Reform der Altersvorsorge: Nahles: Rentenbeiträge werden langfristig über 22 Prozent steigen
Sozialministerin Andrea Nahles fordert mehr Ehrlichkeit in der Debatte. Wenn das Rentenniveau auf Dauer stabilisiert werden solle, werde das auch mehr Geld kosten, sagt die SPD-Politikerin.
Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) hat Arbeitnehmer und Arbeitgeber darauf eingestimmt, dass sie langfristig mit deutlich steigenden Rentenbeiträgen rechnen müssen. „Wenn wir uns darauf verständigen, dass das Rentenniveau stabilisiert werden wird, dann müssen wir auch ehrlich sein: Es wird mehr kosten“, sagte sie am Dienstagabend in der ARD. Noch im November will Nahles ein umfassendes Konzept für eine Rentenreform vorstellen. Dabei soll es nicht nur um die Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung gehen, sondern auch um die private Vorsorge fürs Alter. Klar ist aber auch: Ein Jahr vor der Bundestagswahl ist es wenig wahrscheinlich, dass die Koalition die Kraft haben wird, eine große Rentenreform auf den Weg zu bringen. Denkbar wäre aber, dass einzelne Bausteine verabschiedet werden. Schließlich hat die Koalition auch noch nicht alle Rentenversprechen aus dem Koalitionsvertrag abgearbeitet.
Koalitionspolitiker fordern, das Rentenniveau zu stabilisieren
Die Chefs von CSU und SPD, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel, haben als erste in der Koalition die Forderung aufgestellt, das weitere Absinken des gesetzlichen Rentenniveaus zu stoppen. Das Rentenniveau setzt die Standardrente, die jemand nach 45 Arbeitsjahren mit einem Durchschnittsverdienst erhält, ins Verhältnis zum durchschnittlichen Einkommen der arbeitenden Generation. Derzeit liegt es bei 47,8 Prozent. Wenn die Politik nicht eingreift, wird es in den nächsten Jahrzehnten weiter sinken.
Mit der Rentenreform 2001 wurde das Ziel aufgegeben, dass die gesetzliche Rente allein zur Sicherung des Lebensstandards reichen müsse. Die Politik beschloss damals, die steigenden Ausgaben für eine alternde Gesellschaft den Beitragszahlern und den Rentnern aufzubürden. Im Gesetz wurde fixiert, dass der Beitragssatz bis 2030 nicht über 22 Prozent steigen darf. Gleichzeitig wurde beschlossen, das Rentenniveau langfristig sinken zu lassen – allerdings nicht unter 43 Prozent bis zum Jahr 2030. Für die Zeit danach hat die Politik bisher noch keine Korridore festgelegt.
Sozialministerin Nahles: Das wird die Beitragszahler mehr kosten
Nach Seehofer und Gabriel fordert nun auch Sozialministerin Nahles, die bereits geltenden Zielwerte bis 2030 zu überdenken und beim Rentenniveau eine „Haltelinie“ einzuführen. Auf eine konkrete Höhe legt die SPD-Politikerin sich noch nicht fest. Nahles macht aber deutlich, dass eine Stabilisierung des Rentenniveaus Geld kosten werde. Die Beiträge blieben dann „nicht bei den 22 Prozent stehen“, kündigte die Sozialministerin an. Derzeit beträgt der Beitragssatz 18,7 Prozent des Bruttolohns.
In der vergangenen Woche hatte das Sozialministerium erstmals Berechnungen veröffentlicht, die über das Jahr 2030 hinausreichen. Danach könnte das Rentenniveau bis 2045 auf 41,6 Prozent sinken, wenn nicht gegengesteuert wird, also um mehr als sechs Prozentpunkte im Vergleich zu heute. Im gleichen Zeitraum könnte der Beitrag auf 23,4 Prozent steigen. Würde das Rentenniveau auf dem heutigen Wert eingefroren, wäre das nach Berechnungen des Ministeriums mit Mehrkosten in Höhe von 40 Milliarden Euro pro Jahr verbunden. Um das zu finanzieren, müsste der Beitragssatz auf 26,4 Prozent im Jahr 2045 steigen, also um drei Prozentpunkte.
