SPD vor den Koalitionsverhandlungen: Mitglied werden gegen Schwarz-Rot
Mit ihrem Widerstand gegen die Groko hat der SPD-Nachwuchs eine Eintrittswelle erzeugt. Nicht alle in der Partei freut das.
Es ist Dienstagabend, kurz nach 23 Uhr, als Adrian Reiners eine E-Mail von der SPD erhält. Der Inhalt: Sein Mitgliedsantrag ist eingegangen. Wenige Minuten zuvor hatte er auf der Webseite der Sozialdemokraten ein Formular ausgefüllt, um in die Partei einzutreten. Es ist ein gutes Gefühl für den 24-Jährigen, endlich politisch aktiv zu werden, erzählt er. Reiners ist einer derjenigen, vor denen der SPD-Führung bange sein muss.
Für Politik interessiert sich der Berliner BWL-Student seit Jahren, mit der SPD sympathisiert er schon lange. Oft habe er mit Freunden über Politik diskutiert und dabei die Frage gestellt: Warum können linke Parteien in Deutschland und Europa derzeit so wenige Wähler mobilisieren? Am Ende stand oft der Frust über die Schwäche von SPD, Linken und Co.
Nur zu klagen über die politischen Verhältnisse, das reichte Reiners nicht mehr. Deshalb entschloss er sich, den Schritt zu wagen und online das rote SPD-Parteibuch anzufordern. Den Ausschlag hat für ihn der leidenschaftliche Kampf der Jusos gegen die Groko gegeben. „Mir hat imponiert, wie sich Menschen in meinem Alter auf dem Parteitag gegen die Spitzen der Partei aufgebäumt haben“, sagt er.
Kritische Funktionäre
Mit ihrem Widerstand gegen die Groko hat der SPD-Nachwuchs nicht nur Reiners erreicht, sondern eine Eintrittswelle ausgelöst: Die Sozialdemokraten erhielten seit dem Sonderparteitag am vergangenen Sonntag mehr als 1800 Mitgliedsanträge. Die Jusos in Nordrhein-Westfalen werben besonders aggressiv um neue Mitstreiter. Ihr Vorsitzender Frederick Cordes will „möglichst viele Groko-Kritiker in die Partei holen, damit wir beim Mitgliederentscheid das Ergebnis sprengen können“. Die Jungsozialisten planten sogar eine bundesweite Kampagne mit dem Motto „Einen Zehner gegen die Groko“. Zehn Euro zahlen Studenten für eine zweimonatige SPD-Mitgliedschaft.
Wie weit die aktuellen Neueintritte die SPD voranbringen, darüber gibt es unter den Genossen geteilte Meinungen. Vor allem auf Funktionärsebene wird die Juso-Kampagne für Neumitglieder kritisch gesehen. „Ich rate den Ortsvereinen, Anträge auf Mitgliedschaft genau zu überprüfen“, sagt SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel. „Wer erkennen lässt, dass er nur zehn Euro Beitrag überweist und danach wieder austreten will, hat erkennbar kein Interesse an der Sozialdemokratie.“
Ein Stichtag wird gesucht
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil wirft den Jusos sogar unlautere Methoden vor. Im RBB-Inforadio sagte er, die parteiinternen Groko-Gegner hätten den „Boden dieser fairen Debatte verlassen“. Die SPD-Führung kündigte an, einen Stichtag für die Neumitglieder festzulegen: Wer nach diesem Tag eintrete, dürfe nicht mehr über den Koalitionsvertrag abstimmen. Wann genau das sein soll, ist allerdings unklar.
Das Neumitglied Reiners interessiert das alles nicht. Er will genau das tun, was sich die Jusos von ihren neuen Parteifreunden versprechen: bei der Mitgliederbefragung über den fertigen Koalitionsvertrag mit Nein stimmen. Das Sondierungspapier hält Reiners für „ideenlos“. Er wünscht sich vor allem eine neue Wohnungspolitik. Das Thema liegt ihm am Herzen, er schreibt seine Bachelor-Arbeit über Wohnungsnot in Deutschland. In dieser Frage habe Schwarz-Rot allerdings nichts zu bieten, meint er. Für den Studenten bedeutet eine neue große Koalition nur die Verwaltung des Status Quo.
Was ist aber, wenn die Groko kommt? Dann will Reiners in der SPD bleiben, sagt er.