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23.03.2019, Großbritannien, London: Teilnehmer einer Demonstration unter dem Motto "Put it to the People" ziehen einen Wagen des Düsseldorfer Rosenmontagszuges mit einer Figur, die der britischen Premierministerin ähnelt. Die Anti-Brexit-Aktivisten der Organisation "People's Vote" fordern eine erneute Volksabstimmung. Foto: Yui Mok/PA Wire/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Regierungschaos wegen Brexit: Mögliche May-Nachfolger bringen sich in Stellung

Wie lange kann sich Premierministerin May halten? Laut einem Bericht wird in der Regierung ein Zeitplan für ihren Rücktritt diskutiert.

Bei einer Demonstration in London sind am Samstag Hunderttausende für ein zweites Brexit-Referendum auf die Straße gegangen. Der Protestzug zum Parlament fällt in eine Phase, in der weiter unklar ist, ob Großbritannien tatsächlich aus der EU austritt oder doch in der Gemeinschaft bleibt. „Genug ist genug – es ist Zeit, dass die britische Bevölkerung das letzte Wort über den Brexit hat“, twitterte der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan, der an der Kundgebung teilnahm. Bei einer ähnlichen Demonstration für eine weitere Volksabstimmung über den Brexit hatten sich in London im vergangenen Oktober 700.000 Menschen versammelt.

Unterdessen sprechen sich immer mehr Briten für einen Stopp des gesamten Brexit-Verfahrens aus. Am Samstag stieg die Zahl der Unterschriften bei einer Online-Petition für die Rücknahme des Austrittsantrages auf über vier Millionen.

Der nächste Showdown deutet sich für den 12. April an

Deutet sich in Großbritannien eine Wende an? Wird der Brexit möglicherweise abgeblasen? Dies sind die Fragen, die sich an diesem Wochenende mit neuer Dringlichkeit stellen. Am Freitagabend hatte Premierministerin Theresa May eine dritte Parlamentsabstimmung über das EU-Austrittsabkommen in Frage gestellt. Schon zweimal war die Regierungschefin mit dem Scheidungsvertrag im Unterhaus durchgefallen. Auch in den letzten Tagen deutete nichts darauf hin, dass May bei einem dritten Versuch mehr Glück haben wird. Deshalb schrieb sie nun in einem Brief an die Abgeordneten, dass sie nur dann ein neues Votum wagen wolle, wenn es eine „ausreichende Unterstützung“ für den Trennungsvertrag gebe.

May dürfte eine dritte Niederlage politisch kaum überleben. In der zurückliegenden Woche hatte sie sich bei den Parlamentariern weiter unbeliebt gemacht, nachdem sie in einer Rede nahegelegt hatte, dass die Abgeordneten dem Willen der Bevölkerung zuwiderhandeln würden. Während die Bevölkerung des Brexit-Dramas müde sei, zeige sich das Parlament unfähig zu einer Entscheidung, hatte May in einer Wutrede erklärt. In ihrem Brief an die Parlamentarier rang sich May nun zu einer halben Entschuldigung durch. Es sei nicht ihre Absicht gewesen, die Arbeit der Volksvertreter zusätzlich zu erschweren, stellte sie klar. Die Auseinandersetzung hat einen ernsten Hintergrund: Vor allem die Gegner eines EU-Austritts erhalten regelmäßig Hassmails, gelegentlich sogar Morddrohungen.

Falls die Abstimmung über den Austrittsvertrag in der kommenden Woche tatsächlich abgeblasen werden sollte, dann steuern die verbleibenden 27 EU-Staaten und Großbritannien auf den nächsten Showdown am 12. April zu. Denn schließlich heißt es im Beschluss des EU-Gipfels vom vergangenen Freitag klipp und klar, dass sich die Brexit-Frist bis zum 12. April verlängert, falls das Unterhaus nicht spätestens bis zum 29. März dem Austrittsvertrag zugestimmt hat. Nach diesem Szenario müssen die Briten den 27 EU-Staaten vor dem 12. April erklären, was sie wollen. Unmittelbar stünden die Verantwortlichen in London dann vor der Wahl zwischen zwei Optionen: ein harter Brexit am 12. April oder die Teilnahme an der Europawahl im Mai.

Votum ohne Fraktionszwang?

Eine Klärung könnte dabei die kommende Woche bringen. Möglicherweise kommt es am kommenden Mittwoch im Unterhaus erneut zu einer Reihe von Abstimmungen. Bei diesen „indicative votes“ könnte sich immerhin abzeichnen, ob es beispielsweise im Unterhaus eine Mehrheit für den Verbleib in der EU-Zollunion gibt. Der konservative Staatsminister Rory Stewart, der in der britischen Öffentlichkeit als Schriftsteller und als Autor eines Bestsellers über seinen Fußmarsch durch Afghanistan bekannt ist, sprach sich dabei für ein Votum ohne Fraktionszwang aus.

Vize-Regierungschef Lidington gilt inzwischen als zentrale Figur

Unterdessen wird das Grollen gegen die britische Premierministerin immer lauter. „Rücktritts-Druck auf May wächst“ titelte die Zeitung „The Times“ am Samstag. Dem Bericht der Zeitung zufolge wird bereits über einen Zeitplan für einen Rückzug Mays vom Amt der Premierministerin diskutiert. Unter Berufung auf Kabinettskreise berichtete das Blatt, dass inzwischen Vize-Regierungschef David Lidington eine zentrale Rolle im Brexit-Prozess übernommen habe. Der Konservative Lidington hat dem Vernehmen nach bereits Gespräche mit der Opposition über mögliche Alternativen in der verfahrenen Situation gesprochen. Für die Brexiteers sind solche parteiübergreifenden Gespräche Teufelszeug – denn damit schwindet in ihren Augen die Aussicht auf einen möglichst klaren Bruch mit der EU.

Nach einem Bericht der Zeitung „Telegraph“ hat sich der frühere Außenminister Boris Johnson in der zurückliegenden Woche zweimal mit May getroffen. Dabei habe der Tory-Rebell die Regierungschefin an ihr bei der Parlamentswahl von 2017 abgegebenes Versprechen erinnert, nur so lange am Amt festzuhalten, wie sie über einen Rückhalt in der Partei verfüge.

Neben Lidington und Johnson gelten in London noch weitere Politiker als Kandidaten für eine mögliche Nachfolge Mays. So werden unter anderem Außenminister Jeremy Hunt und der Chef des Umweltressorts, Michael Gove, als mögliche Anwärter genannt. Während Gove bereits während des Brexit-Referendums im Juni 2016 auf der Seite der Austrittsbefürworter stand, hat der ursprüngliche Remain-Anhänger Hunt erst später seine Meinung geändert. Man müsse den Ausgang des Referendums akzeptieren, sagte Hunt im vergangenen Monat bei einem Auftritt in Berlin.

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