Einigkeit besteht über den Ausbau der Betriebsrenten
Sozialministerin Nahles betont gerne, dass es bei der Alterssicherung nicht nur auf die Höhe der gesetzliche Rente ankomme, sondern auch darauf, ob jemand über zusätzliche Alterseinkünfte verfüge. Die Koalition hat sich vorgenommen, für eine stärkere Verbreitung von Betriebsrenten in kleineren und mittleren Betrieben zu sorgen. Mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verständigte sich Nahles vor kurzem darauf, die Förderung auszubauen, unter anderem durch einen Zuschuss für Geringverdiener. Ein entsprechender Gesetzentwurf ist in Arbeit. Dieser könnte auch noch vor der Bundestagswahl 2017 umgesetzt werden.
Die Angleichung der Ost-West-Renten ist kompliziert
Deutlich komplizierter wird es bei einem anderen Versprechen aus dem Koalitionsvertrag: 30 Jahre nach Herstellung der Deutschen Einheit, also im Jahr 2020, solle die vollständige Angleichung der Rentenwerte in Ost und West erfolgen, heißt es dort. Bereits in dieser Wahlperiode solle überprüft werden, wie weit die Angleichung fortgeschritten und ob Teilanpassungen notwendig seien. Ein symbolisch aufgeladenes Thema, das die SPD gerne anpacken würde. Der Gesetzentwurf von Sozialministerin Nahles sieht vor, die Ostrenten ab 2018 in zwei Schritten auf das Westniveau anzuheben.
Gleichzeitig will Nahles den Faktor abschaffen, der dafür sorgt, dass die im Schnitt niedrigeren Ost-Einkommen bei der Rentenberechnung höher bewertet werden. Das könnte aber dazu führen, dass ein Teil der heutigen Arbeitnehmer im Osten mit der Neuregelung schlechter dastehen würde. In Teilen der Union gibt es deshalb Vorbehalte gegen den Gesetzentwurf, nicht zuletzt bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Strittig ist auch die Finanzierung der Rentenangleichung: Nahles würde diese gerne aus Steuermitteln anstatt aus Beitragsgeldern bestreiten, Finanzminister Schäuble lehnt das aber bislang ab. Und CSU-Chef Seehofer knüpft seine Zustimmung zu dem Vorhaben gleich an ein weiteres Projekt: die Ausweitung der Mütterrente.
CSU-Chef Seehofer fordert die Ausweitung der Mütterrente
Die CSU würde an dieser Stelle gerne noch einmal draufsatteln. Zu Beginn der Wahlperiode hatte die Koalition ein Rentenpaket umgesetzt, das neben der abschlagsfreien Rente mit 63 auch Verbesserungen bei der Mütterrente beinhaltete. Seit Juli 2014 bekommen Mütter für ihre vor 1992 geborenen Kinder zwei Beitragsjahre in der Rentenversicherung angerechnet, zuvor war es lediglich ein Jahr. CSU-Chef Seehofer würde die Aufwertung der Rentenansprüche gerne auf drei Jahre ausweiten, um eine Gleichstellung mit den Müttern zu erreichen, deren Kinder nach 1992 zur Welt kamen. Doch das würde jährlich rund 6,5 Milliarden Euro zusätzlich kosten. Ein „Riesenbatzen“, wie Sozialministerin Nahles findet. Aus ihrer Sicht gebe es dringendere Aufgaben wie etwa die Reform der Erwerbsminderungsrente, sagte sie. Daher wissen sie noch nicht, ob die Mütterrente am Ende in ihrem Gesamtkonzept vorkommen werde.