Truppenaufstockung: Nato will „Speerspitze“ im Osten Europas
Die Welt hat sich verändert, sagt Anders Fogh Rasmussen, der Chef des Verteidigungsbündnisses – und deswegen müsse sich auch die Allianz verändern.
Nun ist es offiziell: Erstmals hat Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Montag in Brüssel seit Tagen kursierende Berichte bestätigt, wonach das westliche Verteidigungsbündnis beim Gipfeltreffen Ende dieser Woche in Wales seine Truppen in Osteuropa aufstocken wird. Dies geschehe als Reaktion „auf die russische Aggression“, damit „potenzielle Aggressoren wissen, dass sie es nicht nur mit den Soldaten eines Mitgliedslandes, sondern mit der gesamten Nato zu tun bekommen“.
Geplant ist, innerhalb der bereits existierenden Nato Response Force eine von Rasmussen als „Speerspitze“ bezeichnete Eingreiftruppe mit „mehreren tausend Soldaten“ aufzustellen, die innerhalb von nur zwei bis drei Tagen einsatzbereit sein soll. Diese Truppe wird zusätzlich zu der vom Gastgeberland Großbritannien und weiteren sechs Nato-Staaten geplanten Auslandseinsatz-Streitmacht mit etwa 10 000 Mann geschaffen. Bisher sind die rund 60 000 Soldaten der Nato Response Force innerhalb von sechs Monaten einsetzbar.
Details wie die genaue Truppenstärke, die Standorte der Soldaten oder des Hauptquartiers sollen nach dem Gipfel die Nato-Militärs ausarbeiten. Klar ist bisher lediglich, dass die Truppen rotieren sollen – dies vor allem deshalb, weil die Gründungsakte des Nato-Russland-Rates von 1997 permanente Truppenstationierungen auf dem Gebiet ehemaliger Warschauer-Pakt-Staaten untersagt. Während sechs Nato-Staaten dieses Abkommen angesichts der jüngsten Entwicklungen am liebsten kündigen wollen, erklärte Rasmussen, daran festhalten zu wollen: „Die Nato hält sich an dieses Abkommen“, die nun zu beschließenden Maßnahmen befänden sich damit „in voller Übereinstimmung“.
Rasmussen warf Moskau „einen offenen Bruch“ der Abmachungen vor. Den bevorstehenden Gipfel bezeichnete er als „entscheidend in der Nato-Geschichte“: „Wir müssen sicherstellen, dass das Bündnis jeden Verbündeten gegen jeden Angriff verteidigen kann.“ Vor allem die drei baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland sowie Polen und Rumänien haben seit Beginn der russischen Militäraktionen gegen die Ukraine mehr Nato-Präsenz in ihren Staaten gefordert.
Voraussetzung für den Einsatz der neuen schnellen Nato-Truppe sei die Lagerung von Ausrüstung und Versorgungsgütern in den östlichen Ländern, die Verfügbarkeit von Kommandozentralen und die Anwesenheit von Logistikexperten. Nationale Flughäfen und Häfen müssten möglicherweise modernisiert werden, um Verstärkungen durch Nato-Truppen aufzunehmen. „Diese Truppe kann mit kleinem Gepäck unterwegs sein, aber hart zuschlagen“, sagte Rasmussen.
Zudem wolle die Nato ihre Aufklärungssysteme ausbauen, die Verteidigungspläne überarbeiten und den Manöverplan durch häufigere „Übungen von verschiedensten Arten an mehr Orten und zur richtigen Zeit ergänzen“. „Das bedeutet mehr sichtbare Präsenz im Osten, solange dies nötig ist“, sagte Rasmussen. „Nicht weil die Nato irgendjemanden angreifen möchte. Aber die Gefahren sind präsenter und sichtbarer.“