Terrorserie erschüttert Israel: Mit Messern und Schusswaffen – warum häufen sich gerade jetzt die Anschläge?
Israel erlebt die heftigste Anschlagsserie seit langem. Elf Menschen sind gestorben. Nun steht der Inlandsgeheimdienst in der Kritik.
Israel wird von der schlimmsten Anschlagswelle seit Jahren erschüttert: Innerhalb von nur einer Woche sind bei Attacken arabischer Extremisten elf Unschuldige ums Leben gekommen.
Der dritte und tödlichste Anschlag ereignete sich am Dienstagabend: Ein palästinensischer Mann eröffnete in Bnei Brak, einem religiös geprägten Vorort von Tel Aviv, das Feuer auf offener Straße und schoss wahllos auf Fußgänger, Fahrrad- und Autofahrer.
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Einem Polizisten gelang es, den Attentäter zu erschießen, dabei wurde er jedoch selbst tödlich getroffen. Neben ihm kamen vier Zivilisten ums Leben.
Ersten israelischen Berichten zufolge handelt es sich bei dem Attentäter um einen 26-jährigen Palästinenser aus einem Ort nahe der Stadt Jenin im Norden des Westjordanlandes. Ob er Verbindungen zu einer Terrororganisation hatte, ist noch unklar.
Palästinenserpräsident Abbas verurteilte die Attacke
2013 hatte er offenbar wegen nicht weiter benannten Sicherheitsvergehen eine sechsmonatige Strafe in einem israelischen Gefängnis abgesessen; damals hatte er Verbindungen zur Fatah unterhalten, der Partei des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas.
Lose verbunden mit der Fatah ist eine Miliz, die Al-Aksa-Brigaden, die von den USA, der Europäischen Union und anderen westlichen Staaten als Terrororganisation eingestuft wird. Mitglieder der Al-Aksa-Brigaden in Jenin veröffentlichten nach dem gestrigen Anschlag eine Videobotschaft, in dem sie den Attentäter priesen.
Palästinenserpräsident Abbas dagegen verurteilte die Attacke. Israelischen Medien zufolge glauben israelische Sicherheitsexperten nicht, dass der Attentäter auf Weisung der Al-Aksa-Brigaden handelte, sondern halten ihn für einen Trittbrettfahrer, der sich von den zwei vorigen Anschlägen dieser Woche motivieren ließ.
Ereignisse der letzten Woche
Am Dienstag vergangener Woche hatte ein Beduine aus der israelischen Negevwüste in der Stadt Beersheva mit einem Messer auf Passanten eingestochen und weitere Menschen mit seinem Auto gerammt. Er tötete zwei Männer und zwei Frauen, bis er selbst erschossen wurde. Der Attentäter war 2016 verhaftet worden, weil er Propaganda für die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) verbreitet haben soll.
Am Sonntagabend erschossen zwei israelische Araber in der Küstenstadt Hadera zwei Beamte der Grenzpolizei, eine Frau und einen Mann, bevor sie selbst von Polizisten erschossen wurden. Die beiden Angreifer stammten aus der arabischen Stadt Umm Al-Fahm im Norden Israels und sollen ebenfalls mit dem IS sympathisiert haben. Anders als nach der Attacke des Beduinen veröffentlichte eine mit dem IS verbundene Nachrichtenseite anschließend ein Bekennerschreiben.
Am Mittwochmorgen schon gab es einen weiteren Vorfall: Auf dem belebten Yehuda-Markt in Jerusalem attackierten Berichten zufolge zwei Männer einen Polizisten. Die Details sind noch unklar. Israelische Sicherheitskräfte nahmen in den vergangenen Tagen mehrere Verdächtige fest. Die Polizei wurde in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Außerdem soll heute das Sicherheitskabinett der Regierung tagen.
Noch ist nicht bekannt, ob oder auf welche Weise die Anschläge zusammenhängen. Manche Kommentatoren kritisieren den israelischen Inlandsgeheimdienst Shin Bet, der offenbar von den Attacken überrascht wurde. Die israelische Zeitung Haaretz zitiert ungenannte Mitarbeiter des Dienstes, denen zufolge der Geheimdienst es verpasst habe, potenziell gefährliche israelische Araber zu überwachen.
Der Shin Bet setze demnach einige der „fortschrittlichsten technologischen Tools der Welt“ ein, um Palästinenser im Westjordanland zu überwachen. Aus rechtlichen Gründen jedoch könne der Dienst dieselben Mittel nicht gegen israelische Bürger nutzen.
Grund der Anschläge bleibt unklar
Offen bleibt eine weitere Frage: Warum kommt es ausgerechnet jetzt zu dieser Angriffswelle? Bis auf Weiteres lässt sich darüber nur spekulieren. Manche Kommentatoren weisen darauf hin, dass in wenigen Tagen der islamische Fastenmonat Ramadan beginnt, eine Zeit, in der es in früheren Jahren schon öfter zu Spannungen kam.
Die militärische Eskalation zwischen der Hamas im Gazastreifen und der israelischen Armee im letzten Mai etwa begann während des Ramadan. Diese Erklärung erscheint jedoch eher schwach, zumal der Fastenmonat noch nicht einmal begonnen hat.
Eine weitere Motivation der Attentäter könnte im Negev Summit liegen, einem Treffen hochrangiger Vertreter mehrerer arabischer Staaten Anfang dieser Woche im südisraelischen Ort Sde Boker und ein Symbol für die veränderte Dynamik im Nahen Osten.
Die Außenminister Ägyptens, Marokkos, Bahrains und der Vereinigten Arabischen Emirate reisten dafür nach Israel – ein seltenes Treffen, zumal es in aller Öffentlichkeit ausgetragen wurde. Womöglich wollten die Attentäter die neue, zur Schau gestellte Harmonie zwischen Israelis und Arabern stören.
Für manche Israelis weckt die jüngste Anschlagswelle düstere Assoziationen: Am 27. März 2002, genau 20 Jahre vor dem Anschlag in Hadera, tötete ein palästinensischer Selbstmordattentäter 30 Zivilisten in einem Hotel in der israelischen Küstenstadt Netanya. Es war der Höhepunkt der Zweiten Intifada. Nun hofft das ganze Land, das es keine dritte geben wird.
Mareike Enghusen