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"Perlen aus Freital" auf Tumblr
© Tagesspiegel
Update

Blog "Perlen aus Freital": Morddrohung gegen Flüchtlingsaktivisten

Die "Perlen aus Freital" verstehen sich als Internet-Pranger gegen Rassismus. Sie werden deshalb bedroht - sogar mit dem Tod. Überraschend verhängt Facebook eine Sperre gegen die Initiative.

Fast wären die "Perlen aus Freital" am Wochenende gestrauchelt. Eine Woche lang war der Tumblr-Blog online, in dem anonyme Aktivisten rassistische Posts aus der kleinen Stadt bei Dresden sammelten, in der seit Wochen gegen eine neue Flüchtlingsunterkunft demonstriert wird.

Die Resonanz war überwältigend. Nachdem Freital nach einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Bürgerversammlung am Montag vergangener Woche erneut bundesweit in den Schlagzeilen war, riefen mehr als 300.000 Menschen binnen einer Woche den Tumblr-Blog auf, weitere Verbreitung erfuhr das Projekt via Facebook (mehr als 1500 Likes) und den Kurznachrichtendienst Twitter. Bis der Administrator der Seite selbst die Notbremse zog. Es hatte konkrete Drohungen gegeben, ihn zu enttarnen, dazu Nachrichten, die sehr detailliert Konsequenzen für ihn und seine Angehörigen ankündigten. Die Seite ging vom Netz. Auch viele Tweets wurden "in einer Kurzschlussreaktion" gelöscht, wie es rückblickend heißt. Die Begründung blieb zunächst knapp: "Drohungen wurden sehr konkret und Aufwand der Moderation auf Facebook zu hoch. Das ist es nicht wert..."

Seit Sonntag aber sind die "Perlen aus Freital" wieder da, gemanagt nun von anderen, wiederum anonymen Aktivisten, die nach eigenen Worten die "absolute Erfolgsgeschichte" fortschreiben wollen. Am Grundprinzip haben sie nichts verändert: Die Namen in den Posts und die jeweilige Quelle werden genannt, verpixelt werden lediglich die Gesichter. Im Blick haben die "Perlen aus Freital" dabei Anti-Asyl-Seiten aus Sachsen, die Namen tragen wie "Freital wehrt sich - Nein zum Hotelheim", "Frigida" oder "Bürgerwehr FTL/360". Oft sind sie aus Freital, inzwischen werden aber auch Posts aus anderen Städten und Gemeinden veröffentlicht. Fortgeschrieben wird damit die Aktivität von anderen Flüchtlingsaktivisten wie "Freital.Watch", die auf ihrer Facebook-Seite schon seit Wochen rassistische Posts dokumentiert haben. Mit ihrer Hilfe wurden auch bereits Anzeigen gegen die Verfasser einzelner Wortmeldungen erstattet.

Zunächst aber geht es darum, den krassen Ton im Netz publik zu machen, der immer häufiger im realen Leben widergespiegelt wird mit hässlichen Aufmärschen vor Flüchtlingsheimen und Angriffen gegen die Unterstützer von Asylsuchenden. Ein Mann etwa postete auf der Facebook-Seite "1.000.000 Stimmen gegen die Islamisierung": "Ich geh immer im Supermarkt und stech in die vekackten Halal Sachen Löcher rein...... emofehle ich Jeden hier, lasdt Euch aber nicht erwischen". Auf der Facebook-Seite des Pegida-Ablegers "Frigida" hieß es: "Wer weis was die Schmarotzer noch für Krankheiten mitbringen, gerade Afrika hat ja eine hohe HIV rate."

Ganz konkret geht es zuweilen auch um die Dokumentation von Straftaten wie die Baseballschläger-Attacke Ende Juni gegen Flüchtlingsaktivisten nach einer Demonstration in Freital, unter den Opfern auch der Sohn des sächsischen SPD-Landeschefs Martin Dulig. Die "Bürgerwehr FTL/360" postete dazu: "Es trifft immer die richtigen!!!!"

Begleitet wurde der Neustart der "Perlen aus Freital" am Wochenende von neuen Drohungen. In einer Wortmeldung hieß es: "so, habe jeden angeschrieben, der hier veröffentlicht wurde, und Ihnen geraten, eine Anzeige zu erstatten….was ich natürlich auch gemacht habe……bekomme in den nächsten Tagen eure Adresse von meinem Anwalt, Fachrecht Internet Kriminalität………diese Adresse werde ich dann in allen Foren Publik machen, mal sehen wie es sich dann so schläft mit dem Gedanken das jeder  "“"Nazi”“” weiß wo Ihr wohnt……Viel Erfolg Euch noch….hahaha…" Die "Perlen aus Freital" veröffentlichten auch diese Botschaft.

Facebook verhängt Sperre für Postings

Am Dienstag gab es eine überraschende Reaktion von Facebook. Nachdem die "Perlen aus Freital" die Botschaft mit der Morddrohung veröffentlicht hatten, wurde dem Portal für 24 Stunden untersagt, in dem sozialen Netzwerk zu posten, wie der Seitenbetreiber mitteilte. Er twitterte: "Morddrohung per PN erhalten. Diese bei #Facebook veröffentlicht. Dann Sperre für Postings. 24 Stunden." In ihrer vorerst letzten Botschaft auf Facebook schrieben die "Perlen aus Freital": "Wir sind übrigens auch bei Twitter. Folgt dort bitte dem Account @FreitalPerlen, falls Facebook uns hier doch noch Knüppel zwischen die Beine werfen sollte."

