Interview: "Ein Debattenspektakel dekorieren wir nicht"
Der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime über die neue Islamkonferenz, liberale Gläubige und eine nicht bestandene Probe.
Vor vier Jahren berief der damalige Innenminister Schäuble die Deutsche Islamkonferenz (DIK), jetzt hat die DIK II ihre Arbeit aufgenommen. Was hat sich getan?
Wir sind, was die gefühlte Integration angeht, sicher weitergekommen. Es gibt so etwas wie eine Debatte zwischen Staat und Islam. Auch Schäubles Aussage, der Islam sei ein Teil Deutschlands, war symbolisch sehr wichtig. In der Frage der faktischen Integration der Muslime ins deutsche Religionsverfassungsrecht erleben wir mit der DIK II einen Rückschritt.
Was meinen Sie?
Der Dialog wird nach wie vor von oben herab geführt. Die Mitsprache der muslimischen Seite war auch vor der neuen Islamkonferenz gleich null. Zusammensetzung, Themen, Organisation etc., alles war vorgegeben. Die Politik will nicht und die Muslime können nicht.
Das wäre keine Veränderung gegenüber der ersten DIK.
Ja, aber wir sind jetzt vier Jahre weiter! Im Koordinationsrat der Muslime …
… dem Dachverband der vier großen Verbände …
… haben wir das mit einem Brief ans Ministerium um die Jahreswende angesprochen. Die Reaktion war ernüchternd. Noch enttäuschender war, dass sogar unser Vorschlag abgelehnt wurde, innerhalb der vom Ministerium gesetzten Agenda und Strukturen eine Arbeitsgruppe zur rechtlichen Anerkennung oder Islamophobie einzusetzen. Selbst heute, ein Jahr nach dem Tod von Marwa al-Sherbini in Dresden gibt es keine eindeutige Klarstellung der Bundesregierung, dass dieser Mord islamophob motiviert war und das Thema unbedingt auf die politische Agenda gehört.
Sie haben Ihre Teilnahme an der DIK II auch deswegen abgesagt. Bereuen Sie das?
Nein. Dabeisein ist nicht alles, die DIK ist nicht Olympia. Unsere Ressourcen sind begrenzt. Um ein Debattenspektakel zu dekorieren, sind sie uns zu schade.
Wo wollen Sie sie einsetzen?
In den Ländern, da wo ohnehin nach dem Grundgesetz die Religion verortet ist. In Münster sind wir zum Beispiel dabei, uns auf einen Beirat zu einigen, der die Berufung von Mouhanad Khorchide auf den Lehrstuhl für Islamische Religionspädagogik nach sich ziehen soll – wie es das Grundgesetz vorsieht. Einige Landesregierungen, zum Beispiel die in Baden-Württemberg, sind mehr als früher bemüht, im Einvernehmen mit den muslimischen Religionsgemeinschaften konstruktive Schritte zu unternehmen.
Warum mit den Verbänden? Es gibt Zweifel, ob sie für Deutschlands Muslime repräsentativ sind.
Und wie repräsentativ sind die „muslimischen Einzelpersönlichkeiten“, die den deutschen Islam in der Islamkonferenz repräsentieren? Wenn ein Beirat, eine Schura vor Ort entsteht, um mitzuentscheiden, etwa über eine Professur in Theologie oder die Organisation des Religionsunterrichts, dann geschieht das auf Basis der örtlichen Moscheegemeinden – wie auch sonst? Selbst der säkulare liberale Muslim wird sich an den Stellen des Lebens, wo er religiöse Infrastruktur braucht – ob Eheschließung, Beschneidung, Beerdigungen oder die Organisation der Hadsch, also der Pilgerreise nach Mekka – an eine Moscheegemeinde wenden. Womöglich sogar noch eine konservative dazu, um auf Nummer sicher zu gehen, denn dann geht es nicht um Politik, sondern schlichtweg um ganz intime Dinge des Glaubens. Mit der Figur des „liberalen säkularen Muslims“ laufen wir doch einem Phantom hinterher. Den gibt es ebenso wie den konservativen, wie es urbane, liberale Katholiken gibt und erzkonservative oder evangelikale Protestanten. Aber die Lebensstile und politischen Orientierungen einzelner Personen oder Milieus sind doch Jacke wie Hose für das aktive Gemeindeleben! Das aber ist für das Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaft letztlich entscheidend.
Und wozu braucht es noch Verbände?
Ich sehe keinen anderen Weg. Dass die Gemeinden sich ihrerseits zusammenschließen, in Ditib, bei uns, im Islamrat, im VIKZ, hat seinen guten Grund. Für kompliziertere juristische oder verwaltungstechnische Fragen, wie sie im Verhältnis Staat/Religion auftauchen, braucht es ein Know-how, das die Moscheen beim besten Willen nicht haben können. Und was die Repräsentativität angeht: Es gibt vielleicht noch maximal zehn bis 15 Prozent Einzelmoscheen, der überwältigende Teil der Gemeinden ist über die angeschlossenen Dachverbände im KRM vertreten.
Den Islamrat schloss der Minister aus der DIK aus, Sie haben verzichtet. Was bleibt vom KRM? Sie haben sich infolge der Islamkonferenz gegründet und der deutsche Islam bekam eine Telefonnummer. Jetzt haben Sie sich, auch der DIK wegen, zerlegt.
Ja, Herr Schäuble war sicher einer unserer wichtigsten Geburtshelfer. Der Staat wollte damals diese eine Telefonnummer. Herrn de Maizières Agieren bewirkt nun, dass die Konferenz abgewertet und der Fokus verstärkt auf die Länder gerichtet ist. Aber es stimmt schon: Der Ausschluss eines Mitglieds aus der DIK hat uns vor eine Zerreißprobe gestellt, die wir nicht mit Bravour bestanden haben. Einige Landesverbände und Schuras sind darüber zu Recht unzufrieden mit uns.
Das Gespräch führte Andrea Dernbach.
Aiman Mazyek (41) ist Generalsekretär des „Zentralrats der Muslime“, eines der vier großen muslimischen Verbände. Der gebürtige Aachener ist auch Kommunalpolitiker und FDP-Mitglied.
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