Islam in Deutschland: Muslime fordern neue Religionspolitik
Extremisten in den muslimischen Gemeinden verorten, das ist, als mache man die CSU für das Erstarken der NPD verantwortlich, sagt Aiman Mazyek. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime fordert einen Perspektivenwechsel der Innenpolitiker. Mit der Deutschen Islam-Konferenz könne er beginnen.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, erwartet von den Koalitionsverhandlungen einen Neustart für die deutsche Religionspolitik im Blick auf die Muslime. Die dritte Auflage der Islamkonferenz (DIK) in der neuen Legislaturperiode könne dafür „eine wichtige Weichenstellung“ sein, sagte Mazyek dem Tagesspiegel. Dafür sei es aber wichtig, alle relevanten Akteure auf muslimischer Seite einzubinden, „auch den Islamrat“, und die Ziele und Tagesordnung der Konferenz, anders als bisher, gemeinsam mit den Muslimen zu formulieren.
Der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizìère hatte den Islamrat im Frühjahr 2010 von der DIK ausgeschlossen und dies mit einem Verfahren gegen hohe Funktionäre der „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs“ (IGMG) begründet, den größten Mitgliedsverband des Islamrats. Dem IGMG-Generalsekretär Oguz Ücüncü warf die Staatsanwaltschaft Bildung einer kriminellen Vereinigung, Betrug, Urkundenfälschung, Bankrott, Geldwäsche und die Unterstützung eines verbotenen Vereins vor. Das Verfahren wurde noch im September desselben Jahres eingestellt; der DIK-Bann wurde dennoch nicht aufgehoben.
Auch de Maizières Nachfolger Friedrich rückte davon nicht ab; es ist seither von einem noch anhängigen Steuerverfahren die Rede. Alle Verbände hatten zuvor lange gegen die ausschließliche Gestaltung der DIK durch das Innenministerium protestiert; Mazyeks Zentralrat verließ deswegen die Konferenz kurz nach dem Ausschluss des Islamrats. Seither sind zwei der vier großen muslimischen Verbände nicht mehr im zentralen Gremium des Dialogs zwischen Staat und Muslimen vertreten.
Mazyek kritisierte im Gespräch mit dem Tagesspiegel erneut die bisherige Politik des Bundesinnenministers, der auf Bundesebene für die staatlichen Beziehungen zu den Religionsgemeinschaften zuständig ist. Diese Politik habe „durch Untätigkeit objektiv die radikalen Ränder gestärkt“ – den rechten Rand, weil sie antimuslimische Ressentiments trotz mehrfacher Warnungen zu lange unterschätzt habe. Auf muslimischer Seite diene diese Politik salafistischen Extremisten. Solange der Staat nicht wirksam und unter Beteiligung der Muslime gegen Islamfeindlichkeit vorgehe, sei dies „Wasser auf deren Mühlen“, sagte Mazyek; „ihre Prophezeiung, dass sowieso alle gegen den Islam seien, scheint aufzugehen“.
Der Neosalafismus habe sich „längst aus der muslimischen Community verabschiedet“; dennoch suche ihn die Sicherheitspolitik dort weiter. Dabei hätten Muslime „mindestens ein genauso existenzielles Interesse, dass Salafismus wie Rechtsextremismus begegnet wird“. Stattdessen würden muslimische Gemeinden dadurch „kriminalisiert und marginalisiert“, sagte Mazyek. „Das ist etwa so, als ob würde man die CSU für das Erstarken der NPD verantwortlich machen.“ Er wünsche sich, dass diese Politik „mit der neuen Legislaturperiode ein Ende findet. Es wäre der beste Weg, rechten und salafistischen Extremisten zugleich das Handwerk zu legen“.
Mazyek bedauerte, dass entsprechende Warnungen auch aus der Wissenschaft bisher ungehört verhallt seien. Die Aufdeckung der NSU-Morde habe dann eine „Wendemarke“ bedeutet. Sollten nun auch die Koalitionsverhandlungen die Weichen anders stellen, käme dies „einem Umbruch in der deutschen Islampolitik“ gleich, sagte er.