Saudi-Arabien: Muhammad Bin Salman - der Alleinherrscher
Die neue Thronfolgeregelung in Saudi-Arabien macht aus einer Oligarchie eine Autokratie. Eine Gastanalyse.
Am 20. Juni 2017 änderte der saudi-arabische König Salman die Thronfolge. Anstelle seines Neffen Muhammad Bin Naif ernannte er seinen Sohn Muhammad Bin Salman zum neuen Kronprinzen. Die Aktion kam einem Staatsstreich gleich, der das politische System Saudi-Arabiens grundlegend verändert: Statt einer Gruppe von mindestens einem Dutzend führender Prinzen herrschen künftig nur noch ein oder zwei. Bin Salman, der bereits seit 2015 Verteidigungsminister und stellvertretender Kronprinz ist, wird durch die neue Nachfolgeregelung gestärkt und dürfte den durch ihn geprägten neuen wirtschafts- und außenpolitischen Kurs der Golfmonarchie weiterführen. Positiv zu verzeichnen ist, dass er die Abhängigkeit vom Öl mit einem großen Reformprogramm verringern will, negativ, dass seine aggressive Außenpolitik Konflikte in der Region verschärft.
Alleinherrscher
Schon kurz nach seiner Thronbesteigung im Januar 2015 ernannte König Salman im April seinen damals 55-jährigen Neffen Bin Naif zum Kronprinzen und seinen erst 30 Jahre alten Sohn Muhammad Bin Salman zum stellvertretenden Thronfolger. Mit der Ausbootung Bin Naifs ist der Kreis möglicher Kandidaten für die Thronfolge in nur wenigen Jahren von bis zu einem Dutzend auf einen einzigen massiv geschrumpft. Formal läuft alles auf den Übergang der Macht auf die unmittelbaren Nachkommen des heutigen Königs hinaus – und damit von einer Oligarchie zu einer Autokratie.
Mit dieser Neuregelung wird eine grundlegende Veränderung des politischen Systems zementiert, die sich in Saudi-Arabien in den letzten zwei Jahren bereits angedeutet hat. Salman und sein Sohn Muhammad setzen ihre Entscheidungen rasch und mit immer weniger Rücksicht auf den Rest der Familie durch, so dass der vorher sehr träge und langsame Regierungsbetrieb viel effektiver wurde. Gleichzeitig wurde er auch unberechenbarer, vor allem da Bin Salman, der keine Qualifikation besitzt, außer der Lieblingssohn des Königs zu sein, weitgehend freie Hand bekam. In den zwei Jahren, die er die saudi-arabische Politik mittlerweile dominiert, hat er die Wirtschaftspolitik auf Reformkurs gebracht und ist in der Außenpolitik durch erstaunliche Aggressivität aufgefallen, die nichts mit dem bedächtigen Vorgehen der Saudis der letzten Jahrzehnte gemein hat.
Wirtschaftsreformer
Im Juni 2016 stellte Muhammad bin Salman sein "Vision 2030" genanntes Reformprogramm für die Wirtschaft vor. Das Königreich erwirtschaftet rund 90 Prozent seiner Einnahmen aus dem Export von Öl. Ziel der "Vision 2030" ist vor allem der Ausbau der Privatwirtschaft, um aufgrund der niedrigen Ölpreise dringend benötigte neue Einnahmen zu generieren und gleichzeitig Arbeitsplätze für die rasch wachsende saudi-arabische Bevölkerung zu schaffen. Dabei geht es im Kern um die Teilprivatisierung des staatlichen Ölkonzerns Aramco; Bin Salman kündigte für 2018 den Verkauf von Anteilen von bis zu fünf Prozent an. Der erwartete Erlös von mehr als 100 Milliarden Dollar soll in einen Fonds fließen, der etwa die Hälfte im Ausland investiert, um Dividenden zu erwirtschaften, während die andere Hälfte in den industriellen Umbau des Landes und die Förderung der Privatwirtschaft fließen würde. Das Design des Planes erinnert stark an die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), die über den weltweit größten Staatsfonds verfügen und durch den massiven Einsatz ihrer Öleinnahmen den Erfolg von Abu Dhabi und Dubai möglich machten. Ob ein ähnliches Konzept in Saudi-Arabien Erfolge erzielen kann, wird sich erst noch zeigen, denn das Königreich ist ein sehr viel größeres Land als die VAE mit deutlich weniger Öleinnahmen pro Kopf.
Kriegsherr
Die Ähnlichkeiten zwischen der "Vision 2030" und der Politik der VAE kommt nicht von ungefähr, denn der Kronprinz von Abu Dhabi und starke Mann der VAE, Muhammad Bin Zayed, gilt als politischer Mentor des jungen Saudis. Auch in der Außen- und Verteidigungspolitik folgt Bin Salman dem Vorbild Abu Dhabis. Die VAE, die in den letzten dreizehn Jahren massiv aufrüsteten, erprobten ihr Militär zunächst an der Seite der USA in Afghanistan (2003-2014) und später in Libyen. Das große gemeinsame Projekt ist aber der Krieg in Jemen, der zeigt, wie aggressiv die saudi-arabische Außenpolitik unter Muhammad Bin Salman geworden ist – und welch katastrophale Folgen sie für Jemen, aber auch für Saudi-Arabien hat. So sind die gegnerischen Huthi-Rebellen und ihre Verbündeten geradezu gezwungen, Hilfe anzunehmen, wo sie sie bekommen können. Iran hat seine Waffen- und Geldlieferungen seit 2011 mehr und mehr ausgeweitet, so dass Teheran durch den Krieg, der genau dies verhindern soll, tatsächlich in die Lage versetzt werden könnte, einen Brückenkopf auf der Arabischen Halbinsel zu errichten. Überdies verstärken der rücksichtslose Luftkrieg und die Blockade Ressentiments gegenüber Saudi-Arabien, die das Verhältnis zu Jemen auf Jahrzehnte belasten werden.
Ohne Rücksicht auf Verluste gegen Katar
Dass der Krieg in Jemen ein Indiz für eine insgesamt unberechenbarere und aggressivere saudi-arabische Außenpolitik ist, zeigte sich zuletzt an der Krise mit Katar, die begann, als Saudi-Arabien, die VAE, Ägypten und Bahrain überraschend alle Verbindungen zu dem kleinen Golfemirat kappten. Den vier Staaten geht es offenkundig darum, dass sich Doha unterwirft und seine eigenständige Außenpolitik – die vor allem auf die Förderung der Muslimbruderschaft und verhältnismäßig enge Beziehungen zu Iran setzt – aufgibt. Anlass zur Sorge gibt auch hier die rücksichtslose Aggressivität des saudi-arabischen Vorgehens, die die Regionalorganisation Golfkooperationsrat sprengte und den gemeinsamen Kampf gegen den Islamischen Staat behindert. Die teils maßlosen Forderungen der Saudis und ihrer Verbündeten drängen Katar in die Enge, so dass noch vollkommen unklar ist, wie diese Krise gelöst werden soll.
Auf diese Weise dürfte Saudi-Arabien in den kommenden Jahren ein noch schwierigerer Partner werden, als es dies ohnehin schon ist. König Salman und Kronprinz Muhammad Bin Salman als uneingeschränkte Herrscher befeuern Konflikte eher, als dass sie sie lösen oder zumindest entschärfen. Das ist weder im saudi-arabischen noch im deutschen Interesse.
Guido Steinberg forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) unter anderem zu Saudi-Arabien. Der Artikel erschien zuerst auf der SWP-Homepage in der Rubrik "Kurz gesagt".
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