn im nächsten Bundestag für eine Rolle vor: Opposition oder Mehrheitsbeschaffer?
Eine bürgerliche Partei, die vorab erklärt, dass sie nur in die Opposition will, würde nicht gewählt. Das können die Linken oder die AfD machen.
Was kriegt der Wähler, wenn er die FDP mitgestalten lässt? Ampel oder Jamaika?
Wir werden nicht als Mehrheitsbeschaffer in eine Koalition eintreten, deren Politik wir für falsch halten. Rot-Gelb-Grün ist rechnerisch unwahrscheinlich, selbst wenn die SPD noch zulegt.
Sie kandidieren jetzt selber wieder für den Bundestag. Warum?
Als stellvertretender Bundesvorsitzender habe ich versprochen, alles dafür tun, dass die FDP dem Bundestag wieder angehört. Da kann man nicht sagen, April April, macht das dort ohne mich. Ich werde jedenfalls, wenn ich gewählt werde, ein wahrnehmbarer Abgeordneter sein.
Sie haben mal gesagt, in Berlin würden Sie zum Trinker und, wir zitieren, vielleicht auch zum Hurenbock. Besteht diese Sorge jetzt nicht mehr?
Ich könnte jetzt ja einfach sagen, das zweite hat sich ohnehin altersbedingt erledigt. Aber Scherz beiseite: Ich bin mittlerweile sittlich und moralisch gefestigt. Und ich werde auch Anleitung in der großen Stadt bekommen. Klaus Wowereit, mit dem ich über seinen Lebensgefährten familiär verbunden bin, hat mir versprochen, mich in Berlin unter seine Fittiche zu nehmen. Sie müssen sich über meinen Lebenswandel keine Sorgen machen.
Das Interview führten Cordula Eubel und Rainer Woratschka