Parlamentswahl in Indien: Modi siegt in der größten Demokratie der Welt
Regierungschef Modi verkauft sich als "Wächter der Nation". Das kommt an. Der Gandhi-Clan war ohne Chance.
Das letzte Bild, das Narendra Modi vor dem Ende der einmonatigen indischen Wahlperiode von sich veröffentlichen ließ, ist von zweideutiger Symbolik. Der Mann, der vor fünf Jahren mit dem Wahlslogan „Die guten Tage kommen“ die Macht in Delhi eroberte, sitzt meditierend in einer Höhle im Himalaya. Er ist in ein Safran-farbenes Tuch gehüllt, die Farbe seiner Hindu-nationalistischen Partei BJP – und traditionell die Farbe der Entsagung.
Das sollte zeigen: der Premierminister ist dem Streit der Parteien enthoben, stets im Dienst seines Landes, quasi auf dem Weg zur Heiligkeit. Doch man könnte das Bild auch anders interpretieren. Weil die versprochenen Wirtschaftsreformen nur teilweise erfolgreich waren, hat der 68-jährige Modi seine Strategie geändert. Statt als Wirtschaftsliberaler wie anfangs präsentierte er sich nun als oberster „Chowkidar“ („Wächter“) der Nation. Hart gegen die Feinde Indiens, hart gegen die Korruption und hart gegen sich selbst.
Mit Erfolg. Die Bharatiya Janata Partei bleibt offensichtlich mit einer komfortablen Mehrheit für ihre Koalition, die National-Demokratische Alliance (NDA), an der Macht. Dabei konnte die BJP die Zahl ihrer Sitze sogar noch leicht erhöhen. Auch die oppositionelle Kongress-Partei legte zu, blieb aber weit hinter ihren eigenen Erwartungen zurück.
Charisma, Redetalent und eine moderne Organisation
„Ich habe mein ganzes Leben lang Kongress gewählt, aber dieses Mal habe ich für Modi gestimmt“, sagt Suresh Das, ein Koch aus Delhi. „Er ist ein starker Führer und gut für Indien.“ Modis Stärke beruht auf Charisma, einem derben Redetalent, Entscheidungskraft und seiner modernen Parteiorganisation, aber auch auf der Schwäche der Kongress-Partei, die nach der Unabhängigkeit 49 Jahre lang das Land regiert hatte.
Sie kann sich bis heute nicht von der Gandhi-Nehru-Dynastie lösen, die einen Erbanspruch auf die Parteiführung stellt. Doch ihre Repräsentanten wurden über die Generationen immer schwächer. Ihr Spitzenkandidat Rahul Gandhi, der Enkel der 1984 ermordeten, autoritär agierenden Premierministerin Indira Gandhi, ist ein sympathischer Softie, der statt schneller Entscheidungen lange Diskussionen bevorzugt. Sein Vorschlag, ein bedingungsloses Grundeinkommen zur Bekämpfung der Armut einzuführen, hat die Wählerinnen und Wähler nicht überzeugt.
Seine Schwester Priyanka Gandhi-Vadra griff in letzter Minute in den Wahlkampf ein. Sie sieht ihrer Großmutter Indira verblüffend ähnlich. Aber auch das nützte nichts? Rund 600 Millionen Menschen in Indien sind unter 25 Jahre jung und haben Indira Gandhi nie gesehen. Im Jahr 2019 erwartet die stetig wachsende Mittelklasse nicht Erinnerungen, sondern Chancen.
Nach Zahlen der Weltbank hat sich der Anteil der in Armut lebenden Inder zwischen 2006 und 2016 auf 27,5 Prozent halbiert. Die, denen es besser geht, interessieren sich neben dem sozialen Aufstieg auch zunehmend für andere Fragen. Dazu gehört die Besinnung auf eine Identität als Hindu, die während der langen Geschichte muslimischer Invasion und britischer Kolonialherrschaft zurückgedrängt worden war. Viele mögen zwar die von Teilen der BJP propagierte Hindu-Herrschaft skeptisch sehen, doch ein bisschen mehr Hinduismus darf’s für die Anhänger der Mehrheitsreligion, die etwa 80 Prozent der Bevölkerung ausmachen, schon sein. Was auch Rahul Gandhi erkannte und sich im des Wahlkampfs als „Shiv-Bhakt“ (Anhänger des Gottes Schiva) outete und fleißig Tempel besuchte.
Schnelle Reaktion auf die Terroranschläge
Als am Beginn dieses Jahres klar wurde, dass trotz einiger gelungener Reformen das indische Wirtschaftswachstum kaum höher war als unter Modis Vorgänger-Regierung und die Zahl der Arbeitsplätze seit 2014 auch nicht gestiegen ist, wurde der Wahlkampf zunehmend schmutzig. Lynchmorde an Muslimen und Dalits (den früheren Unberührbaren), denen oft fälschlich unterstellt wird, die heiligen Kühe zu schlachten, kamen auch in der Vergangenheit vor, aber sie haben in den vergangenen vier Jahren zugenommen, sagt die Organisation „IndiaSpend“, die sich auf Daten-Journalismus spezialisiert hat.
Ein Wahlgeschenk für Modi war ein Terroranschlag im Februar auf einen Konvoi der indischen Armee im umstrittenen Bundesstaat Jammu und Kaschmir. Modi regierte schnell und entschlossen: Er ließ zum ersten Mal Terrorlager in Pakistan angreifen, von wo nach Meinung Delhis der Angriff ausging. Damit hatte der Wahlkampf einen neuen Spin gefunden: Modi als Hüter der Nation, der es als erster gewagt hat, Pakistan mit konventionellen Waffen entgegen zu treten ohne damit einen Atomkrieg auszulösen.
Britta Petersen