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Nie war die Einigkeit in Russland größer - doch Präsident Putin steht unter Erfolgszwang.
© AFP

Wladimir Putin und die Ukraine-Krise: Harte Sanktionen könnten Russland ins Wanken bringen

In der Ukraine-Krise wird Russlands Präsident Wladimir Putin harte Sanktionen des Westens kaum noch vermeiden können. Sie könnten große Auswirkungen haben - und ihn langfristig die Macht kosten. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Elke Windisch

Für kluge Politiker wie Politikwissenschaftler gibt es so etwas wie ein elftes Gebot: Du sollst Ereignisse nicht vorab, sondern im Nachhinein kommentieren und auf Vorverurteilung verzichten, weil Korrekturen mit herbem Gesichtsverlust verbunden sind. Das gilt auch für den Absturz der malaysischen Boeing, zu deren Ursachen eine internationale Kommission ermittelt. Kremlchef Wladimir Putin steht dennoch spätestens seit Mittwochabend unter Erklärungsdruck. Die prorussischen Separatisten haben den Besitz von inzwischen nach Russland zurückgeführten Buk-Raketen zugegeben. Mit einer davon, behaupten der Westen und die Ukraine, sei die Boeing abgeschossen worden. Moskau gibt bisher Kiew die Schuld. Buk-Raketen, sagen Experten im Staatsfernsehen, seien hochkompliziert, die ungeschulten Separatisten könnten sie gar nicht bedienen.

Alle Akteure haben eine Mitschuld

In der Tat: Die USA behaupten, die Rakete habe einem anderen Ziel gegolten. Doch das entlastet weder die Separatisten noch die Lieferanten. Im Gegenteil. Alle Akteure – Kiew, die Separatisten, Russland und der Westen – haben ihr Scherflein dazu beigetragen, dass die Ukraine-Krise so gefährlich eskalierte wie die Kubakrise auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Eine Bagatelle genügt und es wird ein heißer daraus.

300 unschuldige Menschen aber sind keine Bagatelle. Zwar tendiert die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Konflikts zwischen Russland und der Nato angesichts des nuklearen Abschreckungspotenzials beider Seiten weiter gegen null. Harte Sanktionen des Westens indes wird Russland kaum noch vermeiden können. Und die könnten nicht nur Putins seit der Krimkrise rekordverdächtige Zustimmungsraten ins Bodenlose stürzen lassen, sondern ihn langfristig auch die Macht kosten.

Sozialprogramme sind gefährdet

Putin hat den Oligarchen politische Loyalität oder wenigstens politische Abstinenz verordnet und sich im Gegenzug verpflichtet, den politischen Rahmen für Gewinnmaximierung zu schaffen. Bei Sanktionen wird der Pakt hinfällig. Widerstand droht dem Kremlherrscher dann allerdings nicht nur von Russlands goldener Horde, sondern auch vom gemeinen Volk. Die Superreichen sind zwar extrem unpopulär, Iwan Normalverbraucher hätte seine helle Freude an Meldungen von Gasbaronen, die Immobilen oder Jachten verramschen oder verpfänden müssen. Doch Oligarchen sind auch Steuerzahler. Wenn sie darben, geht der Fiskus leer aus. Sozialprogramme, mit denen Putin die Masse seit Jahren ruhigstellt, gelten schon durch die Kosten, die das Entwicklungsprogramm für die Krim verursacht, als hochgradig gefährdet. Nach Steuerausfällen der börsennotierten russischen Unternehmen hätten sie sich definitiv erledigt. Zumal Putin den Stabilisierungs-, sprich: Reservefonds schon während der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 plündern musste. Wegen des Reformstaus hat der das Vorkriegsniveau der finanziellen Mittel bis heute nicht wieder erreicht.

So viel Einigkeit war nie

Fressen aber kommt bekanntlich vor der Moral. Missachtung dieser Maxime wurde schon der Protestbewegung zum Verhängnis. Doch die stand nie unter einem solchen Erfolgszwang wie Putin. Zumal jetzt, da die Nation, berauscht von außenpolitischen Erfolgen und territorialem Zugewinn, mehr oder minder geschlossen hinter ihm steht. So viel Einigkeit war nie, ist aber nur in guten Zeiten ein sanftes Ruhekissen für den Staatschef. In schlechten kann sie schnell in blinden Zorn umschlagen und sich gegen ihn richten.

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