Der Heuchler ist immer der andere: Nach Afghanistan abschieben oder nicht? So streitet die Politik
Kriminelle Flüchtlinge müssen zurück nach Afghanistan, sagt Armin Laschet. SPD-Politiker und Grüne sind dagegen. Und beschuldigen sich gegenseitig.
Im Streit um Abschiebungen krimineller Flüchtlinge nach Afghanistan hat sich Unionskanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) als Verfechter einer harten Linie empfohlen. Vertreter von SPD und Grünen forderten dagegen einen Stopp dieser Praxis. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hält sich bislang aus der Debatte über Rückführungen in das Bürgerkriegsland heraus, in dem die Taliban wegen des Abzugs internationaler Truppen auf dem Vormarsch sind.
Die Situation in Afghanistan werde sehr genau beobachtet, sagte Laschet der „Bild“-Zeitung. Deutschland könne den Vormarsch der Taliban und die Folgen für die Bevölkerung nicht ignorieren. Die Lage erfordere eine fortlaufende Bewertung und sorgsames Vorgehen bei Rückführungen.
Er bleibe aber bei der Linie: „Wer in Deutschland straffällig wird, hat sein Gastrecht verwirkt. Der Grundsatz ,Null Toleranz gegenüber Kriminellen’ erlaubt keine Ausnahmen. Straftäter müssen weiter konsequent abgeschoben werden, auch nach Afghanistan.“ Auch Innenminister Horst Seehofer (CSU) hatte weitere Abschiebungen angekündigt.
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SPD-Chef Norbert Walter-Borjans kritisierte das Vorhaben des Noch-Regierungspartners, nach Afghanistan abzuschieben. „Diese Überlegung ist voll auf der menschenfeindlichen Linie von Populisten. Auch ausländische Straftäter sind Menschen. Sie verdienen ihre Strafe, aber niemand hat das Recht, sie in den Tod zu schicken. Sollte das drohen, müssen Abschiebungen gestoppt werden", sagte er der „Rheinischen Post“.
Auch Grünen-Chef Robert Habeck verlangte einen sofortigen Stopp der Abschiebungen in das Bürgerkriegsland. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner wandte sich gegen eine pauschale Aussetzung und positionierte sich ähnlich wie Seehofer. „Gefährder und Straftäter dürfen sich bei uns nicht sicher fühlen, sie müssen aus Deutschland in ihr Heimatland abgeschoben werden“, sagte er. In den vergangenen Jahren waren ausschließlich Männer – vorwiegend Straftäter und sogenannte Terrorgefährder – gegen ihren Willen nach Afghanistan zurückgebracht worden. Die Bundeswehr hatte ihren Einsatz Ende Juni beendet.
Der Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, warf den Grünen Heuchelei vor. „Bei den Grünen klafft in punkto Abschiebungen nach Afghanistan eine große Lücke zwischen Worten und Taten“, sagte Wiese dem Tagesspiegel. Im Bund fordere Habeck einen Abschiebestopp.
Gleichzeitig werde in Ländern, in denen die Grünen mitregieren, „ungebremst oder sogar verstärkt abgeschoben“, meinte er: „Das schwarz-grün regierte Hessen hat gerade erst im Juni so viele Menschen abgeschoben, wie lange nicht mehr. Das ist mehr als ein Widerspruch – das grenzt an Heuchelei."
Olaf Scholz war für eine harte Haltung bei Abschiebungen bekannt
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat sich in jüngster Zeit nicht zu dem Thema geäußert. In seiner Zeit als Hamburger Innensenator und Bürgermeister war er für eine harte Linie bei Abschiebungen bekannt. Die Regierung der Hansestadt beteiligte sich damals auch dann an Abschiedeaktionen des Bundesinnenministeriums, wenn andere SPD-regierte Bundesländern sich diesen verweigerten.
Auch in seinem drei Jahre alten Buch „Hoffnungsland“ hatte sich Scholz grundsätzlich zu Abschiebungen bekannt. „Der humanitäre Impuls, für jeden abgelehnten Asylbewerber ein Bleiberecht zu fordern schafft große Probleme – weil er er die generelle Akzeptanz des Asylrechts gefährdet“, schrieb er darin.
Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour warf der SPD im Zusammenhang mit den Abschiebungen Heuchelei vor. Die Sozialdemokraten hätten die Praxis der Abschiebung nach Afghanistan zu Recht kritisiert, sagte er.
Nur sei die Grundlage für Abschiebungen der asylpolitische Lagebericht des Auswärtigen Amtes, für das SPD-Minister Heiko Maas zuständig sei. „Wenn die SPD die Kritik also ernst meint, dann muss sie sich endlich für einen aktuellen und realistischen Lagebericht einsetzen. Bis dahin ist die Kritik an Abschiebungen Wahlkampf bedingte Heuchelei“, meinte Nouripour.
Der aktuelle Asyllagebericht des Auswärtigen Amts stellt zwar eine stärkere Gefährdung bestimmter Gruppen durch den Vormarsch der Taliban fest, aber keine generelle Gefährdung von Rückkehrern. Er bildet den Stand von Mai ab, also kurz vor dem Abzug der ausländischen Truppen. Dies hatte auch der Mitgründer des Afghanistan Analysts Networks, Thomas Ruttig, vergangene Woche im Tagesspiegel scharf kritisiert.