Kann der Staat mitfühlen?: Mitgefühl gehört auch zur Politik
Nach dem Mord im Tiergarten: Immer wieder beklagen Opfer-Angehörige die Kälte, die ihnen danach aus Behörden entgegenschlägt. Das sollte sich ändern. Eine Kolumne.
Klaus Rasch hat seine Frau Anfang September auf besonders grausame Weise verloren. Susanne Fontaine wurde nahe am Berliner Zoo nach einem Treffen mit Freundinnen Opfer eines Raubmords. Die Beute des 18-jährigen, mehrfach einschlägig vorbestraften Täters: ihr Handy und 50 Euro. Im Tagesspiegel hat Rasch jetzt erzählt, wie er den Umgang der Behörden mit der Tat und ihm selbst empfunden hat: Erbitterung nicht nur darüber, dass einer, der schon zuvor gestohlen, geraubt und Greisinnen misshandelt hatte, nun auch einen Mord begehen konnte, weil ihm das Handwerk nicht gelegt wurde. Rasch beklagt auch die Kälte der Behörden: als schließlich die Leiche der Frau gefunden wurde, mit der er 40 Jahre lang verheiratet war, habe er das aus den Medien erfahren, die Polizei habe ihn auch sonst nicht auf dem Laufenden gehalten. Und ein Wort des Bedauerns über das, was er als Ungereimtheiten in den Ermittlungen erlebte, habe er aus der Politik bis heute nicht gehört.
Vom NSU bis zum Mord am Berliner Zoo
Klaus Raschs Klage ist nicht die einzige ihrer Art. Kein Wort, keine Anteilnahme – darüber waren auch die Familien empört, die beim Attentat auf dem Breitscheidplatz im Dezember Verwandte verloren hatten. Immer wieder sehen sich die Überlebenden von Verbrechen, die Angehörigen der Opfer, erneut traumatisiert durch das, was dem Schock der Tat und des Verlusts folgt: Fortan handelt der Staat, aber der kümmert sich um sie, die unmittelbar Betroffenen, systematisch nicht, es sei denn, er beziehungsweise seine Behörden, Strafverfolger, Ermittlerinnen können sie in den Kreis der Tatverdächtigen einsortieren. Wie es auch Rasch geschah, der noch am Abend des Tages, als man die Leiche seiner Frau entdeckte, ins Verhör genommen wurde.
Schlimmer noch, wenn der Staat sogar vollkommen versagt, wie im Fall der NSU-Mordserie. Bei jedem einzelnen der Morde wurden die Toten stigmatisiert, in vielen Fällen ihre schockierten, trauernden Angehörigen zudem selbst unter Verdacht gestellt, weil rassistische Vorurteile die Ermittlungen bestimmten. Und erst die Selbstenttarnung der Täter brachte nach zu vielen Jahren die Wahrheit ans Licht.
Die Angehörigen brauchen Anerkennung
Was den Umgang mit dem Mord an Susanne Fontaine von dem mit den vielen Toten der NSU und des Mörders vom Breitscheidplatz unterscheidet: Hier fanden die Repräsentanten des Staats schließlich Worte und handelten. Es gab Entschädigungen und Entschuldigungen, um die Angehörigen kümmerten sich prominente politische Köpfe, die frühere Berliner Integrationsbeauftragte Barbara John um die NSU-Opfer, Rheinland-Pfalz’ früherer Ministerpräsident Kurt Beck um die des Berliner Attentats.
Politik und Behörden könnten daraus auch für die Fälle lernen, in denen die Taten weniger spektakulär sind. Mit der Berufung eines Opferbeauftragten, des bundesweit noch immer einzigen, hat Berlin erkannt, dass hier politisch Handlungsbedarf ist. Das ersetzt aber nicht die konkrete Geste. Denn was als traurige Routine auf den Schreibtischen der Mordkommissionen landet, ist für Witwer, Eltern oder Kinder jedes und jeder einzelnen Toten eine Katastrophe. Und das muss anerkannt werden, diese Anerkennung gehört sozusagen auf die Checkliste nach jeder derartigen Tat.
Ein Bürger mit Sorgen
Es ist nicht der einzelnen Polizistin moralisch anzulasten, wenn sie wortlos DNA-Proben bei Angehörigen nimmt, sie tut, was sie soll. Aber es muss Kollegen, Menschen geben, die den anderen Job machen: den Trauernden zur Verfügung stehen, nachfragen und sich womöglich an eine übergeordnete Stelle wenden können, wenn klar wird, dass ein Wort von weiter oben nötig wäre. Vielleicht würde dabei sogar relevantes Wissen gesammelt. Sprachlosigkeit entsteht beim Staat wie im Alltag oft einfach so: Weil zu viele tun könnten, was nötig wäre, tut es niemand. Das Gute ist mindestens zur Hälfte Organisation. Und die richtigen Worte sind keine Kleinigkeit. In einem der größten Epen des Mittelalters, dem Parzival, führt eine einzige Geste der Anteilnahme, die Mitleidsfrage an den schwer verletzten König, zu dessen Erlösung und der des ganzen Hofs. Und wo sie fehlt? Klaus Rasch spricht im Interview von „großer Staatsverdrossenheit“, die in den Wochen nach dem Mord an seiner Frau in ihm entstanden sei. Vielleicht sind es ja Sorgen wie seine, die die Politik ernster nehmen sollte.
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