Lynchjustiz angedroht

"Klingt nach einer leeren Drohung", meint der Rechtsanwalt Thomas Stadler, Fachgebiet IT-Recht und Blogger. Das war am Sonntag - und noch nicht klar, wie sich die Dinge am Montag entwickeln würden. Denn an diesem Tag erhielten die "Perlen aus Freital" ihre erste Morddrohung. "Und sollte das Blatt sich wenden werde ich selbstjustietz üben und sie ausfindig machen", schrieb ein "Andreas Paris" - möglicherweise der selbe Mann, der im Frühjahr einen, damals gescheiterten, "Sturm auf den Reichstag" angemeldet hatte. Und weiter: "Es wurde eine Gruppe eingerichtet die dazu bereit ist Sie zu lünchen."

Auch die Aktivisten von "Perlen aus Freital" gaben sich am Sonntag "insgesamt entspannt". Auf Tagesspiegel-Anfrage heißt es: "Die meisten der Zitate dürften keinerlei Schöpfungshöhe haben - und selbst wenn, fallen sie alle unter das Zitatrecht, welches so eine Verwendung ausdrücklich gestattet". Einer der Aktivisten erläutert: "Aus rechtlicher Sicht fühlen wir uns also ziemlich sicher." Nach der Morddrohung erklärten sie: "Aufgeben ist jetzt keine Option mehr. Diese Leute beißen sich fest. Selbst wenn ich es offline nehmen würde."

Ausländerbeauftragter: Strafverfolgung kann erleichtert werden

Unterstützung bekommen die "Perlen aus Freital" dabei auch aus der Politik. Sachsens Ausländerbeauftragter Geert Mackenroth sieht nach einer vorläufigen Einschätzung keine durchgreifenden rechtlichen Probleme bei Veröffentlichen von rassistischen Facebook-Tweets auch mit Klarnamen. "Ich glaube nicht, dass sich die ,Perlen aus Freital' angreifbar machen, wenn sie Posts mit Namen veröffentlichen", sagte der CDU-Politiker dem Tagesspiegel. Grundsätzlich könne es der Wahrnehmung berechtigter beziehungsweise höherrangiger Interessen dienen, rassistische und strafbare Veröffentlichungen im Netz zu identifizieren und damit zu verhindern. Dies könne auch die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden erleichtern, die in jedem Einzelfall eingeschaltet werden sollten.

Mackenroth beobachtet speziell im Internet eine Tendenz zur Spaltung der Gesellschaft. Dort finde zunehmend eine "teilweise erschreckende verbale Aufrüstung statt, die umschlagen kann in handfeste Gewalt." Die Aktivität von "Perlen aus Freital" betrachtet der Ausländerbeauftragte grundsätzlich mit Verständnis. "Nach meiner Auffassung gehört zur Meinungsfreiheit immer auch die Nennung des eigenen Namens." Sich mit harschen Kommentaren hinter der Anonymität des Netzes zu verstecken, sei "unaufrichtig und feige".  

Rückhalt gibt es auch aus anderen Parteien. Henning Homann, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD, die in Sachsen mit an der Regierung ist, erklärte: "Wer sich im Netz öffentlich rassistisch oder menschenfeindlich äußert, muss damit rechnen, dass diese Einlassungen veröffentlicht werden. Blogs, wie ‚Perlen aus Freital‘ machen deutlich, auf welchem Niveau Rassisten die Auseinandersetzung führen. Darüber berichten zu können, ist ein wichtiger Aspekt der Meinungsfreiheit." Falls es zu den angekündigten Anzeigen gegen die Betreiber des Blogs komme, müssten die Ermittlungsbehörden sehr sorgsam mit den persönlichen Daten dieser umgehen. "Es muss verhindert werden, dass es in Folge der angekündigten Veröffentlichung der Ermittlungsakten zu Straf- und Gewalttaten gegenüber diesen Personen kommt. Der Rechtsstaat muss darauf achten, dass es nicht zu einem Täter-Opfer-Umkehr kommt. Ich finde wer rassistische Hetze im Internet verbreitet, sollte Post vom Staatsanwalt bekommen, nicht jene, die über Rassismus berichten."

Linke: In sozialen Medien Stammtische mit mehreren tausend Teilnehmern

Der Linken-Landtagsabgeordnete Lutz Richter, Kreischef seiner Partei im Landkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge (zu dem Freital gehört), sagte dem Tagesspiegel: "Wir haben heute in den sozialen Medien Stammtische mit mehreren tausend Teilnehmenden. Dort tritt neben allerlei Verschwörungstheorien und abstrusester Meinungen, auch tiefgreifender Hass bis hin zu Gewaltfantasien und Mordaufrufen zu Tage." Die Zunahme von Gewalt gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte seien auch das Produkt einer ungezügelten Internethetze, bei der sich die Täter als Vollstrecker des Volkswillens ansehen. "Es ist wichtig, dass es Menschen gibt, die diese Äußerungen dokumentieren und zur Anzeige bringen. Ich solidarisiere mich aus dem Grunde mit diesen Seiten, wie zum Beispiel ,Perlen aus Freital'."

Ganz ähnlich sieht das Ines Kummer, Grünen-Stadträtin aus Freital. Sie erklärt: "Die Veröffentlichung von fremdenfeindlichen, menschenverachtenden, rassistischen Post auf Facebook-Seiten wie ,Perlen aus Freital' ist völlig in Ordnung. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Rassistische Pöbeleien im Internet sind ebenfalls strafbar. Projekte wie die Seite ,Perlen aus Freital' helfen, diesen Hass, diese rassistische Stimmungsmache öffentlich zu machen und die Hetzer aus der Anonymität zu holen."

Die neuen Aktivisten der "Perlen aus Freital" sehen derweil auch die persönliche Bedrohungslage als "überschaubar" an. "Wir erhalten teils schon harsche Drohungen und man stochert im Nebel auf Twitter herum, kann uns aber bisher nicht identifizieren."

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