Vorgaben für Pflegepersonal in Kliniken: Nachtdienst nur noch zu zweit
Wie viel Pflegepersonal brauchen die Krankenhäuser? Klinikbetreiber und Gewerkschaft haben sich jetzt auf ein Instrument zur Bemessung des Bedarfs verständigt.
Das ungewöhnliche Bündnis hat sich tatsächlich geeinigt – und das sogar ungewöhnlich schnell. Nach halbjähriger Beratung präsentierten Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), Deutscher Pflegerat (DPR) und Dienstleistungsgewerkschaft Verdi nun ein neues Instrument zur Berechnung des nötigen Pflegepersonals für die Kliniken. Das Ziel des gemeinsamen Vorstoßes sei ein dreifaches, hieß es: die Krankenpflege zu verbessern, die Patientensicherheit zu erhöhen und die Beschäftigten vor Überlastung zu schützen.
Schon in 44 Krankenhäusern getestet
Die zeitnahe Umsetzung sei „auch ein Beitrag zur Beendigung der Personalkrise in der Pflege im Krankenhaus“, betonte Pflegerats-Präsident Franz Wagner. Die Vorgaben seien in 44 Häusern zur allseitigen Zufriedenheit angetestet worden, im kommenden Jahr könne man mit der Einführung beginnen. Allerdings: Schätzungen zufolge bräuchte es für die optimierten Personalschlüssel 40.000 bis 80.000 zusätzliche Pflegekräfte. Und das, obwohl die besonders pflegeaufwändigen Intensiv- und Kinderstationen bei der Berechnung bisher noch ausgenommen sind.
Die Einigung von derart unterschiedlichen Verbänden sei ja „vielleicht ein Ausdruck des Ernstes der Lage“, meinte Wagner. Auch DKG-Präsident Gerald Gaß erinnerte an eine vor kurzem veröffentliche Studie, wonach im vergangenen Jahr jede dritten Klinik wegen des Fachkräftemangels Intensivbetten sperren und Fachbereiche von der Notfallversorgung abmelden musste. Man wolle „keine Excel-Tabellen aus Berlin, die uns die Schichtbesetzung vorgeben“, sagte er unter Hinweis auf die ungeliebten, von der Politik verordneten Personaluntergrenzen für mittlerweile acht pflegesensitive Klinikbereiche. Außerdem müsse man sich an guter Pflege orientieren und nicht am unteren Rand.
Fakt ist, dass sich die drei Beteiligten vor einem halben Jahr im Rahmen der „Konzertierten Aktion Pflege“ selbst verpflichtet hatten, ein Instrument zur Bemessung des Personalbedarfs für die Pflege in den Krankenhäusern zu erarbeiten. Das neue Regularium, das bereits in 44 Häusern erfolgreich angetestet wurde, passt auch zu dem Paradigmenwechsel, zu dem sich die Politik angesichts des Personalnotstands durchgerungen hat. Seit dem Jahresbeginn gilt das Fallpauschalensystem nicht mehr für Krankenhauspflege. Für die Kliniken macht es seither finanziell keinen Sinn mehr, an der Pflege zu sparen. Im Gegenteil: Sie können im Wettbewerb untereinander mit guter Pflege punkten.
Nachtdienst grundsätzlich nur noch zu zweit
Die neu entwickelte Pflegepersonalregelung (PPR) 2.0 basiert auf einem Verfahren aus den 90er-Jahren, das in vielen Kliniken immer noch Verwendung findet, aber niemals an neue Erfordernisse angepasst wurde. Nun soll der Pflegebedarf der Patienten nach exakt definierten Leistungsstufen berechnet werden. Dabei gibt es jeweils vier Stufen einer allgemeinen und einer speziellen Pflege – von einfach bis hochaufwändig. Die allgemeine Pflege umfasst Grundleistungen wie Körperpflege, Ernährung, Ausscheidungen und Mobilisierung. Die spezielle Pflege berücksichtigt individuell nötige Zusatzleistungen wie Medikamentengabe oder Verbandswechsel. Zudem gibt es für einen Pflege-Grundwert pro Tag für Organisationsaufgaben ohne direkten Patientenbezug sowie einen Fallwert, der etwa den Zusatzaufwand für Aufnahme und Entlassung von Patienten berechnet.
Auch der Nachtdienst ab 22 Uhr soll besser geregelt werden als bisher. Dem Instrumentarium zufolge müssen dafür pro Station künftig „mindestens zwei Pflegepersonen, davon mindestens eine Pflegefachkraft“ eingeplant werden. Für kleinere Stationen mit weniger als 20 Patienten soll notfalls eine Fachkraft reichen, jedoch muss es für sie dann Unterstützung in Pausen und schwierigen Situationen geben.
„Der Markt ist leergefegt“
Mit dem neuen Personalbemessungsinstrument werde man den „Teufelskreis“ aus schlechten Arbeitsbedingungen, Überlastung und Fachkräftemangel durchbrechen, meinte Sylvia Bühler vom Verdi-Bundesvorstand. Ziel ihrer Gewerkschaft sei es schließlich nicht, für jedes Haus individuell Tarifverträge zur Entlastung des Pflegepersonals abzuschließen. Das Ganze sei ein Signal, um „mehr Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern und mehr Beschäftigte zu halten“. Der Ball liege nun bei Gesundheitsminister Jens Spahn, man hoffe auf eine schnelle Umsetzung.
Mit der neuen Regelung würde sich der Pflegezeitbedarf pro Patient und Tag um 8,1 Prozent erhöhen. Doch woher sollen die zusätzlich benötigten Pflegekräfte kommen? „Der Markt ist leergefegt“, räumte DKG-Präsident Gaß ein, die Kliniken lieferten sich im Kampf ums Personal bereits einen Überbietungswettbewerb. Kurzfristig, so betonte auch Pflegerats-Präsident Wagner, stünden für den deutlich höheren Bedarf an Pflegekräften nur die bereits Ausgebildeten zur Verfügung, die ihrem Job den Rücken gekehrt hätten. Bei dieser "stillen Reserve" handle es sich aber um „Zehntausende“, die man durch attraktivere Arbeitsbedingungen möglicherweise wieder zurückgewinnen könne. Eine weitere Option sei die Umwandlung von Teilzeit- in Vollzeitjobs und der Abbau von unnötiger Bürokratie, die derzeit jeder Vollzeitkraft pro Tag mindestens drei Stunden wegfresse.
Dickes Lob aus der Politik
Die Grünen nannten die Einigung „eine gute Zwischenetappe bis zum Ziel, den Pflegeberuf aufzuwerten“. Es sei „nun wichtig, den Dokumentationsaufwand möglichst gering zu halten und zugleich evidenzbasierte Einschätzungskriterien zu schaffen, um den pflegerischen Anteil am Leistungsvolumen von Krankenhäusern sichtbar zu machen“.
Dickes Lob kam auch von der Linkspartei. Es sei „bemerkenswert“, dass sich Krankenhausgesellschaft und Verdi auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen konnten, sagte deren Fraktionsexperte Harald Weinberg. Mit dem neuen Instrument könne Spahn nun seinem Versprechen, Arbeitsbedingungen und Versorgung in den Krankenhäusern zu verbessern, Taten folgen lassen. „Daraus muss jetzt schnell ein Gesetz werden.“