Ukraine-Konflikt: Moskau lässt Krimbrücke von Häftlingen bauen
Ein Mega-Brücken-Projekt soll die annektierte Halbinsel Krim an Russland anbinden. Die Kosten dafür werden auf 19 Milliarden Euro geschätzt – und drohen aus dem Ruder zu laufen. Deshalb sollen jetzt Häftlinge ran.
Wer bei der Präsentation des Projekts Ende Juni dabei war, glaubte sich nicht im 21. Jahrhundert, sondern in fernster Zukunft. Meterdicke Betonpfeiler recken sich aus dem Meeresgrund in den blauen Abendhimmel, tragen eine kühn geschwungene, von gleißendem Licht überflutete mehrspurige Autobahn. Parallel dazu verläuft eine zweigleisige Eisenbahnstrecke für Hochgeschwindigkeitszüge, die an den heikelsten Stellen von der Hochstraße überwölbt wird. Mit einer Gesamtlänge von neunzehn Kilometern wird die Brücke, die die Krim mit dem russischen Festland verbinden soll, eine der längsten Brücken der Welt.
Das Vorhaben ist Chefsache. Wladimir Putin lässt sich über den Stand der Projektierungsarbeiten, die Anfang November abgeschlossen werden, laufend berichten. Denn die Schwarzmeerhalbinsel ist zurzeit eine Exklave, umschlossen im Norden von der Ukraine, zu der sie bis März gehörte. Kiew betrachtet sie weiterhin als Teil seines Staatsgebiets und drohte mit Rückeroberung und Siegesparade in Sewastopol, wo die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist.
Über die Brücke soll die Halbinsel versorgt werden
Zwar sind es nur viereinhalb Kilometer, die die Krim im Osten von der Region Krasnodar im russischen Nordkaukasus trennen. Doch dazwischen liegt ein Sund: Die Straße von Kertsch, die das Schwarze und das weiter nördliche gelegene Asowsche Meer verbindet. Eisenbahn- und Autofähren sind seit dem Anschluss an Russland, das die Krim nun auch versorgen muss, hoffnungslos überfordert. Die neue Brücke soll es richten, könnte wegen des geologisch extrem schwierigen Untergrundes jedoch auch eine der teuersten Brücke weltweit werden.
Da Moskaus Kassenwarte schon vor den Sanktionen des Westens wegen der Rezession Probleme hatten, sollen, wie russische Medien berichten, zwecks Häftlinge für den Bau verpflichtet werden. Benötigt werden insgesamt mindestens 45.000 Arbeiter. Zwar dementierte die Vollzugsbehörde in Teilen: Es gäbe nur Pläne, Betonelemente von Gefangenen herstellen zu lassen. Dadurch könnten Kriminelle auch ihre Opfer entschädigen und die Geldstrafen abtragen, zu denen sie verurteilt wurden. Ohne Feuer kein Rauch, halten Kritiker dagegen. Billige Gastarbeiter aus Zentralasien, so der Kolumnist Anton Orech, hätten, seit sie auf den Olympia-Baustellen in Sotschi wie Sklaven schuften mussten, keine Lust mehr auf Jobs in Russland. Und schon zu Sowjetzeiten seien die Großbaustellen im Wortsinn auf den Knochen der Insassen von Stalins Straflagern errichtet worden.
Zu Sowjetzeiten haben sich Insassen von Stalins Straflagern zu Tode gearbeitet
In der Tat: Gulag-Häftlinge schippten in den 30er Jahren den Belomor-Kanal, der die Ostsee mit dem Weißen Meer – einem Randgewässer des Nördlichen Eismeeres – verbindet. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs bauten sie die „Trasse des Todes“: eine Bahnlinie nördlich des Polarkreises. Das erste Teilstück war 1953 fertig, gleich danach begann – klammheimlich – der Rückbau. Denn kaum dass die Baukolonnen zum nächsten Abschnitt weiter zogen, versanken die gerade von ihnen verlegten Gleise im Morast des arktischen Dauerfrostbodens, dessen oberste Schicht im Sommer auftaut. Ähnlich ruhmlos endete der erste Versuch, eine Eisenbahnbrücke über die Straße von Kertsch – ebenfalls mit Gulag-Häftlingen – zu bauen. Zwar wurde sie nach der Befreiung der Krim 1944 in rekordverdächtigen vier Monaten fertig, das Material hatten schon die deutschen Besatzer herangekarrt. Durch Projektierungsfehler, schlampige Ausführung und scharfen Wind, der Eis aus dem Asowschen Meer vor sich her trieb, stürzten die ersten Pfeiler schon nach drei Monaten ein. Am 11. Februar 1945 rollte der letzte Zug über die Brücke. Mit Stalin, der sich zuvor in Jalta mit den Westalliierten über die Nachkriegsordnung in Europa geeinigt hatte.
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